Eine gepolsterte Truhe Foto: Christoph Kutzer

„Der fliegende Teppich“ – aufgeführt im Hinterzimmer eines Blumenladens – entführt das Publikum aus dem Stuttgarter Westen nach Istanbul.

S-West - Orientalische Auslegewahre bedeckt den Boden im Theaterraum der Blumeninsel am Hölderlinplatz. Ob einer der Teppiche fliegen kann, ist schwer zu sagen. Noch liegen zumindest alle ordnungsgemäß an ihrem Platz. 23 Gäste tummeln sich bereits auf den Sitzgelegenheiten – Stühlen, Hockern und Bänken entlang der Wände. Nur die gepolsterte Truhe neben dem Eingang bleibt am Samstagabend unbesetzt. Dort liegt ein Zettel: „Bühne – bitte freihalten“.

Eine Truhe ist die Bühne

Das von Teeduft durchwehte Kultur-Wohnzimmer hinter dem floristischen Laden ist ein kleines Paralleluniversum. Hier gelten andere Gesetze als draußen. Dass sich die gute Stube binnen weniger Minuten in einen überdachten Basar verwandelt, verwundert da nicht. Dilaver Gök, der gemeinsam mit seiner Frau Angelika Müller dafür verantwortlich ist, dass in der Johannesstraße Kunst und Pflanzen Blüten treiben, benötigt nicht mehr als eine rote Mütze, seinen Charme und Witz, um die Anwesenden aus dem Stand mitten ins Herz seiner Lieblingsstadt Istanbul zu versetzen, wo in einem Teppichladen die deutsche und die türkische Kultur aufeinanderprallen: mit scharfem Blick für die jeweiligen Eigenheiten, aber auch mit der nötigen selbstironischen Distanz. „Der fliegende Teppich“ ist komisch, von daher trifft der Begriff Comedy durchaus zu. Mit Stand-up-Humor hat das Ein-Mann-Stück, das auf einer Kurzgeschichte von Gök basiert, nichts zu tun. Dafür steckt zu viel Hintersinn in den Ausführungen des spitzbübischen Händlers, den er verkörpert. Sätze wie „Wenn die Seele satt ist, beschwert sich der Magen nicht“ schwingen im Anschluss an die Vorstellung nach.

Doch der diplomierte Geophysiker Gök, der auch schon im Schauspielhaus oder im Jugendtheater JES auf der Bühne stand, kümmert sich nicht nur um die geistige Nahrung. Er bezieht sein Publikum mit ein, indem er die Rollen der deutschen Touristen Monika und Thomas (hier: Thomhans, denn Deutsche Männer heißen nun einmal Hans, wie alle Türken Ali heißen) immer wieder spontan an Zuschauer delegiert. Wenn das orientalische Verkaufsgenie seine Kunden mit kostenlosem Tee, Börek oder Raki umgarnt, verschwindet der eloquente Schauspieler immer wieder im Vorraum und kehrt mit Tabletts voller Speis und Trank zurück, die er den Besuchern angedeihen lässt. Ein paar kräftige Spritzer Parfüm gibt es obendrein. „Braucht jemand eine Sauerstoffmaske?“, fragt der quirlige Anatolier augenzwinkernd. Man kann mit Fug und Recht behaupten: „Der fliegende Teppich“ sei Theater für die Sinne.

Aladin kommt mit Wunderlampe vorbei

Mit der Zeit verschwimmen die Realitätsebenen in dem Hinterzimmer des Blumenladens mehr und mehr. Beim imaginären Besuch in der Blauen Moschee kniet ein Herr aus der ersten Reihe in Gebetshaltung neben Gök, und als dieser einen Katalog mit Textilmustern herumgehen lässt und auf den Geschäftsabschluss zusteuert, rechnet man fast damit, dass irgendjemand tatsächlich den Geldbeutel zücken wird.

Ob die Teppiche in der Blumen Insel fliegen könne? Zumindest widerspricht niemand, als der pfiffige Händler behauptet, er sei Aladin und sein Kopf die Wunderlampe. Die Fantasie ist nach diesem ganz besonderen Theaterabend beflügelt. Und lehrreich ist er obendrein. Beim Weg hinaus, der wieder durch den Blumenladen führt, weiß man nun, dass die Tulpe osmanische Wurzeln hat.