Atemberaubende Perspektiven von der Dachterrasse des Asemwald-Panoramabads in knapp 75 Metern Höhe Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Auf Spurensuche: Mit Hilfe unserer Leser spüren wir Geschichten auf, die in den vielen Winkeln dieser Stadt verborgen sind. Wir schauen auf Orte, Fassade und Bauwerke, die sich nicht auf den ersten Blick erklären. Diesmal: Das Hallenbad im Himmel.

Stuttgart - Manchmal darf man sich schon wundern, welche hochkarätigen Treffpunkte diese Stadt so hat – und dass mancher Schauplatz der Superlative in der Öffentlichkeit bei weitem nicht so präsent ist, wie er es verdient hat. Dazu gehört mit Sicherheit jene fast schon geheime Attraktion im 21. Stockwerk im Asemwald. Spontan fällt einem hier eine abgewandelte Version von Reinhard Meys Lied ein: Über den Wolken kann das Kraulen so grenzenlos sein.

Ein Hallenbad, fast 75 Meter über dem Erdboden, da muss man andernorts lange suchen – oder eben zügig hinauffahren. Etwa im Aufzug, der ohne Unterbrechung binnen weniger Sekunden den 20. Stock erreicht. Im dortigen Eingangsbereich wartet in der Regel Claudia Lips oder Stephani Graber auf ihre Gäste. Sie betreuen seit gut einem Jahrzehnt das Hallenbad, mittlerweile in Diensten der Firma Klauß & Partner Immobilien Management GmbH, die seit 1. Januar 2014 Verwalter der Wohnstadt Asemwald ist. Die Gesellschaft hat im April 2014 diverse Erneuerungen im Schwimmbad vorgenommen. „Zum einen wurden die Fenster komplett ausgetauscht, wir haben eine optische Aufwertung des Schwimmbadbereichs – Decken, Holzbauteile – vorgenommen und eine Luftfeuchteregelung eingebaut“, erläutert Geschäftsführer Jan M. Schmälzle.

„Ein solches Schwimmbad mit diesen Aussichten finden Sie vielleicht in Dubai oder Schanghai, aber hierzulande nur hier bei uns in Stuttgart, im Asemwald“, sagt Claudia Lips, die an diesem Vormittag Dienst hat. Hat man die Kasse passiert, geht’s zu den Umkleidräumen und Duschen. Das eigentliche Bad liegt dann noch einen Stock höher, dorthin geht’s über zwei Treppen – getrennt nach Männern und Frauen.

Der Blick schweift bis zur Schwäbischen Alb

Allen Erstbesuchern ergeht es wohl ähnlich: Noch bevor man sich ins Becken hineingleiten lässt, genießt man die sensationelle Perspektive. Das ist an diesem sonnigen Wintervormittag eine echte Wucht: Auf der einen Seite schweift der Blick bis zur Schwäbischen Alb, auf der anderen über die Felder in Richtung Fernsehturm und Degerloch. Das kann freilich auch anders sein, klärt uns eine Schwimmerin mit Badekappe auf, die gerade am Beckenrand eine Pause einlegt. Wenn bei kräftigem Wind und Wolken der Regen gegen die Scheiben trommle, könne es einem schon mal mulmig werden.

Andererseits: „Oft gibt’s unten im Tal den Nebel des Grauens“, scherzt sie, „und hier oben sind wir mitten in der Sonne.“ Mal sehe man Heißluftballons vorbeifliegen, mal beobachte man einen Regenbogen. „Abends die Sonnenuntergänge oder später die Lichter, das sieht da unten dann aus wie bei einer Modelleisenbahn.“ Den ganz großen Luxus, nämlich den Blick beim Schwimmen direkt hinaus in die Landschaft, bietet das Becken zwar nicht. An eine solch kühne Konstruktion, wenn der Beckenrand quasi in den Hochhausabgrund übergeht, wie es in Luxushotels von Las Vegas oder Dubai üblich sein mag, hatten die Asemwald-Architekten vor viereinhalb Jahrzehnten noch nicht gedacht. Aber wer sich im Becken auf die Zehenspitzen stellt, kann die Flugzeuge beobachten, wie sie nach dem Start vom Echterdinger Airport langsam in die Lüfte steigen.

Noch besser ist die Ausblick auf der Dachterrasse. Im Bademantel und in Badelatschen hinaus schlurfen, sich auf einer Liege nieder- und den Blick in die Ferne schweifen lassen – fantastisch. Vor allem, wenn wie an diesem herrlichen Wintermorgen die Sonne fast horizontal herüberscheint und man die warmen Strahlen genießen kann.

Das Becken ist neun auf 14 Meter groß

Von der Terrasse wieder zurück in die Schwimmhalle. Riesenrutsche mit doppeltem Looping, Sprungturm, Massagedüsen oder Beschleunigungskanal wie in den Spaßbädern der Region, all das gibt es hier natürlich nicht. Die Ausmaße des Beckens sind mit neun auf 14 Metern eher bescheiden, bei einer Wassertiefe zwischen 1,50 und 1,65 Metern. Diese vergleichsweise geringe Tiefe macht es möglich, dass kein spezieller Schwimmmeister anwesend sein muss. Lips und Graber haben eine Lebensrettung-Ausbildung absolviert und könnten so in Notfällen eingreifen und Erste Hilfe leisten. Über den Monitor neben der Kasse haben sie auch immer alles im Blick. Doch besondere Vorfälle habe es in all den Jahren keine gegeben.

