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Die Politik erkennt, dass Planfeststellungen und Parlamentsbeschlüsse nicht alles sind.

Stuttgart - Hat der Schwarze Donnerstag die Schwarzen um die Macht gebracht? Er kostete Stefan Mappus, den manche als politischen Drahtzieher hinter dem Fiasko im Schlossgarten vermuten, bei der Landtagswahl gewiss Stimmen. Doch die Folgen reichen weit darüber hinaus.

Am Tag danach ist der Mann der Macht kleinlaut. "Die Bilder von gestern dürfen sich nicht wiederholen", sagt Ministerpräsident Mappus - auch wenn seine Getreuen markige Parolen ausgeben. Dem CDU-Vormann ist im Oktober 2010 klar: Er muss verbal abrüsten, ohne Stuttgart 21 infrage zu stellen - ein Drahtseilakt zwischen Härte und Gesprächsbereitschaft.

Gesprächsbereit zeigt sich Mappus insofern, als er Heiner Geißler als Schlichter beruft und damit einen Grünen-Vorschlag aufgreift. Seine Regierungserklärung ist ein Friedensangebot. Doch ebenso schroff weist er den Verdacht von sich, er habe den Wasserwerfereinsatz quasi befohlen. Hat er nicht? Das wollen SPD und Grüne genau wissen und setzen im Landtag einen Untersuchungsausschuss ein.

Bis kurz vor Weihnachten kommen dort Polizisten, Demonstranten und Minister zu Wort. Doch den schlagenden Beweis, dass die Politik den Einsatzkräften am 30. September ins Handwerk gepfuscht hat, findet der Ausschuss nicht. Dennoch kommen Rote und Grüne zum Schluss, Mappus habe die Polizei mit seinem auf Konfrontation angelegten Kurs unter Druck gesetzt und "auch für den Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray grünes Licht gegeben".

Das schließen sie vor allem aus einer Besprechung vom 29. September in der Villa Reitzenstein. Mappus hat dort Polizeiführer und Ministeriale zusammengerufen, um den besten Termin für die heikle Baumrodung im Schlossgarten abzuklären: Ist das der 30. September, wie der Stuttgarter Polizeichef Siegfried Stumpf meint? Oder ein Tag im Oktober, wofür Landespolizeipräsident Wolf Hammann plädiert? Es geht um die Frage, ob genügend Einsatzkräfte in der City sind - wovon Hammann sich letztlich überzeugen lässt: "Die Bedenken wegen fehlender Einsatzkräfte waren ausgeräumt", sagt er.

Doch die damalige Opposition sieht ganz andere Beweggründe in der Terminwahl: Mappus wollte die Bäume vor seiner für 7. Oktober geplanten Regierungserklärung gefällt haben. Kronzeuge ist ein Mannheimer Einsatzgruppenleiter, der raunt: "Da hatte jemand die Hand im Spiel." Die große Mehrzahl der Zeugen widerspricht dem jedoch.

Die Polizei war überfordert

So fällt es der CDU-FDP-Mehrheit leicht, der Landesregierung einen Persilschein auszustellen: "Die Beweisaufnahme hat gezeigt, dass es keine politische Einflussnahme auf das polizeiliche Handeln (...) gegeben hat", heißt es im Abschlussbericht. Aber hätte Mappus nicht vorsorglich den Einsatz von Wasserwerfern unterbinden müssen? Und hat er nicht durch das Treffen an sich schon Druck erzeugt?

Der Landtag bietet darauf in seinem Abschlussbericht zwei unterschiedliche Antworten - je nach Standpunkt. Wer daraus nun schließt, der Untersuchungsausschuss sei für die Katz gewesen, täuscht sich. Die Schilderung des 30. September aus unterschiedlichen Blickwinkeln sowie die Videoaufnahmen von Demonstranten und Polizisten haben ein umfassendes Mosaik zusammengesetzt. Und der Ausschuss räumt mit Legenden auf - so etwa mit jener, die Besatzung der Wasserwerfer habe bewusst Demonstranten von Bäumen geschossen.

Am Ende steht auch die Erkenntnis, dass die Polizei von der Entschlossenheit der Demonstranten überfordert war und auch deshalb Zuflucht zu einer Machtdemonstration suchte - was sich als fatal erwies. Zurückweichen wäre das Mittel der Wahl gewesen, das räumt nun auch die Polizeiführung ein, die diese Taktik wohl künftig mit weniger Scheu anwenden wird. Und am 20. Juni 2011 auch angewendet hat, als Protestierer die Grundwasseranlage stürmten.

Eine noch einschneidendere Folge hat der Schwarze Donnerstag für die politische Kultur. Denn die Eskalation hat auch Befürwortern von Stuttgart 21 vor Augen geführt, dass Planfeststellungen und Parlamentsbeschlüsse als Legitimation für Großprojekte nicht ausreichen. Vor allem dann nicht, wenn sie Jahre zurückliegen. Die Politik muss der Bevölkerung frühzeitig Alternativen aufzeigen - das Fazit vieler Anhörungen und Konferenzen, die nach dem 30. September zum Thema abgehalten wurden.

Auch die CDU hatte das Thema Bürgerbeteiligung entdeckt und gegen Ende der Wahlperiode sogar eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Den Wähler hat das nicht mehr überzeugt: Schwarz-Gelb ist am 27. März vom Hochseil abgestürzt. Grün-Rot geht bei der Bürgerbeteiligung eigene Wege. Wo diese hinführen, lässt sich noch nicht erkennen.