Auktion bei Eppli: Ein zeitgeschichtliches Dokument von den Nürnberger Prozessen wurde versteigert. Foto: Lichtgut/Horst Rudel

Es ist kein Sensationsfund, aber ein eindrucksvolles Zeugnis deutscher NS- und Nachkriegsgeschichte: eine originale Protokollabschrift aus den Nürnberger Prozessen. Diese wurden nun im Stuttgarter Auktionshaus Eppli versteigert.

Stuttgart - Im Saal hebt sich keine Hand, als im Auktionshaus Eppli bei der Versteigerung von Münzen, Briefmarken und Historica am Samstagmorgen die Losnummer 29 aufgerufen und auf dem Bildschirm präsentiert wird. Das ist eine offizielle, maschinenschriftliche Abschrift aus dem stenografischen Protokoll der Sitzung vom 1. und 2. März 1946 bei den Nürnberger Prozessen. 32 Seiten aus der Anklage gegen die SA, die Sturmabteilung der Nazis. Dazu noch ein Brief des Verteidigers vom 3. April 1946, des Stuttgarter Rechtsanwalts Martin Löffler, an Gustav F. mit der Bitte um Adressen und Hinweise auf Zeugen aus der Reiter-SA.

„Eine private Einlieferung“, gibt Auktionator René Waldrab über die Herkunft des Konvoluts lediglich preis. Dem zuständigen Kunsthistoriker Sebastian Pumpmeier ist auch klar, dass die Geschichte der Nürnberger Prozesse jetzt nicht neu geschrieben werden muss: „Die Nürnberger Prozesse sind bestens dokumentiert.“ Nachzulesen in 13 Bänden (Delphin-Verlag, München). Aber dieses Zeugnis sei deshalb so interessant, „weil es in den inhaltlichen Argumentationen Parallelen zu den heutigen Prozessen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit am Gerichtshof in Den Haag aufweist“.

Bieter beteiligen sich Online

Der Aufrufpreis beträgt 600 Euro. Ist das nicht erstaunlich niedrig? Waldrab gibt zu, „dass uns Vergleiche fehlten“. Und dass man auf eine respektable Steigerung durch die Bieter hoffe. Schriftliche Gebote würden vorliegen, „aber diese Kunden sitzen nicht im Saal“. Man dürfe sich auch nicht wundern, dass der Saal relativ dünn besetzt sei. Die meisten Gebote kämen heutzutage online. Dafür ist die Versteigerung dank medialem Equipment weltweit zu verfolgen.

Im Saal ist das Interesse an Autografen von Staatsmännern wie Erich Honecker und Helmut Kohl und vor allem von Astronauten wie Neil A. Armstrong eindeutig höher. Das Los Nummer 29 löst dagegen nicht die geringste Reaktion aus und geht für 700 Euro an einen schriftlichen Bieter. Wohin? „An eine Privatperson im Inland“, muss Pumpmeier einsilbig bleiben. Bietergeheimnis!

SA nicht als verbrecherische Organisation eingestuft

Enthüllt dieses Konvolut auch kein Prozessgeheimnis, so wirft es doch ein Licht auf eine Biografie in der NS-Zeit. Denn Gustav F., ein Stuttgarter Lehrer, den der spätere bedeutende Presserechtler Martin Löffler anschrieb, musste sich vor dem Staatskommissariat für die politische Säuberung (Spruchkammer) für Mitgliedschaften in der NSDAP, im NS-Lehrerbund und bei der SA ab 1931 verantworten. Er sei aus Idealismus dabei gewesen, betonte er. Enttäuscht und den Nationalsozialismus kritisierend, wurde er allerdings 1934 ausgeschlossen und von der Spruchkammer 1948 als Mitläufer nur mit einer Geldbuße belegt. Auch die SA wurde in Nürnberg nicht als verbrecherische Organisation eingestuft. Weil ihre Mitglieder nach 1939 „im Allgemeinen“ nicht an verbrecherischen Handlungen beteiligt gewesen seien.