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Prüfer halten aber Mehrkosten für möglich - Bahn: Budget von 4,527 Milliarden Euro reicht aus.

Stuttgart - Stuttgart21 liegt noch im Finanzierungsrahmen von 4,5 Milliarden Euro. Dieses Fazit haben drei Wirtschaftsprüfer am Freitag in der Schlichtung präsentiert. Ein Prüfer meldet allerdings erhebliche Bedenken an. Die Projektgegner warnen gar vor einem "finanziellen Desaster".

Seit 16 Jahren plant die Deutsche Bahn AG an dem Projekt Stuttgart21. Die drei Wirtschaftsprüfer, die im Auftrag der Stuttgart-21-Schlichtung die Projektfinanzierung untersuchen sollten, hatten im Gegensatz dazu nur 13 Tage Zeit. Trotzdem konnten sie am Freitag eine sogenannte Gesamtwürdigung abgeben: Demnach gibt es derzeit "keine konkreten Hinweise" dafür, dass der Finanzierungsrahmen von Stuttgart21 von rund 4,5 Milliarden Euro nicht ausreichen könnte.

15 Wirtschaftsprüfer im Einsatz

Die Kalkulation der Bahn gehe allerdings von großen Einspar- und Optimierungspotenzialen aus, die "eher als optimistisch einzuschätzen" seien, betonten die drei Vertreter der Wirtschaftsprüfungsfirmen Pricewaterhouse Coopers, Susat&Partner und Märkische Revision in der Stellungnahme. Auch die Berechnung von künftigen Risiken, also während der geplanten Bauzeit von 2010 bis 2019, sei "mit hohen Unsicherheiten behaftet". Die Experten waren eingeschaltet worden, weil es um vertrauliche Zahlen aus dem Kernbereich der Bahn AG geht, die für Außenstehende tabu sind. Für die "sehr schwierige Arbeit" (Geißler) waren bis zu 15 Wirtschaftsprüfer der drei Firmen im Einsatz.

Zu Beginn der Sitzung im Rathaus meldete sich Schlichter Heiner Geißler in eigener Sache zu Wort und wiederholte seine Einschätzung, dass es für seinen Schlichterspruch am Dienstag wichtig sein werde, ob man Mittel und Wege finde, die durch Stuttgart21 frei werdenden Bahn-Areale "der Spekulation zu entziehen". Die 100 Hektar gehören seit 2001 der Stadt. Wie Geißlers Lösung aussieht, ist offen. Im Gespräch ist offenbar die Überführung der Flächen in eine unabhängige Stiftung.

"Die Bürger in der Stadt und im Land erwarten, dass wir hier etwas Ordentliches zustande bringen", nahm Geißler die Schlichtungsrunde nochmals ins Gebet. Dann ging es mitten hinein in eines der größten Streitthemen von Stuttgart21 - den Finanzen. Bahn-Vorstand Volker Kefer stellte zur Einführung dar, wie die Bahn zur aktuellen Investitionssumme gekommen ist. Im April 2009 hatten Bund, Bahn, Land, Stadt, Region und Flughafen die Verträge für Stuttgart21 (3,076 Milliarden Euro) und für die ICE-Strecke Wendlingen-Ulm (2,025 Milliarden Euro) unterzeichnet. Diese Beträge haben sich aber inzwischen auf 4,088 Milliarden Euro für Stuttgart21 sowie 2,89 Milliarden Euro für die ICE-Strecke erhöht.

Sind die Einsparungen realistisch?

Der Bahn-intern angesetzte Betrag für Stuttgart21 lag vor knapp einem Jahr sogar bei 5,22 Milliarden Euro. Weil das Projekt für den Konzern aber nur bis zu einer Kostenobergrenze von 4,769 Milliarden rentabel ist, musste gespart werden. Ob die Einsparungen realistisch sind, ist die zentrale Streitfrage beim Thema Kosten.

Für die Gegner ist schon die Tatsache, dass sich die Kosten seit der ersten Präsentation von Stuttgart21 im Jahr 1994 bis heute fast verdoppelt haben, Anlass genug zur Klage. "Das Vertrauen in ihre Zahlen ist zu Recht beschädigt", warf Winfried Kretschmann (Grüne) Kefer vor. Kretschmann rechnet allein wegen nötigen baulichen Nachbesserungen an Stuttgart 21 mit 500 Millionen Euro Mehrkosten. Andere Kritiker rechnen hier mit 435 Millionen Euro Mehrkosten. "Wir bezweifeln, dass Kosten und Nutzen in einem guten Verhältnis stehen", sagte Kretschmann. Darum stelle man das Projekt infrage und suche Alternativen. Auch die Landesregierung müsse das Gebaren ihres Projektpartners Bahn "höchst kritisch" sehen. "Stuttgart21 droht zum finanziellen Desaster zu werden", warnte Kretschmann.

Kefer hält die Sparpotenziale von 598 Millionen Euro durch einen günstigeren Einkauf, etwa bei Baustahl, oder durch die Herabsetzung von Kaufpreisen für benötigte Grundstücke für plausibel. Letzteres würde auch die Stadt negativ zu spüren bekommen. Sie soll benötigte Bauflächen um bis zu 30 Millionen Euro günstiger abgeben.

Kosten des Tunnelbaus zu niedrig angesetzt

Weitere 294 Millionen Euro will die Bahn durch bautechnische Optimierung hereinholen: durch "angepasste Konstruktion" der 50 Kilometer Tunnel an die Geologie - sprich: dünnere Wände bei geringerem Druck im Berg -, durch Tunnelbohrmaschinen oder günstigere Bahntechnik.

Bei einer Bausumme von 4,088 Milliarden Euro - wobei für 85 Prozent der Summe genehmigte Pläne vorlägen - gebe es immer noch einen mit allen Projektpartnern vereinbarter Risikopuffer von 438 Millionen Euro, betonte Kefer. Zwischen dem jetzigen Planungsstadium und der Fertigstellung komme es "immer zu Kostensteigerungen von 50 bis 100 Prozent", das zeige die Erfahrung, konterte Gutachter Michael Holzhey. Grund dafür seien vor allem die schlechten Planungen, hohe Nachforderungen der Baufirmen, und "politisch motivierte Kostenangaben" der Bahn. Für seine Pauschalkritik handelte sich Holzhey freilich einen Rüffel des Moderators ein. "Wir machen hier Faktenschlichtung, keine Spekulationsschlichtung", polterte Geißler.

Gutachter Martin Vieregg warnte, dass Stuttgart21 am Ende rund 6,9 Milliarden Euro kosten werde. Verglichen mit anderen, abgeschlossenen Bahnprojekten würden die Kosten des Tunnelbaus bei Stuttgart21 viel zu niedrig angesetzt, kritisierte Vieregg. Auch die geplanten Einsparungen sind für ihn "mit vielen Aber verbunden".

Wirtschaftsprüfer Hans-Henning Schäfer (Märkische Revision) betonte, dass er bei den Spar- und Optimierungsbemühungen der Bahn "signifikante Risiken" sehe. Darum sieht er den Risikopuffer auf nur noch 318 Millionen Euro abgeschmolzen. Auch in der weiteren Realisierung des Projekts sieht Schäfer ein erhöhtes Risiko für Kostensteigerungen, die "nicht mehr gesamtkostenneutral abzufangen" sind. Sprich: Das Projekt könnte über 4,5 Milliarden Euro kosten. Für den Fall sehen die Verträge neue Verhandlungen zwischen Bahn und Land vor.