Mancher Wirt nutzt eine illegale Software in der Registrierungskasse, um an der Steuer vorbei zu wirtschaften. Foto: dpa

Mancher Gastronom nutzt illegale Software, um Daten in seiner Kasse zu manipulieren. Eine einfache Lösung ist greifbar – doch die Bundesregierung hatte bisher wenig Interesse daran.

Berlin - Kennen Sie das? Nach einem privatem Essen im Restaurant bringt der Kellner die Rechnung. Sie schielen auf die Endsumme, überschlagen, ob die Höhe der Rechnung plausibel ist, und entscheiden über das Trinkgeld. Dann stecken Sie das Stück Papier achtlos in Ihre Hosentasche.

Dabei würde sich manches Mal ein kritischer Blick darauf lohnen. Immer wieder finden Restaurantgänger rechnungsartige Belege, auf denen eben nicht Bon oder Rechnung steht, sondern so etwas wie „Trainingskellner“ oder „Infobon“. Ist dies der Fall, so ist es höchste Zeit, an der Seriosität des Gastronomen zu zweifeln. Vermutlich hat er eine schwarze Kasse, kassiert Umsätze am Finanzamt vorbei in seine Tasche, hat in seinem Kassencomputer die Möglichkeit, Buchungen so zu verschleiern, dass sie nicht in den Büchern auftauchen. Der Begriff Trainingsmodus etwa bedeutet, dass Buchungspositionen nicht in den offiziellen Büchern landen. Dies kann entweder für die ganze Kasse gelten oder für bestimmte Angestellte.

Niemand will die Gastronomie unter Generalverdacht stellen. Dass aber Kneipen, Restaurants, Bars und Clubs anfällig sind für das Unterschlagen von Umsätzen, ist nichts Neues. Einigermaßen neu ist, dass die Kassensysteme mit raffiniertester Software ausgerüstet werden, die Schummeln im großen Stil ermöglicht, und zwar so, dass ein Betriebsprüfer der Sache kaum auf die Schliche kommen kann.

Das Phänomen tritt weltweit auf: Da ist etwa auf einer Computerkasse eine sogenannte Phantomware geladen. Dieses Computerprogramm ist für den arglosen Nutzer versteckt, kann aber vom Gastronom durch Anklicken einer unsichtbaren Schaltfläche auf dem Bildschirm oder auch durch eine Tastenkombination aktiviert werden. Das Programm hilft bei der Umsatzverkürzung. Da können etwa Umsätze gelöscht werden. Damit dies bei einer Betriebsprüfung nicht auffällt, werden die Lagerdaten entsprechend angepasst.

Auch gibt es die Möglichkeit, Umsätze nicht komplett zu löschen, sondern höherpreisige Produkte durch niederpreisige Produkte zu ersetzen. Diese Variante ist raffinierter als das bloße Löschen von Umsätzen: Es gibt keine auffälligen Lücken bei der Nummerierung der Verkaufspositionen. Es gibt aber auch Programme, die bei Löschung von Umsatzpositionen die fortlaufende Nummerierung anpassen.

Es gibt Schwarzgeld-Programme, die nicht auf dem Computer selbst, sondern auf einem Speichermedium geladen sind, etwa einem USB-Stick oder einer CD. Diese Programme arbeiten im Prinzip genauso wie die Phantomware. Da die illegalen Programme aber während des normalen Tagesbetriebs nicht auf dem Computer geladen sind, ist der Nachweis für Fahnder noch schwieriger.

Schon 2003 schlug der Bundesrechnungshof deswegen Alarm. In seinem Jahresbericht steht: Die Prüfungsmöglichkeiten für Behörden hätten sich mit der Einführung elektronischer Kassen „drastisch verschlechtert“. Die Systeme erlaubten Manipulationen, „ohne dass Änderungen dokumentiert oder sonst kenntlich gemacht werden“. Die Experten vom Bundesrechnungshof mahnten Änderungen an: „Bei Bargeldgeschäften in mehrstelliger Milliardenhöhe sollte die Gefahr von Steuerverkürzungen nicht unterschätzt werden.“

Nach dieser Mahnung blieben die Behörden nicht untätig. Die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB), eine nachgeordnete Behörde des Wirtschaftsministeriums, entwickelte mit staatlichen Geldern und Partnerunternehmen aus der Wirtschaft eine pfiffige Lösung: Eine kleine unscheinbare Karte mit einem Speicherchip darauf, wie sie fast jeder in seinem Portemonnaie hat, ist das Instrument gegen die Manipulation. Die Karte wird über ein handelsübliches Lesegerät mit so gut wie allen am Markt vorhandenen Registrierkassen verbunden.

Es müssen von IT-Experten zudem einmalig gewisse Änderungen an der Software der Kasse vorgenommen werden. Das Konzept sorgt dafür, dass jeder Buchungsvorgang mit einer digitalen Signatur versehen wird. Das Prinzip wird auch von Banken und in anderen Bereichen mit hohen Sicherheitsanforderungen angewendet.

