Ertappt: Stine Maria Fischer (Annina), Ana Durlovski (Sophie.), Sophie Marilley Foto: A. T. Schaefer

Vor sechs Jahren hat Stefan Herheim Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals „Komödie für Musik“ in Stuttgart auf beziehungsreiche Weise neu ins Bild gesetzt. Am Sonntag bejubelte das Publikum in der Stuttgarter Oper die exzellent einstudierte Wiederaufnahme.

Stuttgart - Man könnte sich den Kopf zerbrechen. Über den derben Bajuwaren Richard Strauss und sein feines schriftstellerisches Gegenüber Hugo von Hofmannsthal zum Beispiel, aber wie diese beiden zusammenfinden und -bleiben konnten, versteht ja sowieso keiner.

Auch die Bilder eines der größten Musiktheatermagiers unserer Tage könnten einen mächtig zum Grübeln bringen, denn Stefan Herheim, Norweger mit starker ästhetisch-emotionaler Verwurzelung im deutschen Regietheater, überzieht seinen Inszenierungen gerne mit einem dichten Geflecht von historischen und künstlerischen Verweisen.

Bei seinen umjubelten Wagner-Inszenierungen, etwa bei „Parsifal“ in Bayreuth und bei „Lohengrin“ an der Berliner Lindenoper, hat er das auf die Spitze getrieben, und auch „Der Rosenkavalier“, der 2009 noch unter Albrecht Puhlmanns Intendanz an der Oper Stuttgart entstand, lebt von beziehungsreichen Anspielungen.

Auf der handwerklichen Ebene entspricht diesen unter anderem eine filigrane, bis ins Detail durchdachte Bühnen-Ausleuchtung, die in dieser Akribie wohl kein anderer Regisseur einfordert. Auch deshalb mag mancher sich den Kopf darüber zerbrochen haben, ob die anspruchsvolle Produktion nach ihrer Premierensaison nicht doch auf Nimmerwiedersehen im Fundus verschwinden würde.

Ein mächtiges Arbeitspensum muss diesem Abend vorangegangen sein

Von wegen! Am Sonntag feierte die Oper Stuttgart die Wiederaufnahme von Herheims Inszenierung – und mit dieser feierte sie auch ein bisschen sich selbst, denn ein mächtiges Arbeitspensum muss diesem Abend vorangegangen sein. Das gilt nicht nur für die Technik und das Licht (Olaf Freese) auf der rotierenden Bühne, die das turbulente Geschehen zwischen Trockeneis und Sternengefunkel, Reifrock und Firmament auf poetische Weise in der Schwebe hält, sondern auch für die Bewegungen der handelnden Personen, die Anja Nicklich als Regieassistentin wieder fein mit den Gesten der Partitur synchronisiert hat, und es gilt auch für die Musik.

Am Pult des mit samtig verschmelzenden Streichern und mit konzentriert und präzise aufspielenden Bläsern glänzend besetzten Staatsorchesters hält Marc Soustrot die Fäden dessen in der Hand, was Richard Strauss dem Stück als wienerisches Kolorit mitgegeben hat: Das walzt, das bäumt sich auf, und das zieht sich, wo dies angemessen ist und der Verständlichkeit des Gesungenen dient, auch mal ins Leise zurück.

Es ist kein spektakulärer, wohl aber ein sehr genau gelesener und klangfarblich sauber ausgearbeiteter Strauss, der da zu hören ist: Musik mit Lust und Verstand.

Kein auch nur ansatzweise gefährdeter Ohrenschmaus

Die hört man auch von den Sängern, die – bis auf Torsten Hofmann (Valzacchi), Mark Munkittrick (Polizeikommissar) und Heinz Göhrig (Haushofmeister, Wirt) – bei der Premiere noch nicht dabei waren. Simone Schneider gibt die Marschallin bei ihrem Rollendebüt weniger melancholisch als seinerzeit Christiane Iven; sie singt direkter, bewegt sich gelassen und sehr zielbewusst hin zu einem emanzipierten Frauenleben. Rein stimmlich bietet diese Sopranistin reinen, nirgends auch nur ansatzweise gefährdeten Ohrenschmaus: Töne wie Kunstperlen, auch in Höhe und Tiefe, dazu eine reiche Palette an Farben. Nur den sentimentalen Touch etwa bei dem ins Dunkle fallenden, resignierenden „Ja, ja“ muss man anderswo suchen.

Schade, dass Gergely Németi ihr als bildlicher Wiedergänger des penetrant abwesenden Feldmarschalls mit seinem in der Höhe überanstrengt wirkenden Tenor in der kleinen, aber anspruchsvollen Rolle des italienischen Sängers nicht annähernd das Wasser reichen kann. Vielleicht sollte man vor zukünftigen Vorstellungen doch mal bei Atalla Ayan nachfragen. Der kann das.

Sophie Marilley ist ein quicker, ausgesprochen authentisch wirkender Octavian, dessen Unmittelbarkeit und Unverstelltheit man sofort ins Herz schließt; es stört kaum, dass Marilleys Stimme gelegentlich in der Höhe ein wenig spitz wirkt. Friedemann Röhlig gibt einen munteren, dabei nie chargierender Ochs mit beeindruckendem Tiefen-Fundament, Michael Ebbecke einen gut gestalteten Faninal, und dass die Leitmetzerin mit Rebecca von Lipinski sehr jung und entsprechend attraktiv besetzt ist, gibt sogar die Inszenierung vor.

Fließende Übergänge zwischen Bildender und Bühnen-Kunst

Stefan Herheim nämlich spielt: mit dem Maschinentheater des Barock, mit (historischen wie modernen) Bild-Motiven und deren Überblendungen, mit dem Wiener Volkstheater, mit historischen Anspielungen auf die zerbröselnde k.-u.k.-Monarchie, mit Strauss’ eigener musiktheatralischer Vergangenheit („Salome“), mit fließenden Übergängen zwischen Bildender und Bühnen-Kunst.

Einem barocken Wandgemälde entsteigen Satyrn, von denen einer, verspielt gespielt von Thomas Schweiberer, als Sohn des Ochs während des gesamten Abends für die ironischen Brechungen zuständig ist – bis hin zum letzten Terzett und Duett der voneinander scheidenden und zueinander wollenden Liebenden, das Strauss ja, auch wenn Soustrot hier betont geschmackvoll und dezent agiert, tatsächlich ein ganz klein wenig kitschig geraten ist.

Man muss nicht alle Details verstehen. Man kann das quirlige Treiben der Menschen und ihrer tierischen Karikaturen auf der Szene auch so genießen. Und kurzweiliger als in dieser Inszenierung kann der lange „Rosenkavalier“ kaum sein. Am Ende winken Sophie und Octavian der Marschallin und Faninal zu, die in den vorderen Logen des ersten Rangs Platz genommen haben, sinken jeder für sich hinab in den Bühnenboden, und Sophies verlorenes Taschentuch bleibt für den Satyr Leopold zurück. Vorher hat der Strauss auf der Bühne glatt noch ein Ei gelegt. Was für ein Spektakel!