Nach dem ersten Hornsignal sofort in Deckung gehen: Bezirksvorsteherin Beate Dietrich findet die Baustelle beeindruckednd Foto: Jan Reich

Ende 2013 feierte die Bahn den offiziellen Baustart für einen Stuttgart-21-Tunnel im Stadtgebiet. Nach einer Unterbrechung und der Umplanung der Röhren in Wangen können die Bergleute seit dem 29. April 2015 richtig loslegen. So bald wie möglich wollen sie rund um die Uhr sprengen.

Stuttgart - Die drei Warntöne aus einem Horn sind deutlich zu hören. Die kleine Gruppe im 40 Meter tiefen Schacht presst die Kuppen der Mittelfinger auf die Ohrmuscheln. Sekunden vergehen, dann ertönt eine Kaskade von Donnerschlägen, der Boden vibriert und eine kleine Druckwelle schwappt gegen die Körper. Es riecht, als ob jemand am Feuerwerk gezündelt hätte.

Beate Dietrich hat am Mittwoch den Hebel zur Sprengung umgelegt. Die Bezirksvorsteherin für Wangen ist im befristeten Nebenjob Tunnelpatin für die beiden Röhren, die die Bahn beim Projekt Stuttgart 21 von Wangen nach Ober- und Untertürkheim sowie in Richtung Hauptbahnhof sprengt. Von dort aus kommen den derzeit 54 Mineuren auf halber Strecke Kollegen entgegen. Unter Gablenberg wird man sich Ende 2018 treffen. Dann soll der Rohbau trotz der Verzögerung durch die Umplanung fertig sein, sagt Horst Schweiger. Der 40-jährige Österreicher ist stellvertretender Projektleiter und koordiniert vier Firmen, die die Tunnel Ober- und Untertürkheim, aber auch den Fildertunnel (Hauptbahnhof-Flughafen) graben. Die beiden Aufträge haben zusammen einen Wert von 750 Millionen Euro.

Eigentlich sollten die Mineure schon tiefer im Berg sein, doch nach dem Start 2013 drang mehr Wasser als erwartet in den kurzen Zugangsstollen. Die Tunnel wurden daraufhin vier Meter tiefer geplant. Steigung und Richtung bleiben, doch nun schneiden die Röhren, die einen Innendurchmesser von 8.10 Meter haben, weniger ins Grundwasser.

Noch geht es in bisher 40 Meter Tiefe an der Ulmer Straße in Wangen gebremst voran. Gesprengt werden darf, weil die Erschütterungen an der Oberfläche noch zu spürbar sind, zunächst nur von 7 bis 20 Uhr. Mit jedem Meter, und pro Tag sind es bisher fünf bis acht, kommen die Trupps der Nachtsprengung näher.

Bisher, sagt Schweiger, sind rund 90, 60 und 50 Meter geschafft. Die zweite Röhre Richtung Neckar wird erst angegangen, wenn die erste unter der Wasserstraße durch ist. Unter der B 10 und dem Fluss verzweigen sich die Tunnel. „Aus statischen Gründen graben wir zunächst nur eine Röhre unter dem Neckar“, sagt Benjamin Denk, Teamleiter Projektmanagement der Bahn in diesem Abschnitt. Bisher ist das Gebirge wie erwartet sehr massiv, der dunkelrote Mergel wird dennoch gleich nach der Sprengung mit Stahlmatten und 20 Zentimeter Spritzbeton gesichert. Wie fest oder locker das Gestein unter dem Fluss ist muss sich erst noch zeigen.

Die Brocken, die im 40-Tonnen-Container per Kran aus dem Schacht gezogen werden, landen auf einem Steinbruch bei Dietingen nahe Rottweil. 40 Lastwagenfahrten am Tag sind nötig, 20 weitere zur Versorgung des von der Dresdner Firma Semper betriebenen Betonwerks. „Die Lastwagen fallen bisher nicht auf“, sagt Beate Dietrich, die den Bezirksbeirat am 13. Juni bei einer Baustellenführung begleiten wird. Die 48-Jährigewurde nach Ihrem Entschluss, die Tunnelpatenschaft zu übernehmen, auch angefeindet. „Mir ist die Entscheidung nicht leicht gefallen, aber ich finde die Baustelle beeindruckend, und bekomme viele Informationen, die ich als Bezirksvorsteherin nutzen kann“, sagt sie. Außerdem, gesteht Dietrich am Ende ihres Einsatzes, habe sich ihre latente Höhenangst mit jedem Ab- und Aufstieg auf dem 40-Meter-Schacht gelegt.