Ein Wiedersehen mit Stuttgart, wo er einst studiert hat: der Schauspieler Klaus Maria Brandauer Foto: Veranstalter

In Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Meisterklassen und Workshops fragen die 11. Stuttgarter Stimmtage der Akademie für gesprochenes Wort, wie sich Stile, Moden und Trends auf das Phänomen Stimme auswirken.

Stuttgart - Ob er sich noch an die Wege in Stuttgart erinnert? Klaus Maria Brandauer zieht kurz die Augenbraue hoch: „Aber sicher!“ An der Schauspielschule der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hat Brandauer einst studiert 1962, aber schon nach zwei Semestern war Schluss. Brandauer drängte auf die Bühne, debütierte 1963 als Claudio in Shakespeares „Maß für Maß“ am Landestheater Tübingen und zieht bald weiter nach Wien. Und die Stimme? Vor allem den Schauspielerinnen Eva Heer und Elisabeth Bergner und dem Regisseur Fritz Kortner „verdanke ich viel“, sagt Brandauer,

Für drei Tage ist der große Schauspieler in Stuttgart zu Gast – als Schirmherr der 11. Stuttgarter Stimmtage der Akademie für gesprochenes Wort. Jetzt sitzt er im Obergeschoss des Hotels am Schlossgarten in einem kleinen Nebenraum. „Darf ich das Gleiche sagen wie gerade eben?“, fragt er und lacht. Das Anlachen ist auch ein Hineinlachen bei Brandauer, ein Anlaufnehmen.

Dann verweist er, das muss sein, knapp auf Beethovens Satz, wonach das schönste Instrument die menschliche Stimme sei. „Stimme? – Das ist nicht nur, dass man etwas sagt“, sagt Brandauer. Sagt es fast ein wenig zu routiniert. Oder doch nicht. Brandauer lehnt sich kurz zurück und sagt dann: „Eigentlich beginnt die Sache viel früher. Bei der Frage, wie ein Laut überhaupt zustande kommt.“ Und er findet einen Satz , der ihm auch selbst hörbar gefällt: „Das Wort kann man nicht loslösen von dem Gesamtkunstwerk Mensch.“

Brandauer inszeniert Faust als einen, der ständig am Abgrund balanciert

Was also kann die Stimme? Mit seiner Lesung „Faust, . . . ein gefesselter Prometheus?!“ entfaltete Klaus Maria Brandauer zum Auftakt der 11. Stuttgarter Stimmtage am Donnerstag ein Panorama, ein Panoptikum. Er inszenierte mit seiner Collage aus Goethes Faust-Tragödie und Texten von Heinrich Heine, Thomas Mann und Hans Magnus Enzensberger die Szenerie von Faust als Einem, der ständig am Abgrund balanciert.

Brandauer ruft mit seiner Stimme Geschichten und Geschichte auf, Bilder, ja ganze Bücher, ganze Filme. Die Stimme gibt den Sätzen ein Eigenleben, trägt nicht nur, sondern provoziert Speichervorgänge. Von Sätzen, von Bildern. Weiß er, welche Brandauer-Sätze sein Publikum verwahrt? „Stell Dir vor, es ist Hans“, ist so ein Satz. Brandauer sagt ihn unerbittlich, mit einer Beiläufigkeit und Kälte, die den anschließenden Schuss fast zu einem erlösenden Moment macht. Brandauer sagt den Satz 1985 in Sidney Pollacks Verfilmung von „Jenseits von Afrika“. Erinnert er sich selbst an diese Szene? „Da habe ich ja eigentlich eine Doppelrolle“, sagt Brandauer. Das muss reichen, um die Tiefe zu begründen.

Noch ein Versuch. Worauf greift Brandauer zurück, als er 1981 unter der Regie von István Szabó in der Verfilmung von Klaus Manns auf Gustaf Gründgns zielenden „Mephisto“ den Schauspieler Hendrik Höfgen spielt? Wie führt man die Stimme eines in sich Zerrissenen, wie erträgt man diese Stimme? „1981“, sagt Brandauer, „das war die Zeit von Solidarnosc,und Mephisto war ein Projekt, an dem Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern beteiligt waren.“ „Mephisto“ – als bester ausländischer Film mit einem Oscar geehrt – sei ein Moment des Aufbruchs gewesen, sagt Brandauer, ein Moment der Ernsthaftigkeit.

„Wir sind Überschriftenleser“

„Oberst Redl“ (1985) und „Hanussen“ (1988) machen István Szabós Annäherung an europäische Figuren zur Trilogie. An diesem Punkt des Gesprächs verharrt Klaus Maria Brandauer einen Moment, gerade so, als spüre er eine enorme Last. Dann sagt er: „Was antworte ich, wenn man mich fragt, was Europa ist? 70 Jahre kein Krieg.“ „Ich bin sehr dankbar“, sagt Brandauer weiter, „auch, weil dieser zweifache mörderische Schrecken von unseren Ländern ausging“.

„Unsere Länder?“ Brandauer meint Österreich, Deutschland und Ungarn, wechselt kurz die Tonlage, wird in der Farbe, in die er die Worte taucht, zum Grenzgänger über Zeiten und Länder, hakt dann wieder nüchtern die Stationen ab über die Montan- Union bis hin zur Europäischen Gemeinschaft. „Aus diesem europäischen Gebilde ist ein wunderbares Gebilde geworden“, sagt Brandauer, „Europa ist ein Geschenk“ – eines aber, dass der Schauspieler und Regisseur nicht zuletzt durch Unachtsamkeit in der Stimme gefährdet sieht. „Sie können mit vielen Worten niemanden erreichen“, sagt er – und bedauert: „Wir geben uns sehr schnell zufrieden, wir sind Überschriftenleser.“ Ließe sich umgekehrt Europa durch das Wort neu begründen? Dazu müsste man es auch Brandauers Sicht überhaupt erst wieder hörbar machen. „Ich muss schon wissen“, sagt Brandauer, „dass das Wort am Ziel ankommt. Es muss klar sein, das ich Lust habe, dazu etwas zu sagen“.

Er kommt als „jemand, der unterrichtet“

Sein Gegenüber auch zu meinen, wenn man ihm etwas sagt, es mitzunehmen auf die eigene Reise – das sieht der 1943 geborene Brandauer, der bis heute gerne von seinem Geburtsort Bad Aussee in der Steiermark aufbricht, als Voraussetzung auch für eine Neubegründung der europäischen Idee.

Und wie kommt man jetzt von Europa wieder zurück zu den Stimmtagen und der Arbeit mit jungen Menschen? „Als jemand, der unterrichtet“, sagt Klaus Maria Brandauer, „muss man in der Lage sein, etwas zu sagen.“ In der Lage sein, etwas zu sagen? Die Wucht, die Tragweite, ist nur angedeutet. Aber natürlich verbindet sich der Anspruch mit einer anderen Forderung Brandauers – dass nämlich „eine Sache Substanz haben“ muss.