Das Wasser ist circa 29,5 Grad warm. 50 bis 60 Gäste kommen so am Tag, schätzt Claudia Lips. „Es sind überwiegend Senioren, aber auch Familien oder Großeltern mit ihren Enkelkindern.“ Dennoch, das merkt man als Besucher schnell, geht es eher gediegen zu. Seitliches Einspringen ist verboten. „Das Schöne hier ist, dass jeder seine Bahnen einhält, da können Sie ohne Probleme rückenschwimmen“, sagt Rita Mangold, die ebenfalls selbst im Asemwald wohnt. Die meisten Gäste kommen aus einem der drei Hochhausblöcke – manche pilgern im Jogginganzug ins Panoramabad. „Oft wollen neue Gäste etwa aus Plieningen oder Kemnat bloß mal auf einen Sprung ins Wasser kommen und bleiben dann drei oder vier Stunden und kommen dann immer wieder“, weiß Claudia Lips.

Zu den Stammgästen gehört Eva Walliser. Bis vor sieben Jahren wohnte sie noch in Birkach. „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier mal lande“, sagt sie, doch dann entdeckte sie bei einer Besichtigung den Charme der Asemwald-Wohnung im 18. Stock und kann sich nun gar nicht mehr vorstellen, woanders zu leben. „Ich habe Freunde von der Alp, die sagten: Um Gottes willen, was willst du denn dort. Und als sie mal zu Besuch da waren, wollten sie anschließend gar nicht mehr gehen.“ Das Hallenbad sucht sie selbst mehrmals die Woche auf, auch zu den Aquagymnastik-Kursen, die beispielsweise der TSV Birkach anbietet, oder geht sonntags zusammen mit ihrem Mann in die Sauna. „Und anschließend sitzen wir alle an der Bar, um den Flüssigkeitsverlust wieder aufzufüllen.“

Und danach ins Bella Vista

Und wer nach dem Badebesuch die Aussicht noch ein bisschen länger genießen will, braucht im 20. Stock nur auf die andere Seite ins Restaurant Bella Vista zu schlendern. Rückenschwimmen im Becken, Sonnenbaden auf der Dachterrasse, Saunagang mit Gleichgesinnten, dann womöglich Pizza und Pasta oder schwäbische Küche ein Stockwerk darunter: Manchmal kann die Freiheit über den Wolken wirklich grenzenlos sein.

Das Panoramabad hat von Dienstag bis Sonntag geöffnet, ab 9 bis 20.30 Uhr, Samstag bis 17.30 Uhr, Sonntag bis 14 Uhr. Der Schwimmbetrieb ist gelegentlich durch Kurse eingeschränkt. Der Eintritt beträgt drei Euro (für Asemwäldler) beziehungsweise vier Euro (für Gäste).

26 der in unserer Zeitung veröffentlichten Beschreibungen sind als Buch erschienen: „Stuttgarter Entdeckungen“, 160 Seiten, 100 Fotos und Karten, Silberburg-Verlag Tübingen und Karlsruhe. Herausgeber: Stuttgarter Nachrichten; 14.90 Euro.

Hintergrund: Wohnanlage Hannibal

1959 gab es den ersten Entwurf für die neue Wohnsiedlung im Asemwald. Vorgesehen war ein einzelner, lang gestreckter Baukörper, 650 Meter lang und 50 Meter hoch. Alsbald kam wegen dieser Dimension die Bezeichnung „Hannibal“ in Erinnerung an den antiken Feldherrn auf. Es folgten Proteste gegen diesen Baugiganten, diese „Wohnmaschine“ und „monströse Bienenwabe“. Kritiker warnten vor einer „totalen Isolierung“.

1968 bis 1972 wurde der Bau nach den Plänen der Architekten Otto Jäger und Werner Müller umgesetzt. Statt einem riesigen gab es nun drei ebenfalls noch recht imposante Wohnblocks – jeweils 110 Meter lang und circa 75 Meter hoch. Zwei Blocks haben 22 Stockwerke, der A-Block parallel zur Hauptstraße hat 20 Stockwerke und darüber das Panorama-Schwimmbad und das Restaurant Bella Vista.

Rund 2000 Menschen leben heute im Asemwald. Es gibt 1137 Wohnungen – davon sind 70 Prozent eigengenutzt, die restlichen Wohnungen sind vermietet. Die Anlage hat ein eigenes Einkaufs- und Dienstleistungszentrum, einen Tennisplatz, ein Höhenrestaurant, ein Schwimmbad im 21. Stock sowie einen evangelischen und katholischen Kindergarten. Viele Bewohner leben seit dem Einzug Anfang der 70er Jahre hier.