Nach der Räumung der Blockade wird der 19-Jährige von Sanitätern (Bild) versorgt: Im Krankenhaus diagnostizieren die Ärzte später eine Schädelprellung und eine Stirnwunde Foto: Erwin Röstel

19-Jähriger stellt Strafanzeige nach Räumung von Sitzblockade - Hartes Vorgehen kritisiert.

Stuttgart - Ein 19-jähriger Stuttgart-21-Gegner, der bei der Räumung einer Sitzblockade von Polizeibeamten am Kopf verletzt wurde, hat Strafanzeige gestellt. Einige Zeugen bestätigten den Fall; sie werfen den Einsatzkräften unnötige Brutalität vor. Die Polizeiführung prüft die Vorwürfe.

Es ist Donnerstag, frühmorgens um 5.30 Uhr. Seit Stunden lagern 50 bis 70 Demonstranten vor dem Nordflügel des Hauptbahnhofs. "Dann wurden wir gewarnt, dass der zweite Abbruchbagger für die Baustelle auf der Anfahrt ist", erinnert sich Matthias K. Der 19-Jährige hockt sich mit seinen Mitstreitern vor der Zufahrt zum Bauplatz auf den Boden - so, wie sie es noch in derselben Nacht bei der letzten Probe zur Sitzblockade geübt haben.

Vor dem Tieflader mit dem 60-Tonnen-Bagger zum Abbruch des Nordflügels rückt ein starkes Polizeiaufgebot zum Hauptbahnhof vor. Beobachter meinen, es seien bis zu 200 Beamte. Bei den Gegendemonstranten verliest ein Mitglied der Parkschützer-Initiative über Megafon den sogenannten Aktionskonsens der Gruppe zum gewaltfreier Widerstand. "Die Stimmung bei uns war hektisch, aber friedlich", sagt Matthias.

Die Stuttgart-21-Gegner warten darauf, dass sie von den Beamten drei Mal hintereinander zum Gehen aufgefordert werden. Erst danach wird geräumt. So ist es üblich. So haben es die Blockierer geübt. Matthias sitzt mit drei Bekannten etwas abseits vor der Schranke zum Bauplatz. "Plötzlich sind die Polizisten ohne Warnung, und ohne einen Ton zu sagen, sehr aggressiv auf uns zugelaufen", erzählt der 19-Jährige. "Erst haben sie einen Kumpel weggezerrt. Ich wurde als nächstes gepackt und zu Boden gedrückt. Dabei hat man mir meinen Kopf zwei Mal auf den Boden gestoßen."

Er habe einen kurzen Blackout gehabt, erzählt Matthias. Zwei Beamte führen ihn etwa 20 Meter zur Seite. "Beim Autoparkplatz haben sie mich auf den Boden geworfen", kritisiert der 19-Jährige. Als er zu sich kommt, bemerkt er Blut auf seiner Stirn. Er ruft um Hilfe. Als sich Polizeibeamte um ihn kümmern wollen, schickt er sie fort. Sein Kumpel hat bereits den Notarzt gerufen.

Polizeipräsidium nimmt Fall nicht auf leichte Schulter

Die Sanitäter reinigen die Wunde an der Stirn und geben dem Verletzten ein Eisbeutel zur Kühlung. Die Situation am Tor hat sich derweil geklärt. Die Blockade ist aufgelöst; der Bagger steht hinter dem Bauzaun. Matthias legt sich hin. Nach einer Stunde bekommt er Kopfschmerzen, ihm wird übel. Ein Sanitäter ruft ein zweites Mal den Rettungswagen. Diesmal wird der Verletzte ins Diakonie Klinikum gefahren. Die Ärzte röntgen den Schädel. Diagnose: Schädelprellung, Schürfwunde. So steht es im Arztbrief, der dieser Zeitung vorliegt.

"Ich war nur friedlich bei der Blockade. Die Polizeibeamten haben völlig unnötig massiv Gewalt angewendet und mich erheblich verletzt", kritisiert der 19-Jährige Demonstrant. Er hat deshalb am vorigen Montag Strafanzeige gestellt: "Ich will diesen Vorfall aufgeklärt haben."

Matthias und sein Vater haben im Parkschützer-Forum einen Zeugenaufruf veröffentlicht. Fünf Blockierer haben den Vorfall schriftlich bestätigt; davon haben vier indirekt oder direkt beobachtet, was mit Matthias K. passiert ist. Es gibt auch ein Video, das die Szene in Ausschnitten zeigt. Die fünf Blockierer bestätigen übereinstimmend, dass die Polizei "mit großer Härte und Brutalität" vorgegangen sei. Auch diese Berichte liegen der Zeitung vor.

Das Polizeipräsidium Stuttgart nimmt den Fall nicht auf die leichte Schulter. "Das ist ein ernster Beschwerdefall, den wir genau prüfen werden", sichert Polizeipressesprecher Stefan Keilbach zu. Vor allem werde man das eigene Videobeweismaterial sichern und sichten. Eine Bewertung des Vorfalls mag der Polizeisprecher noch nicht abgeben, dazu sei es zu früh.

"Natürlich wollen wir bei einer Demonstration nie einen Bürger verletzten", betont Keilbach. "Im konkreten Fall mussten wir die Lage allerdings rasch klären - und bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang kann es im Einzelfall zu Härten kommen." Keilbach bestätigt, dass die dreimalige Aufforderung zur Auflösung der Blockade bei dem Einsatz unterblieben ist.

Seit Beginn der Stuttgart-21-Proteste vor dem Nordflügel am 6.August hat die Polizei 125 Personen aus Sitzblockaden zur Seite geräumt. Falls Personalien aufgenommen wurden - was bei der kritisierten Polizeiaktion aber nicht der Fall war - muss ein Protestierer 80 Euro Gebühr für den Polizeieinsatz zahlen. 50 weitere Personen hat die Polizei aus dem besetzen Nordflügel geholt.