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Großes Projekt soll Wegeverbindungen und Bürgerverhalten untersuchen – Scharfe Kritik am Leitsystem in der Innenstadt.

Stuttgart - Autofahrer haben Verbände, eine Lobby, starke Sprachrohre. Auch Radfahrer sind organisiert. Aber Fußgänger? „Das ist ein wichtiges Thema, das aber gerne hinten runterfällt, weil es vielleicht zu einfach scheint“, sagt Wolfgang Forderer. Der Leiter der Abteilung Mobilität im Rathaus arbeitet derzeit daran, dass sich das ändert. Denn nicht erst seit mit Fritz Kuhn ein Grüner die OB-Wahl gewonnen hat, hat man dort erkannt, dass die natürlichste Bewegungsform des Menschen eine Lösung sein kann im Kampf gegen Umweltverschmutzung und allerlei andere Probleme.

Bisher liegt da einiges im Argen. „Zwar kann man überall zu Fuß gehen, aber speziell in der Innenstadt stößt man auf Probleme, sobald man sich dem Cityring nähert“, sagt Forderer. Die Stadtautobahn unterbricht vielerorts jäh den Fußgängerfluss. „Dahinter entwickeln sich interessante Quartiere, die angebunden werden müssen“, so der Verkehrsexperte. Ein erstes Experiment ist der Shared Space in der Tübinger Straße, wo alle Verkehrsteilnehmer seit Samstag gleichberechtigt sind. Ziel soll sein, dass sich die Menschen nicht nur unmittelbar in der Innenstadt gut zu Fuß bewegen können, sondern auch ohne Schwierigkeiten hinein- und wieder hinauskommen.

Die Fördermittel stehen bereit

Bereits im Frühjahr ist die Stadt gemeinsam mit 15 weiteren Kommunen als Siegerin aus einem Bundeswettbewerb hervorgegangen, der sich mit der Zukunft der Stadt befasst. Der Titel des Konzepts: „Besser zu Fuß durch Stuttgart.“ In den nächsten Wochen soll es mit Leben gefüllt werden. Bis zu 200 000 Euro an Fördermitteln stehen dafür bereit. Der Zeitrahmen ist eng: Bereits am 30. März nächsten Jahres ist die Abschlussveranstaltung auf dem Schlossplatz geplant. Bis dahin will die Stadt ein Fußgängerforum auf die Beine gestellt haben, in dem sich die Bürger aktiv an den Planungen beteiligen.

Die Verwaltung will dafür mehrgleisig fahren. Gemeinsam mit der Universität sollen in einer Studie die Wegeverbindungen in der Innenstadt untersucht werden. Parallel dazu beginnen in den nächsten Wochen Telefonbefragungen von 600 Stuttgartern. Dabei will man Aufschlüsse über deren Fußgängerverhalten gewinnen. Ein dritter Schritt sind Begehungen gemeinsam mit Bürgern in den Bezirken Mitte, West und Bad Cannstatt. Dabei will man Schwachstellen und Gefahrenquellen ausfindig machen. Mitmachen kann jeder. „Wichtig ist uns, dass alles im Dialog abläuft“, sagt Forderer. Dabei soll es auch um Themen wie Toiletten oder häufig beklagte Konflikte mit Radlern gehen.

Kritik am derzeitigen Fußgängerleitsystem

Es gibt viel zu tun für die Fußwegeplaner. Das zeigt sich auch an einem anderen Beispiel, das mit dem eigentlichen Projekt zunächst wenig zu tun hat. Seit Monaten häuft sich die Kritik am derzeitigen Fußgängerleitsystem in der Innenstadt. Die grauen Stelen, die auf Sehenswürdigkeiten und Institutionen hinweisen, sind 2006 zur Fußball-Weltmeisterschaft aufgestellt worden. In aller Schnelle und ohne dass es derzeit beim Tiefbauamt einen Etat dafür gäbe. Viele der Hinweistafeln sind deshalb zugeklebt, krumm oder zeitweise nicht mehr aktuell.

Zuletzt hat es rund ein Jahr gedauert, bis die Hinweise auf die neue Stadtbibliothek aufgenommen worden sind. Bis vor wenigen Wochen wurden Besucher noch immer zum Wilhelmspalais geschickt. „Der Bezirksbeirat hat mindestens fünfmal darauf hingewiesen, bis endlich etwas passiert ist“, klagt Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin in Mitte. Sie spricht inzwischen von einem „Fußgängerleidsystem“, das niemanden motiviere, die Stadt zu Fuß zu erkunden.

Stadt will das Thema Fußgänger strukturiert angehen

Damit ist sie nicht allein. „Die Schilder sind miserabel“, bekräftigt Citymanager Hans H. Pfeifer. Und Heinz Reinboth von der Interessengemeinschaft Königstraße bemängelt die Tafeln mit den Stadtplänen: „Auf der einen Seite tragen sie Werbung – aber keinen Hinweis darauf, dass sich auf der anderen ein Stadtplan befindet.“ Das Tiefbauamt entgegnet, man tue was möglich sei. Auch Aktualisierungen würden gemacht wo nötig. Das Leitsystem sei darauf ausgelegt, dass man auch Änderungen in der Beschilderung vornehmen könne.

Die Stadt will das Thema Fußgänger künftig ähnlich strukturiert angehen wie zuletzt das Thema Radfahren. Seit es dort klare Leitlinien gebe, sei der Anteil des Radverkehrs spürbar gestiegen, sagt OB Wolfgang Schuster und bekräftigt: „Es ist Zeit, dass wir Strukturen schaffen, die der Bedeutung des Fußverkehrs gerecht werden.“ Bezirksvorsteherin Kienzle wünscht sich, dass man „von der Politik der gut gemeinten Vorsätze wegkommt hin zu Lösungen, die auch im Alltag dauerhaft tragfähig sind“. Das bedeute, lieber weniger Projekte umzusetzen, dafür aber konsequent und durchdacht. „Man kann viel machen, wir müssen jetzt nur den richtigen Weg finden“, sagt Forderer. An Arbeit mangelt es sicher nicht.