Den Ball fest im Blick, nicht den Aufstieg: Kickers-Profi Sandrino Braun (vo.) Foto: Baumann

Erstmals seit 830 Tagen stehen die Stuttgarter Kickers wieder auf Platz eins der Tabelle. Doch trotz dieses (unerwarteten) Höhenflugs verliert keiner beim Fußball-Drittligisten die Bodenhaftung.

Erstmals seit 830 Tagen stehen die Stuttgarter Kickers wieder auf Platz eins der Tabelle. Doch trotz dieses (unerwarteten) Höhenflugs verliert keiner beim Fußball-Drittligisten die Bodenhaftung.

Stuttgart - Aufstieg? Enzo Marchese schaute mit einem Blick, in dem sich Verwunderung und Ärger mischten. „Wir fangen doch jetzt nicht an zu spinnen“, sagte der Kickers-Kapitän freundlich und bestimmt, „dieses Thema ist ganz weit weg.“ Recht hat er – in der dritten Fußball-Liga sind erst sechs Spieltage vorbei, es wäre überheblich, wenn der neue Spitzenreiter gleich vom Aufstieg reden würde. Dennoch: Die Leistung beim überzeugenden 2:0-Erfolg über den Chemnitzer FC zeigte den 3420 Zuschauern, dass die Blauen das Potenzial besitzen, um oben mitzuspielen. „Aber wir müssen stets unsere Topleistung abrufen, um solche Spiele zu gewinnen“, betonte Marchese.

Die Kickers auf Platz eins; seit 830 Tagen, seit dem letzten Regionalliga-Spieltag am 19. Mai 2012, grüßten sie nicht mehr dort. Doch trotz des Höhenfluges hat offenbar keiner die Bodenhaftung verloren. „Das ist nur eine Momentaufnahme“, war ein Satz, der oft fiel im Reutlinger Kreuzeiche-Stadion. Natürlich wolle man jetzt „möglichst lange oben dranbleiben“, wie Sportdirektor Michael Zeyer bemerkte. Bei den Kickers ist kein Größenwahn, sondern Erleichterung eingekehrt. Keiner wusste so genau, wohin die Reise gehen würde, nach den moderaten Transferaktivitäten, nach dem Umzug nach Reutlingen – und der ärgerlichen Auftaktniederlage in Wehen-Wiesbaden (1:2). „Ich bin mehr als glücklich“, sagte Zeyer, „dass wir gut in die Saison gekommen sind. Die 13 Punkte waren nicht Zufall, die haben wir uns verdient. In Reutlingen haben wir uns gut eingefunden, und unsere Fans auch.“

Manchmal ist die Realität schneller als der Plan, das durfte Horst Steffen erfreut feststellen. Der Trainer setzt auf ein eingespieltes Team – stets begann dieselbe Formation, lediglich Randy Edwini-Bonsu verdrängte Lhadji Badiane nach vier Partien aus der Stammelf. Das zahlt sich aus. „Wir haben eine Grundkonstanz in der Mannschaft“, sagt der 45-Jährige, „auf einige läuferische und kämpferische Aspekte kann ich mich verlassen.“ Das laufintensive 4-3-3-System funktioniert; die zuletzt kritisierte Abwehr lernt dazu (Zeyer: „Der Prozess läuft“), das magische Mittelfeld-Dreieck aus Marchese, Besar Halimi und Sandrino Braun beweist sowohl Kampfkraft als auch Spielkultur und im Sturm sind die Kickers stets für mindestens ein Tor gut. „Das Team ist intakt, jeder kämpft für den anderen“, sagte der eingewechselte Marco Calamita. Steffen sprach vor der englischen Woche gegen Chemnitz und an diesem Sonntag (14 Uhr) bei Arminia Bielefeld von einer Standortbestimmung. Womöglich lautet deren Ergebnis: Platz eins.