Die serbische Roma-Siedlung, in der die Familie gerade wohnt Foto: JHW

Das Land pocht gegenüber einer Roma-Familie auf Recht und Gesetz – und handelt sich prompt Ärger ein. Dabei sind die Behauptungen aller Seiten mit Vorsicht zu genießen.

Freiburg/Stuttgart - Verkehrte Welt: Normalerweise wird Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) für seine angeblich zu lasche Haltung gegenüber Armutsflüchtlingen kritisiert. Der Südwesten, so sagt es regelmäßig die CDU, sei in Sachen Abschiebungen bundesweit auf einen der hinteren Plätze zurück gefallen.

Seit einer Sammelabschiebung nach Serbien vor rund zwei Wochen ist das anders: Gall muss sich vor allem vom flüchtlingsfreundlichen Koalitionspartner, den Grünen, Kritik anhören. Die Opposition hingegen findet an der Landesregierung seit langem mal wieder ein gutes Haar. „In diesem Punkt“, sagt CDU-Landeschef Thomas Strobl, „hat die grün-rote Landesregierung unsere Unterstützung.“

Was ist passiert? Im Flieger nach Belgrad saß eine achtköpfige Roma-Familie, um die sich in Freiburg unter anderem das dortige Jugendhilfswerk (JHW) kümmerte. Laut dem JHW-Geschäftsführer Carlos Mari wurden die Helfer von der Abschiebung überrascht. Trotz mehrfacher Ankündigungen und trotz der Tatsache, dass auch der Petitionsausschuss des Landtags mit großer Mehrheit einen Verbleib der Familie ablehnte, glaubte man in Freiburg daran, dass das Land wenigstens über den Winter nicht abschieben werde. Dem war aber nicht so.

Familie vor wenigen Tagen in Serbien besucht

Mari und seine Mitstreiter halten die Abschiebung der Familie für unmenschlich. Rechtlich mag alles in Ordnung sein, sagt er, aber die Mutter sei krank, eines der sechs Kinder sei krank – und ein weiteres behindert. Ein dreiköpfiges JHW-Team reiste dem Elend nach und besuchte die Familie vor wenigen Tagen in Serbien. Man sprach mit der Mutter, mit privaten Helfern, machte Fotos – und veröffentlichte eine Art Anklage: Demnach hat das Land die Familie in das reinste Chaos abgeschoben, obwohl der Innenminister versichert habe, dass die Lage dort zwar anders als im reichen Südwesten, aber akzeptabel sei.

Seit Veröffentlichung des Berichts wird Mari nach eigenen Angaben mit Mails vom gemeinen Volk bombardiert: Das JHW, so der Tenor, solle sich doch lieber um Deutsche als um „Zigeuner“ kümmern.

Die Behörden der Innenverwaltung, die das undankbare Geschäft mit der Abschiebung zu betreiben haben, können sich gegen solche Vorwürfe kaum offiziell wehren. Der Datenschutz legt ihnen hier Fesseln an. Hinter vorgehaltener Hand setzt man allerdings dann doch ein paar Fragezeichen hinter die anrührende Geschichte: So sei die Behauptung der Mutter, sie habe in Serbien bislang keinerlei Hilfe von den Behörden angeboten bekommen, schlichtweg falsch, heißt es. Die Mutter habe sowohl eine Unterkunft als auch ärztliche Hilfe abgelehnt. Warum sie sich nun mit ihren Kindern in einer Bruchbude fotografieren lasse, sei ein Rätsel – oder vielleicht doch keins? „Da wird das Elend inszeniert“, sagt ein Beamter.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Flüchtlingsaktivisten die Dinge einseitig darstellen. Im Januar 2013 kam durch einen Bericht der Stuttgarter Nachrichten ans Licht, dass der Landesflüchtlingsrat beim Sammeln von Unterschriften für eine andere Roma-Familie es nicht für nötig erachtet hatte, dabei auch die Straftaten zu erwähnen, denen sich mehrere Familienmitglieder schuldig gemacht hatten. Die Aktion wurde eingestellt.

Streit um Freiburger Fall auch ein Streit ums Prinzip

Der Streit um den Freiburger Fall ist auch ein Streit ums Prinzip: Weite Teile der Grünen sind der Ansicht, dass sich Deutschland auch die Aufnahme von Armutsflüchtlingen leisten könne. Ihr Parteifreund Winfried Kretschmann sieht das anders. Er pocht zusammen mit Gall auf Recht und Gesetz. Seit Erhöhung der Bargeldzahlungen Mitte 2012 ist die Zahl der Flüchtlinge aus Serbien kräftig am Steigen. 2014 stellten laut Bundesinnenministerium in Deutschland 27 148 Serben einen Asylantrag, 92 Prozent davon waren Roma. Mehr als ein Drittel von ihnen stellte einen Folgeantrag.

Die Anerkennungsquote liegt bei Serben mittlerweile bei 0,0 Prozent. Abgeschoben werden aber nur die wenigsten. Nach Baden-Württemberg sind im zweiten Halbjahr 2014 rund 2000 Serben gekommen – zurück geführt wurden im gleichen Zeitraum nur 140.

Der Anreiz ist enorm: Die achtköpfige serbische Familie bekommt in Serbien je nach Quelle zwischen 80 und 130 Euro im Monat Sozialhilfe. In Deutschland sind es 2000 Euro, Unterkunft inklusive. Hinzu kommt eine erheblich bessere Gesundheitsversorgung: Allein die ärztliche Versorgung der Familie soll die Stadt Freiburg in den letzten 14 Monaten über 105 000 Euro gekostet haben.