Die Branche steht vor neuen Herausforderungen Foto: dpa

Der Tarifkonflikt bei Tageszeitungen zeigt, wie unterschiedlich Arbeitgeber und Gewerkschaften mit den Herausforderungen umgehen.

Stuttgart - „Liebe Leserinnen, liebe Leser, unsere Redaktion wird erneut bestreikt . . .  Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Hinweise wie dieser begegnen Lesern von Tageszeitungen – auch von dieser – derzeit immer wieder. Zeitungen erscheinen in verringertem Umfang; die üblichen Aktualisierungen, mit denen die Zeitung bis unmittelbar vor dem Druck auf einen Stand weit nach Mitternacht gebracht wird, entfallen, Eigenbeiträge und die wichtigen Exklusivnachrichten sind die Ausnahme. Die Redakteure von Tageszeitungen befinden sich im wohl härtesten Arbeitskampf seit Jahren. Die Beteiligung ist hoch; auf beiden Seiten der Tarifauseinandersetzung wird mit harten Bandagen gekämpft, denn in einem sind sich beide Seiten so einig wie nie: Es gibt grundsätzlichen Klärungsbedarf.

Die Zeitungsverleger halten es für überfällig, nachhaltige Konsequenzen aus dem dramatischen Strukturwandel in der Branche zu ziehen: Die redaktionellen Inhalte der Tageszeitungen erreichen zwar so viele Menschen wie nie zuvor – doch sie erreichen ihre Empfänger heute zunehmend auf Wegen, die am Kassenhäuschen vorbeiführen. Denn im Internet ist es nahezu unmöglich, die hohen Kosten für diese Informationen auch nur annähernd einzuspielen.

Deshalb ist die gedruckte Zeitung nach wie vor die wichtigste Finanzquelle der Verlage. Doch wegen der Bedeutung des Internets bröckelt deren Auflage, was über die Jahre schmerzlich spürbar wird. Die Inhalte sind gefragt wie nie, doch auf den Kosten bleiben die Verlage zunehmend sitzen.

Um das auszugleichen, müssen die Gehälter sinken, meinen die Verleger. Um das auszugleichen, müssen die Gehälter steigen, meinen die Gewerkschaften. Denn nur wenn es den Verlagen gelinge, im härter werdenden Kampf um Fachkräfte gegen andere Branchen zu bestehen, werden sie in Zukunft überhaupt noch qualifizierte Mitarbeiter bekommen, die sich der Aufgabe verschreiben, an der Zukunft der Verlage mitzuwirken.

An diesem Mittwoch werden die Verhandlungspartner erneut zusammentreffen. Auch wenn man sich aufeinander zubewegt hat – der Abstand ist noch groß. Nach den bisherigen Vorstellungen der Verleger soll es zwar eine Gehaltserhöhung geben, die jedoch durch eine Kürzung von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld (der sogenannten Jahressonderleistung) mehr als gegenfinanziert wird. Das bisherige Angebot läuft darauf hinaus, die Gehälter in den kommenden drei Jahren um durchschnittlich 0,9 Prozent zu erhöhen und die Jahressonderleistung um 0,25 Monatsgehälter zu kürzen. Doch allein durch diese Kürzung sinkt das Jahresgehalt bereits um 1,8 Prozent. Unter dem Strich fordern die Verleger somit ein Minus – betonen aber bereits, dass dies nicht das letzte Wort sei. Gleichwohl ist die Gewerkschaft verärgert über dieses Vorgehen: „Eine Gehaltserhöhung für die linke Tasche, die aus der rechten Tasche bezahlt wird, kann es ja wohl nicht sein“, sagt Gerhard Manthey, Mediensekretär der Gewerkschaft Verdi. Verdi fordert 5,5, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sechs Prozent.

