Arbeiter betonieren im November das letzte Stück des Dachs des neuen Tiefbahnhofs. (Archivbild) Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Die Bahn hält an der Inbetriebnahme des neuen Hauptbahnhofs im Dezember 2025 fest – zumindest noch. Denn die Zweifel mehren sich. Diese Woche könnten wichtige Entscheidungen fallen.

Seit mehr als zehn Jahren leben die Menschen in Stuttgart mit einer Mega-Baustelle mitten in ihrer Stadt. Dort, am Hauptbahnhof, baut die Bahn einen neuen Tiefbahnhof, besser bekannt als Stuttgart 21. Der soll eigentlich im Dezember 2025 in Betrieb gehen, die Deutsche Bahn (DB) hält daran noch fest. Es mehren sich aber die Stimmen, die daran zweifeln, ob der Termin zu halten sein wird. Eine Entscheidung darüber könnte bereits in dieser Woche fallen: Am Mittwoch tagt in Berlin der Aufsichtsrat der Bahn, am Freitag sollen die Projektpartner über die geplanten Inbetriebnahmekonzepte informiert werden. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Milliardenprojekt Stuttgart 21.

Das Projekt Stuttgart 21 steht nicht nur für den Bau des neuen Hauptbahnhofs in der Landeshauptstadt, sondern für die komplette Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart. Gebaut werden neue Bahnhöfe - etwa ein neuer Fernbahnhof am Flughafen - Dutzende Kilometer Schienenwege und Tunnelröhren, Durchlässe sowie Brücken. Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm schließt neben Stuttgart 21 auch den Neubau der bereits 2022 eröffneten Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm ein. Herzstück von Stuttgart 21 ist der neue unterirdische Hauptbahnhof, der im Gegensatz zum bisherigen Kopfbahnhof ein Durchgangsbahnhof sein wird. 

„Die 21 stand nie für das Fertigstellungsjahr“

„Um ein häufiges Missverständnis auszuräumen: Die 21 bei Stuttgart 21 stand noch nie für ein Fertigstellungsjahr“, teilte ein Bahnsprecher mit. Dagegen steht die 21 im Projektname für das 21. Jahrhundert. Unter dem Namen „Bahnhof 21“ seien in den 90er-Jahren verschiedene Projekte gestartet worden, mit denen Bahnknoten in ganz Deutschland fit für das 21. Jahrhundert gemacht werden sollten, erklärte der Sprecher. So seien etwa die Projekte „Neu-Ulm 21“, „Saarbrücken 21“ und „Lindau 21“ umgesetzt worden.

Wann auch Stuttgart 21 in Betrieb gehen soll, ist nicht ganz klar. Die Bahn hält an einer Inbetriebnahme im Dezember 2025 fest - zumindest noch. Denn es mehren sich schon länger die Hinweise, dass dieser Termin nicht mehr zu halten sein wird. Im Dezember sprach DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber von „ein paar Herausforderungen“. Probleme bereitet vor allem der Einbau der digitalen Infrastruktur im neuen Bahnknoten. Es seien mehrere Meilensteine nicht erreicht worden, hatte Huber damals gesagt. Das ist deswegen ein Problem, weil Züge des Fern- und Regionalverkehrs sowie S-Bahnen im Bahnknoten mit dem digitalen Zugsicherungssystem ETCS fahren sollen - und zwar nur damit. Klassische Lichtsignale werden im Stuttgarter Bahnknoten nicht mehr verbaut.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) warnte bereits im Dezember vor einem „Holperstart“ und bracht vergangene Woche eine Verschiebung der Inbetriebnahme ins Spiel - um vorher ausreichend Testläufe im neuen Tiefbahnhof durchführen zu können. „Es wäre eine Möglichkeit, dass man Ende 2025 mit dem Erproben und Üben anfängt - und wenn es dann sitzt, macht man erst den Wechsel und nicht vorher“, sagte Hermann. Die Entscheidung darüber liege aber komplett bei der Bahn, so Hermann. Möglich wäre eine Entscheidung bereits in dieser Woche. Am Mittwoch tagt der DB-Aufsichtsrat, am Freitag sollen die Projektpartner - also das Land, die Stadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart - über Inbetriebnahmekonzepte informiert werden.

