Streit mit Anlegern endet für Banken immer häufiger vor Gericht. Foto: dpa

Bankkunden fällt es immer schwerer, Forderungen durchzusetzen – vor Gericht selbst Kleckerlesbeträge.

Stuttgart - Andreas Mayer lebt davon, dass sich Kunden mit ihrer Bank streiten. Der 45-Jährige ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in Freiburg. Er ist aber auch selbst Bankkunde und ärgert sich zunehmend über das Gebaren in der Finanzbranche. Zum Beispiel über Institute, die sich weigern, sogar Gerichtsurteile anzuerkennen: Obwohl der Bundesgerichtshof (BGH) bestimmte Kreditverträge einer Privatbank wegen Formfehlern 2011 für nichtig erklärt hat, wies das Institut jüngst den Widerruf einer Kundin als unberechtigt zurück. Erst als Mayer in ihrem Namen das Gleiche verlangt hat, war die Rückabwicklung möglich. Und das ist gut gelaufen: Gegen die gleiche Bank streitet der Anwalt vor Gericht, weil sie von einem Mandanten 6000 Euro mehr fordert, als ihr laut Mayer aus dem Kreditvertrag noch zusteht. Obwohl ihm sogar der Schlichter der Finanzgruppe recht gegeben hat, war keine Einigung möglich. „Um die eigene wirtschaftliche Macht auszuspielen, prozessieren Banken in vielen Fällen bis auf den letzten Cent“, klagt der Jurist.

Streit selbst um kleinere Beträge ist nur ein Beispiel für einen raueren Umgang in der Finanzwelt. „Wenn sich Kunden beschweren, bekommen sie heute in der Regel erst einmal eine Abfuhr“, sagt Alexander Heinrich, Bankanwalt in Kirchentellinsfurt. Insbesondere große Privatbanken seien kaum noch zu Kulanz bereit. Doch auch Sparkassen und Volksbanken, die ihren Kunden oft näher stehen, „schicken immer seltener Antworten, die keine 08/15-Absage enthalten“. Früher hätten Banken bei Auseinandersetzungen mit Kunden Imageverluste befürchtet, sagt Mayer. Seit die US-Investmentbank Lehman im Herbst 2008 mit ihrer Pleite die Finanzkrise ausgelöst und den Ruf der gesamten Branche ruiniert hat, scherten sich die Kreditinstitute aber immer weniger um Außenwirkung. Mayer: „Den Verbrauchern geht es nicht besser – obwohl es in den letzten Jahren zahlreiche Gesetzesänderungen zur Verbesserung des Anlegerschutzes gab.“

Kundenzufriedenheit sinkt

Seit Anfang 2010 müssen Anlageberater Gespräche mit Kunden in einem Beratungsprotokoll festhalten. Das Anlegerschutzgesetz verpflichtet Banken seit 2011 darüber hinaus, Kunden in einer Art Beipackzettel über die Risiken einer Geldanlage aufzuklären. Zudem können sich Kunden bei sogenannten Ombuds- oder Schlichtungsstellen beschweren, bis 5000 Euro Streitwert erkennen Privatbanken den Spruch als bindend an. 2011 verzeichneten die Schlichtungsstellen der Sparkassen, Genossenschaftsbanken und privaten Institute einen Beschwerderekord – dieser ist teils aber auch auf auslaufende Verjährungsfristen zurückzuführen.

Dass die Kundenzufriedenheit auch ohne den Sondereffekt nachgelassen hat, belegen Zahlen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: Ihre Berater haben im vergangenen Jahr 1400 Gespräche mit geprellten Kapitalanlegern geführt – fast doppelt so viele wie 2010. „Obwohl Kunden viele tausend Euro angelegt haben, erleben wir immer häufiger, dass sich Institute selbst bei Kleckerlesbeträgen immer weniger kulant zeigen“, sagt Annabel Oelmann, Finanzexpertin bei der Verbraucherzentrale.

Die Schlichtungsstellen der Banken sind den Kunden vielfach ebenso wenig eine Hilfe wie Versicherungen bei einem Rechtsstreit. „Ombudsleute der Banken machen es sich oft einfach – sie erfüllen nicht die Funktion eines Schlichters, sondern die einer Behörde, die Anträge verwaltet“, sagt der Freiburger Mayer. Nachfragen stellten die Schlichter kaum, Entgegenkommen bei Beträgen oberhalb von 5000 Euro gebe es nicht.