Womöglich ist das auf den ersten Blick kurios anmutende Angebot der Arbeitgeber dem Umstand geschuldet, dass diese an zwei Fronten kämpfen: An der einen stehen Verdi und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die andere verläuft quer durch die Arbeitgeberseite selbst. Denn in Nord- und Ostdeutschland haben sich die Verlage größtenteils aus der Tarifbindung verabschiedet; und um die restlichen Verlage nicht auch noch zu vergraulen, pochen die Verleger nun auf einen besonders niedrigen Abschluss, den auch die Schwächsten noch verkraften können. Die Beschäftigten im wirtschaftlich stärkeren Süden dagegen streiken für einen Abschluss, der sich nicht nur an den Lebenshaltungskosten in Rostock, sondern auch an denen in Stuttgart, Ulm und Freiburg orientiert – zumal die Verlage im wirtschaftlich starken Südwesten ohnehin weit besser dastünden als die in vielen anderen Regionen.

Deshalb ist die Streikintensität in Baden-Württemberg so hoch, was wiederum in den Südwest-Verlagen für Nervosität sorgt, wo das Erscheinen der Zeitungen zunehmend einer täglichen Zitterpartie gleicht. Der Badische Verlag in Freiburg ist bereits aus der Front der Verleger ausgeschert und hat seinen Beschäftigten eine Erhöhung von je zwei Prozent in diesem und im nächsten Jahr zugesagt. Das hat die Spannungen aufseiten der Verleger nicht verringert.

Für die Verleger könnte nun ausgerechnet die Jahressonderleistung ein Mittel sein, die auseinanderlaufenden Interessen zu befrieden. Man benötige in einigen Regionen eine „strukturelle Entlastung, die sofort wirksam wird“, bestätigt Anja Pasquay, Sprecherin des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Eine Kürzung führt für die Verlage unmittelbar zu sinkenden Kosten. Womöglich ist daher eine regional unterschiedliche Senkung dieser Sonderleistung eines der Themen, mit denen man die widerstreitenden Interessen innerhalb der Verlage unter einen Hut bringen will.

Selbst die Gewerkschaftsseite sieht die Nöte der Arbeitgeber: „Die Verlegerseite muss etwas vorweisen können, sonst bricht sie auseinander“, sagt Manthey. Dann aber hätten die Gewerkschaften keinen Verhandlungspartner mehr. Die vermeintliche Schwäche kann die Verhandlungsposition der Verleger daher somit sogar stärken.

Wie wichtig dem DJV der Flächenvertrag ist, erklärte bereits Verhandlungsführer Kajo Döhring: „Die Alternative wäre ein tarifpolitischer Flickenteppich, auf dem das Recht des Stärkeren die Handlungsmaxime ist. Das kann nicht unser Ziel sein.“ Doch auch auf Arbeitnehmerseite gibt es unterschiedliche Akzente: „Natürlich haben auch wir ein Interesse am Flächentarifvertrag“, sagt Verdi-Vertreter Manthey. „Aber wir bezahlen dafür nicht jeden Preis. Das ist der Knackpunkt der Auseinandersetzung.“ Man sei „nicht bereit, den Erhalt des Flächentarifvertrags mit einem Minus zu erkaufen. In Baden-Württemberg mit seiner hohen Streikbeteiligung wird ganz klar ein Plus erwartet“, sagt er und deutet damit seine Bereitschaft zu einem regional gestaffelten Abschluss an.

Einstweilen ungelöst bleibt die Frage, wie die Tarifparteien damit umgehen, dass die betriebliche Praxis und die tariflichen Bedingungen nicht überall übereinstimmen. „Dass Mehrarbeit ausgeglichen wird, ist die absolute Ausnahme“, berichtet Manthey. „In vielen Verlagen werden pro Woche regelmäßig fünf bis zehn Stunden umsonst gearbeitet. Dafür müssten die Mitarbeiter eigentlich mit 30 bis 50 Prozent an der Firma beteiligt werden.“ So schnell wird den Tarifparteien der Gesprächsstoff nicht ausgehen.