Bei der Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung im Jahr 2009 sahen die Pläne laut Bahn eine Einweihung im Jahr 2019 vor. Als Gründe für die mehrmalige Verschiebung nach hinten nennt das Unternehmen mehrere Punkte: Klagen gegen das Projekt und geänderte Auflagen etwa beim Brandschutz. Weitere Faktoren für die Verzögerungen seien der „geologisch anspruchsvolle Untergrund im Stuttgarter Stadtgebiet“ oder aufwendige Genehmigungsverfahren durch geänderte Gesetze beim Artenschutz. Kritiker des Projektes werfen der Bahn vor, die Probleme und Risiken bereits früh gewusst und Kosten und Bauzeit geschönt zu haben. 

Rund elf Milliarden Euro soll Stuttgart 21 laut der Bahn kosten

Die Bahn taxiert die Kosten für Stuttgart 21 auf rund elf Milliarden Euro. In den vergangenen Jahren hatte es mehrfach deutliche Kostensteigerungen gegeben. In einem Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 ist die Verteilung von Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro geregelt. Unklar ist aber, wer die Kosten übernehmen muss, die darüber hinausgehen. Die Bahn hat deswegen die Projektpartner auf eine Beteiligung an den Mehrkosten verklagt.  Diese bewegen sich mittlerweile in Milliardenhöhe. Einer der Knackpunkte des Verfahrens ist die Auslegung einer sogenannten Sprechklausel, die für den Umgang mit möglichen Kostensteigerungen vereinbart wurde. Darin heißt es: „Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf.“ Was mit der Klausel genau gemeint ist, ist zwischen den S21-Partnern aber höchst umstritten. Die Deutsche Bahn geht von einer „gemeinsamen Finanzierungsverantwortung“ aus. Die restlichen Partner sehen das anders und pochen darauf, dass Festbeträge vereinbart worden sind. Die Klausel verpflichtet ihrer Ansicht nach lediglich zu Gesprächen.

Durch das Projekt sollen sich die Fahrzeiten deutlich verringern

Durch das Projekt verringern sich die Fahrzeiten teils deutlich. Laut Bahn brauchen Fahrgäste von Ulm nach Stuttgart künftig nur noch 27 statt bisher 56 Minuten - rund die Hälfte der eingesparten Reisezeit geht allerdings auf die Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm und nicht auf Stuttgart 21 zurück. Durch die Anbindung des Flughafens an den Fernverkehr verringert sich auch die Anfahrt für Fluggäste. Zudem verweist die Bahn darauf, dass der Durchgangsbahnhof in Stuttgart neue umsteigefreie Verbindungen im Regionalverkehr ermöglicht. Der neue Bahnhof habe zudem acht zu- und abführende Gleise, der bisherige Kopfbahnhof nur fünf. Dadurch könne der Bahnhof künftig deutlich mehr Zugverkehr abwickeln als bisher. 

Das bezweifeln die Kritiker des Projektes. „Es entsteht ein großer Verkehrsschaden für die ganze Region und das ganze Land durch diesen lächerlich kleinen Bahnhof“, kritisierte Martin Poguntke, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Die Projektgegner werfen der Bahn vor, bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit des Bahnhofs unrealistische Annahmen zugrunde gelegt zu haben. So seien etwa beim Stresstest, der die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs nachweisen sollte, sehr kurze Haltezeiten angenommen worden. „Nachmittags um drei ist ein Zug schnell geleert. Aber im Berufsverkehr lassen sich diese Haltezeiten nicht realisieren“, sagte Poguntke. 

Geschäfte, Gastronomie und ein Hotel

Der sogenannte Bonatzbau, das Hauptgebäude des bisherigen Hauptbahnhofs mit seinem Turm, soll erhalten bleiben und modernisiert werden. Darin sollen laut Bahn künftig Geschäfte und Gastronomie unterkommen, zudem ist ein Hotel geplant. Auf den großen bisherigen Gleisflächen mitten in der Stuttgarter Innenstadt will die Stadt Stuttgart das neue Stadtviertel Rosenstein entstehen lassen. Dazu hat die Stadt bereits 2001 die frei werdenden Grundstücke von der Bahn gekauft. 

Ja, kann man. Auf der Internetseite des Unterstützervereins, der auch den roten Infoturm direkt am Bahnhof betreibt, kann man Führungen für die Bahnsteighalle, mehrere Tunnel und auch die Baustelle am Flughafen buchen. Komplett ohne Anmeldung kann die Baustelle über Ostern besichtigt werden. Dann finden erneut die Tage der offenen Baustelle statt. Von Karsamstag (30. März) bis Ostermontag (1. April) können Besucherinnen und Besucher von 10.00 bis 17.00 Uhr den Baufortschritt anschauen.