„Eine Versicherung, die Risiken aus Kapitalanlagen uneingeschränkt abdeckt, muss man mittlerweile suchen“

Wer vor Gericht zieht und darauf vertraut, dass seine Rechtsschutzversicherung die Kosten trägt, könnte eine böse Überraschung erleben. „Eine Versicherung, die Risiken aus Kapitalanlagen uneingeschränkt abdeckt, muss man mittlerweile suchen“, sagt Heinrich. Verbraucherschützerin Oelmann prozessiert deswegen gegen fünf Versicherer: Im Kleingedruckten schließen sie Schadenersatzansprüche wegen Falschberatung aus und erschweren damit zum Beispiel Geschädigten aus der Lehman-Pleite den Gang vor Gericht. „Die Verbraucher haben das nicht gewusst“, begründet die Finanzexpertin die Verfahren. Nach Urteilen, die mal zugunsten, mal gegen die Verbraucherschützer ausgegangen sind, erhofft sie sich Klarheit vom BGH.

Nach Umfragen der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) vertrauen nur 57 Prozent der Deutschen ihrem Banker – seit dem Zusammenbruch von Lehman ist der Wert um 15 Prozentpunkte gesunken. „Die Finanzkrise war in dieser Hinsicht sehr zerstörerisch“, sagt Hans-Peter Burghof, Bankprofessor an der Universität Hohenheim. Dass sich in ihrem Zuge das Verhältnis zwischen Bank und Kunde verschlechtert hat, lässt sich wissenschaftlich erklären: Während in einem stabilen Bankensystem ein Gleichwicht zwischen vertraglichen und Kulanzregeln herrscht, gerät dieses bei Krisen ins Wanken. Denn kulant zeigen sich Banken immer dann, wenn sie sich davon Vorteile fürs Image versprechen. Beim bis heute „heftig angeknacksten“ Ruf der Branche und unsicheren Zukunftsaussichten zähle diese Hoffnung weniger.

Seit Ausbruch der Finanzkrise beobachten Wirtschaftskanzleien sogar eine Vervierfachung der Prozesse

Dem Juristen Heinrich zufolge fürchten Banken zudem hohe Zahlungen, wenn sie zu kulant sind. Mancher Anwalt gehe mit Einigungen auf der Suche nach neuen Mandanten hausieren, „wenn einer einen Vergleich schließt, sind die Schleusen offen“. Dem haben die Sparkassen Frankfurt und Hannover 2009 vorgebeugt, indem sie all ihren Lehman-Anlegern einen Teil ihres Einsatzes zurückerstattet haben – andere Banken prozessieren bis heute mit den einzelnen Kunden.

Laut einer Sprecherin des Bundesverbands deutscher Banken wissen die privaten Institute besser denn je um die Kostbarkeit einer guten Beziehung zum Kunden. Die gestiegene Zahl an Beschwerden wertet sie als Beleg dafür, „dass sich das Beschwerdesystem auch in schwierigen Zeiten bewährt hat“. Inzwischen gingen die Klagen wieder zurück, einen Mangel an Kulanz könne sie nicht feststellen, sagt die Sprecherin.

Dagegen spricht, dass sich mit geschädigten Kapitalanlegern viel Geld verdienen lässt: Binnen eines Jahres ist die Zahl der Fachanwälte für Bankrecht in Deutschland von 372 auf 515 Anfang 2011 gestiegen. Die Zahl der Verfahren, die Anleger wegen möglicher Beratungsfehler anstrengen, hat sich beim Frankfurter Landgericht binnen zwei Jahren auf fast 2300 nahezu verdoppelt. Seit Ausbruch der Finanzkrise beobachten Wirtschaftskanzleien sogar eine Vervierfachung der Prozesse. Die Urteile fallen aus Sicht der Verbraucheranwälte trotz neuer Gesetze viel zu häufig gegen die Anleger aus. „Die meisten Verfahren gehen verloren, weil die Falschberatung nicht nachgewiesen werden kann“, sagt Heinrich. Die Pflicht dazu hat der Kunde: „Er muss beweisen, dass er falsch beraten wurde, dass er überhaupt beraten wurde und gegebenenfalls, wo der Vertrag angebahnt wurde. An diesem Grundübel rührt keiner“, schimpft Mayer. Den Anwalt beschleicht deshalb manchmal der Eindruck, „die Justiz müsse den armen Banken wieder auf die Füße helfen“.