Polizeieinsatz bei Stuttgart-21-Demo am 30. September 2010: Pfefferspray muss aus den Augen gespült werden Foto: dpa

Der missratene Polizeieinsatz am sogenannten Schwarzen Donnerstag 2010 war auch für den Rettungsdienst eine heiße Schlacht. Beim Wasserwerfer-Prozess im Landgericht kritisiert der damalige DRK-Einsatzleiter, von der Polizeiführung nicht informiert worden zu sein.

Stuttgart - Ralph Schuster hat schon vieles gesehen. Flugzeugabstürze, Tote, Großeinsätze aller Art. Mit seinen 39 Jahren ist er bereits Rettungsdienstleiter des DRK-Kreisverbands Göppingen, vorher war er viele Jahre in leitenden Funktionen beim Stuttgarter Roten Kreuz tätig. An jenem 30. September 2010, als der Polizeieinsatz um die Räumung eines Teils des Mittleren Schlossgartens zum Desaster geriet, war Schuster als Einsatzleiter der Rettungskräfte an der Front. Am Montag berichtet er als Zeuge beim Prozess gegen zwei Polizei-Abschnittsleiter, der seit Juni im Landgericht läuft, von haarsträubenden Versäumnissen bei der Planung und beim Einsatz.

„Vor 12.39 Uhr wussten wir noch gar nichts von den Geschehnissen und dem Großeinsatz der Polizei im Park“, sagt DRK-Mann Schuster im Zeugenstand. Die ersten 15 Rettungskräfte seien auch erst gegen 13 Uhr am Schauplatz eingetroffen. Die Uhrzeiten sind vor allem deshalb bedeutsam, weil der Kampf um ein Baufeld für das Bahnprojekt Stuttgart 21 da schon im vollen Gange war: Um 11.53 Uhr hatten die Polizeieinheiten grünes Licht für den unmittelbaren Zwang gegen die Blockierer im Park, um 12.18 Uhr waren Schlagstock und Pfefferspray freigegeben. Und um 12.48 Uhr traten erstmals die Wasserwerfer in Aktion.

Damit nicht genug. Schuster sagt, dass es auch nicht die Polizeiführung war, die das DRK informiert hatte. „Es war eine Rettungswagenbesatzung, die zu einem Kreislaufkollaps gerufen worden war und im Bereich des Schlossgartens plötzlich Verletzte auf sich zurennen sah“, so Schuster.

Dass die Polizei das DRK bis dahin vergessen hatte, ist für Schuster absolut einmalig: „Es war vorher und ist auch danach üblich, dass man solche Einsätze gemeinsam bespricht“, sagt der damalige DRK-Einsatzleiter. So aber ging man unvorbereitet ins Chaos. Und ins Feuer.

Denn auch die ersten Helfer wurden zu Prügelknaben. „Wir wurden von Demonstrationsteilnehmern massiv angegangen“, sagt Schuster. Die Vorwürfe an ihn: „Da gibt es Hunderte Verletzte, da sterben Kinder, und Sie helfen nicht!“ Die ersten Kräfte bauten hinter dem Biergarten, 150 Meter abseits der Schusslinie, einen Zelt-Behandlungsplatz für 50 Patienten auf. Weil die Helfer laut Protokoll „von Störern belagert und belästigt“ wurden, forderte Schuster mehrfach Polizeischutz an: „Wenn eine Menge in Panik ist, werden Sie überrannt, wenn Sie da Zelte stehen haben.“ Aber erst um 14.32 Uhr wurden die Helfer erhört.

Wie viele Verletzte der Schwarze Donnerstag gefordert hatte – das bleibt im Dunkel. Der Rettungsdienst hat 114 ambulante Behandlungen und 16 Transporte ins Krankenhaus registriert. Zu den 130 offiziellen Verletzten kommen noch 34 Polizisten dazu. Macht also mindestens 164 Opfer. Die Kliniken zählten noch 20 Patienten, die ohne Rettungsdienst erschienen seien. Das wären dann 184 Verletzte.

Die Parkschützer rechnen vor, dass ihre unabhängigen Demosanitäter auf dem Platz des Biergartens 320 Betroffene mit Augenreizungen behandelt hätten, zusätzlich habe es 47 Opfer mit Prellungen, Kopfplatzwunden und Augenverletzungen gegeben. Wie viele von diesen 367 Verletzten aber in der offiziellen Statistik enthalten sind, weil sie sich auch zum DRK-Zeltplatz begeben hatten, ist unklar. „Fest steht jedenfalls, dass es keinen Schädelbasisbruch und keinen Todesfall gegeben hat, wie es vonseiten der Demonstranten immer wieder behauptet wurde“, stellt DRK-Mann Schuster fest.

Am Mittwoch soll Ex-Polizeipräsident Siegfried Stumpf gehört werden. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ob er aussagen wird, ist daher eher zweifelhaft.