Ein hohes Gut auch im Alter: Bewegungsfreiheit. Foto: Fotolia

Fixierungen in Pflegeheimen gingen laut einer Studie im Jahr 2013 um ein Viertel zurück. Das Land lobt die Stuttgarter Initiativen.

Niedrigere Betten, Fußmatten mit Piepsern, Matratzen als Bettvorlagen oder Hüftprotektoren – Alternativen zum ans-Bett-Gurten gibt es. Heime machen damit erste Erfahrungen.

Stuttgart - Lange waren Bettgitter, Bauchgurte und Medikamente in Pflegeheimen gängige Mittel, um insbesondere demenzkranke Pflegebedürftige vor schweren Stürzen oder dem Verlaufen zu bewahren. Rein rechtlich sind solche „freiheitseinschränkenden Maßnahmen“ allerdings umstritten. Nun ist die Anzahl der Fixierungen in Pflegeheimen im Land erstmals gesunken.

Noch 16 Prozent der Heimpatienten wurden im Jahr 2013 an ihre Betten oder Rollstühle gebunden – 21 Prozent waren es im Vorjahr. Das fand der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg jetzt in einer Studie mit mehr als 9000 Heimbewohnern heraus.

Zu den sinkenden Zahlen beigetragen hat nach Ansicht der Techniker Krankenkasse insbesondere das Projekt „Stuttgart ohne Fixierungen“ (SoFi). Im vergangenen Sommer hatten die beiden Amtsgerichte Stuttgart und Stuttgart-Bad Cannstatt in Anlehnung an ein ähnliches Projekt in Garmisch-Patenkirchen die Initiative gestartet: Gemeinsam mit der Heimaufsicht, dem MDK und den Pflegeheimen sollten freiheitseinschränkende Maßnahmen um mindestens ein Drittel gesenkt und Alternativen gefunden werden. Im Oktober 2013 haben 19 Träger von Pflegeheimen im Raum Stuttgart die Initiative in einer „Stuttgarter Erklärung“ ausdrücklich unterstützt.

Auch das Sozialministerium Baden-Württemberg lobt, dass Initiativen wie SoFi und ähnliche, regionale Projekte in Freiburg oder Karlsruhe im Land ein „zunehmend erforderliches Problembewusstsein vermitteln“. Dazu gehöre auch das von der Landesstiftung bis 2009 geförderte Projekt „Prävention von Gewalt in der Langzeitpflege“, sagt ein Ministeriumssprecher.

„Fixierungen bedeuten einen Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen“, sagt Till Jakob, Vizepräsident am Amtsgericht Stuttgart. Viele Patienten seien durch die Maßnahmen verängstigt, zunehmend unruhig und würden durch die eingeschränkte Bewegung körperlich teilweise massiv abbauen. „Bei der Stuttgarter Initiative wird die Freiheit der Patienten nun ein bisschen stärker betont als die Sicherheit“, so Jakob.

Aufgrund der Einschnitte in das Selbstbestimmungsrecht eines Patienten muss jede Fixierung von einem Betreuungsgericht genehmigt werden. Dabei sind die Maßstäbe durch die Initiative strenger geworden, es wird nun genauer geprüft, ob freiheitsentziehende Maßnahmen beim jeweiligen Patienten tatsächlich nötig sind. So werden zur Beurteilung der Fälle nun auch sachkundige Verfahrenspfleger hinzugezogen, die die Interessen der Patienten vertreten. Zudem prüfen Gerichte, Pflegeheime und Heimaufsichten verstärkt Alternativen: „Fixierungen werden oft zum Schutz der Patienten eingesetzt oder damit die Heime nicht für Unfälle haften müssen. Alternativen sind meist aber durchaus möglich, und wenn sie von den Betreuungsgerichten gestützt sind, können die Heime bei einem Sturz kaum belangt werden“, sagt Jakob.

Pflegeheime in Regionen wie Freiburg oder Stuttgart investieren nun verstärkt in Alternativen wie niedrigere Betten, Fußmatten mit Piepsern, Matratzen als Bettvorlagen oder Hüftprotektoren – das sei finanziell ohne großen Mehraufwand möglich, sagt Kurt Greschner, Bereichsleiter Altenhilfe bei der Caritas in Stuttgart. Auch präventive Maßnahmen seien wichtig: Man müsse die Patienten durch Gehübungen möglichst lange beweglich halten. „Insgesamt ist spürbar, dass alle Beteiligten nun bewusster mit dem Thema umgehen“, so Greschner. „Es wird daher akzeptiert, dass bei mehr Bewegungsfreiheit auch mal was passieren kann – ohne, dass dann gleich die Heime verantwortlich gemacht werden, wie früher oft der Fall.“