Das Park-Café 1964 an der Neckarstraße. Für mehr Bilder klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie. Foto: Eberhard Kenner

Rock, rock, rock everybody: Ob im Young People Club, Park-Café oder Tivoli – der Rock’n’Roll hat in den 1960ern Stuttgart mit voller Wucht gepackt. Zeitzeugen erinnern sich im Stuttgart-Album an peitschende US-Gitarren im „Städtle“ und anderswo.

Stuttgart – „Ein Schaltjahr gibt es alle vier Jahre“, stand auf dem rötlichen Werbezettel, den man heute Flyer nennen würde. Eberhard Kenner, der bis zu seinem Ruhestand als Ingenieur der Nachrichtentechnik gearbeitet hat, hütet das Papier von 1964 wie einen seltenen Schatz.

Ein Schaltjahr mag es nur alle vier Jahren geben – doch eine Band wie die Tielman Brothers gibt es noch viel seltener. „Die teuerste Showband des Kontinents“, stand auf der Ankündigung. Als Rhythmusgitarrist spielte Kenner damals bei den Dynamites in Esslingen – sie waren die Hausband des dortigen Twistkellers („Club Bratpfanne“) – und besuchte mit den Jungs im Mai 1964 die Tivoli-Bar an der Hauptstätter Straße, eine Bretterbude in den Vereinigten Hüttenwerken auf dem Gelände des heutigen Schwabenzentrums. „Als wir die Tielman Brothers zum ersten Mal spielen sahen“, erinnert er sich, „blieben wir wie angewurzelt am Eingang der Tivoli-Bar stehen, jeder mit offenem Mund – denn so etwas hatten wir noch nie gesehen und gehört.“

Eberhard Kenner, der kürzlich zur Präsentation des neuen Stuttgart-Album-Buchs zum Stadtschreibtisch der Stuttgarter Nachrichten bei Wittwer kam, gerät auch fünf Jahrzehnte danach noch ins Schwärmen: „Diese Soli, dieser Bassdruck, dieser Rhythmus, dieser Sound! Ricke-tacke-ricke-tacke oder tatatah-tatatah-tatatah oder so hörte sich das an. Unser Leadgitarrist sagte, das sind die Weltmeister. Wir setzten uns, wenn’s ging, immer an die Tische in der ersten Reihe und guckten uns die Gitarrenläufe, den Staccato-Rhythmus und die Show-Elemente ab, um diese dann, so gut es ging, in unsere Auftritte einzubauen.“

Die indonesisch-niederländische Ausnahme-Band The Tielman Brothers hatte einen Musikstil entwickelt, der Jahre später als Indo-Rock bezeichnet worden ist. Die Spielweise machte die Aufrüstung der normalen, sechssaitigen Sologitarre auf neun oder zehn Saiten erforderlich. Tiefer gestimmt und mit Oktavsaiten versehen, konnte etwa die weltbekannte Zither-Ballade „Der Dritte Mann“ in der Rock-Version gespielt werden. „Die monatlichen Gagen der Tielman-Boys bewegten sich in Höhen von 10.000 bis 25.000 D-Mark“, weiß Kenner, „Hauptauftrittsorte waren die Rotlichtviertel in süddeutschen Garnisonsstädten, in denen US-Soldaten stationiert waren, darunter Stuttgart.“ Außer den Esslinger Dynamites präsentierten im Großraum Stuttgart nur noch zwei weitere Amateur-Bands den Indo-Rock: die Birds aus Ludwigsburg und die Robots aus Reutlingen. Ihr Ausrüster war das Radio-Musikhaus Barth am Rotebühlplatz. „In Musikerkreisen hat es sich zum Mekka für modernes Band-Equipment entwickelt“, sagt Kenner.

Seine Dynamites, die sich Ende 1965 aufgelöst haben, traten unter anderem im Park-Café an der damaligen Neckarstraße auf (heute Willy-Brandt-Straße). Sein Foto mit den roten Vorhängen und der geschwungenen „Café“-Schrift hat auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums viele Erinnerungen geweckt. „Wir waren dort tanzen vom Herbst 1962 bis 1965“, schreibt Ingrid Blaschke, „es war toll!“ Eine Freundin habe dort hinter roten Vorhängen ihren Mann kennengelernt – eine Liebe fürs Leben. Beide sind seit 49 Jahren verheiratet. Eine weitere Facebook-Besucherin lässt wissen, dass vor ihrer Geburt ihre Mutter in dem längst abgerissenen Park-Café, das sich gegenüber dem heutigen Hotel Le Méridien befand, zwischen 1957 und 1962 getanzt und noch viele Jahre später darüber gesprochen habe.

Ebenfalls in der Neckarstraße befand sich mit der Hausnummer 77 der Young People Club, der am 15. Mai 1960 als Kellerlokal eröffnet wurde. Bis 1964 gab es ihn, ehe daraus das Jazzhouse 77 von Uli Braunschweiger hervorging. Auch dieses Gebäude existiert heute nicht mehr. An den abgerundeten Wänden des Young People Club hingen Bilder von Rock’n’Roll-Stars wie Bill Haley, bei dessen Auftritt 1958 auf dem Killesberg Stühle zu Bruch gegangen waren. Die Polizei hielt „Halbstarke“, wie man sie damals nannte, in Schach.