Dieses Konzept würde den Gastronomen weniger als 100 Euro kosten. Auch er hätte Vorteile: Er könnte perfekt nachweisen, dass er und seine Mitarbeiter redlich gearbeitet haben. Alle vorstellbaren Manipulationen an Kassenberichten blieben wirkungslos. Selbst durch bewusst in eine Kasse integrierte Manipulationsfunktionen kann das System dann nicht mehr angegriffen werden.

Insika heißt das System, das bereits in einem Bundesland flächendeckend im Einsatz ist. In Hamburg sind heute schon zwei Drittel der Taxen mit der Technik ausgerüstet. Dem Vernehmen nach läuft es einwandfrei. Der Taxiunternehmer sowie das Finanzamt müssen keine Sorgen mehr haben, dass Umsätze unterschlagen werden. Beiden Seiten wird die Arbeit erleichtert: Früher musste der Taxiunternehmer beim Finanzamt je Taxi etwa 1000 Schichtzettel abgeben. Das Digitalisieren allein dieser Zettel nahm 14 Tage in Anspruch. Heute dauert die Prüfung der digitalisierten Schichtzettel eine Minute.

Das Verblüffende ist: Die Bundesregierung hat offensichtlich wenig Interesse an dieser ebenso funktionierenden wie einfachen Lösung. 2008 stand Insika schon einmal kurz vor dem Durchbruch. Doch dann wurde die Technik wieder ausgebremst. „Die entsprechenden Passagen wurden vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens aus dem Entwurf entfernt“, steht auf der Internetseite von PTB.

Jahrelang passierte nichts. Schwarze Schafe in der Gastronomie können weiter munter Umsätze unterschlagen. Die Ausfälle bei Steuern und Sozialbeiträgen sind horrende. Allein bei den Steuerausfällen belaufen sich die Schätzungen zwischen zehn und 70 Milliarden Euro im Jahr. Das Risiko aufzufliegen ist gering, da selbst Spezialisten von der Steuerfahndung kaum eine Chance haben, die raffinierten IT-Lösungen zur Manipulation zu entlarven. Ohnehin, eine Betriebsprüfung kommt bei kleinen Unternehmen eher selten bis gar nicht vor. 2013 wurde ein Kleinunternehmen im Südwesten im Schnitt alle 32 Jahre geprüft. Ein mittelgroßes Unternehmen bekommt gerade einmal alle 14 Jahre Besuch von einem Betriebsprüfer. In anderen Bundesländern sehen die Zahlen ähnlich aus.

Doch die Betriebsprüfer ließen bei ihren Vorgesetzten nicht locker. Die Referatsleiter in den Finanzministerien der Länder machten Druck auf der politischen Ebene, erinnerten immer wieder an Insika. Im Frühjahr dann forderten alle 16 Finanzminister der Länder Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf, endlich gegen die Manipulationen vorzugehen.

Steht Insika nun endgültig vor dem Durchbruch? Aus dem Bundesfinanzministerium ist zu hören: Man arbeite an dem Auftrag der Länder. Noch im Herbst dieses Jahres werde es einen Bericht an die Länderfinanzminister geben. Schon jetzt liefen im Übrigen Gespräche in der Sache auf Beamtenebene mit dem Justiz- und dem Wirtschaftsministerium.

Klar ist, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble muss eine schwierige Entscheidung treffen. Wie viele Millionen oder gar Milliarden zusätzlich brächte die verpflichtende Einführung von Insika tatsächlich für den Fiskus und die Sozialkassen? Er muss abwägen: Lohnt der Aufwand wirklich? Wie hoch ist dagegen das Risiko, die Gastronomie gegen sich aufzubringen? Die Wirtschaftslobbyisten sind schon jetzt verärgert über den angeblich wirtschaftsfeindlichen Kurs der Großen Koalition. Wie weit soll der Staat gehen? Soll er jeden Barbetreiber zwingen, sich eine Registrierkasse anzuschaffen? Was ist mit den Bürokratiekosten? Auch dies ist zu hören: „Die tollste Smartcard nützt nichts, wenn das Schwarzgeld in der Zigarrenkiste neben der Kasse landet.“

Vor allem die Sorge vor der öffentlichen Meinung ist wohl berechtigt. Nur: Andere Länder sind nicht so zögerlich. Italien etwa hat bereits in den 1980er Jahren bestimmte Unternehmen verpflichtet, Kassen mit Fiskalspeicher anzuschaffen – eine andere Variante, um Manipulationen zu verhindern. Griechenland, Ungarn, Bulgarien und Polen zogen in der EU nach. Experten weisen aber darauf hin, dass diese Fiskalspeicher auch recht leicht unterlaufen werden können. Und niemand bestreitet, dass Insika wesentlich preiswerter für alle wäre. Sicherer und preiswerter, Insika hat also das Zeug, noch zum Exportschlager zu werden.