Den Job zu wechseln in der Krise will wohlüberlegt sein - Langfristige Perspektiven suchen

Stuttgart - Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Nach dieser Maxime agieren zurzeit viele Arbeitnehmer. Selbst wenn sie mit ihrem Job unzufrieden sind und ihnen in ihm jegliche Perspektive fehlt, begeben sie sich nicht aktiv auf Stellensuche. Sie verharren vielmehr wie hypnotisierte Kaninchen auf ihren Stellen, weil sie überzeugt sind: selten war der Zeitpunkt schlechter als im Moment, die Position zu wechseln. Denn aufgrund der Wirtschaftskrise gibt es kaum offene Stellen - und wenn doch, dann sind diese schlecht bezahlt.

"Stimmt nicht", sagt Frank Adensam, Inhaber der Adensam Managementberatung, Ludwigshafen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten bauten zwar viele Unternehmen Personal ab, "zugleich versuchen sie sich aber im Markt neu zu positionieren, um die Krise zu überleben oder gar gestärkt aus ihr hervorzugehen. Deshalb entstehen in den Unternehmen parallel zum Personalabbau oft neue Positionen".

Personalberater Adensam erläutert dies am Beispiel der zurzeit schwer angeschlagenen Automobilindustrie. In ihr werden zwar viele Mitarbeiter entlassen oder in Kurzarbeit geschickt, weil den Unternehmen die Aufträge wegbrechen. Parallel dazu wollen die kriselnden Autobauer aber eine umweltfreundlichere Fahrzeugpalette aufbauen. Und weil die Autos künftig mit Wasserstoff-, Solar- oder Biogas-Antrieben ausgestattet sein sollen, suchen Autohersteller und viele ihrer Zulieferer Experten für Erneuerbare Energien. Das hängen die Betriebe aber nicht an die große Glocke. "Denn es kommt in der Öffentlichkeit schlecht an, wenn im Wirtschaftsteil einer Zeitung steht 'Das Unternehmen X entlässt Mitarbeiter' und weiter hinten im Stellenteil sucht derselbe Betrieb Mitarbeiter", erläutert Adensam.

Viele Mitarbeiter verfallen in Lethargie

Auch andere krisengeschüttelte Unternehmen stellen Mitarbeiter ein. Gefragt sind laut Michael Strübing, Chef der Personalberatung Percon, Frankfurt am Main, zum Beispiel Controlling-Spezialisten. Aus einem einfachen Grund: die meisten Firmen müssen sparen. "Also werden zum Beispiel auch Experten für das Optimieren von Einkaufs- und Beschaffungsprozessen gesucht", erklärt Strübing. Viele Betriebe stehen aktuell zudem vor der Frage: Wie können wir künftig größere Projekte vorfinanzieren, wenn die Banken nur noch sehr zögerlich oder nur noch gegen Wucherzinsen Kredite vergeben? Also sind Experten für alternative Finanzierungskonzepte gefragt.

Auch für Naturwissenschaftler, Ingenieure, Vertriebs- und Verkaufsexperten sowie ITler - wenn sie über ein Spezial-Knowhow verfügen, das die Unternehmen brauchen - haben laut Adensam Jobchancen. Gerade Spezialisten rät er, über einen Stellenwechsel nachzudenken. "Denn wenn die Unternehmen aktuell jemanden einstellen, dann tun sie dies, weil sie dessen Knowhow wirklich brauchen. Entsprechend gut sind in der Regel die langfristigen beruflichen Perspektiven."

Besonders intensiv sollten sich Arbeitnehmer mit dem Thema Stellenwechsel befassen, deren Job akut bedroht ist - sei es, weil ein Stellenabbau bereits beschlossen ist oder weil absehbar ist: auch nach der Krise wird sich unser Geschäftsbereich auf Dauer nicht erholen. Bei seiner Arbeit sammelt Adensam aber immer wieder die Erfahrung: selbst ein bereits angekündigter Stellenabbau kann viele Mitarbeiter nicht motivieren, sich aktiv zu bewerben. Die Betroffenen verfallen vielmehr häufig in eine Lethargie und hoffen, vielleicht geht der Kelch an mir vorüber. Ähnlich verhält es sich bei Kurzarbeit. Nachvollziehbar ist für den Personalberater eine solche Haltung bei "Mitarbeitern im fortgeschrittenen Alter", bei denen zum Beispiel aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit weitgehend feststeht: bei einer "Sozialauswahl" gehört der Mitarbeiter zu den letzten, die gehen.

Als "wenig eigenverantwortlich" bezeichnet Adensam es aber, wenn 30-Jährige mit nur wenigen Jahren Berufserfahrung eine solche Haltung zeigen. Nicht nur, weil sie bei einer Sozialauswahl oft als erste einen "Blauen Brief" erhalten, sondern auch, weil ihre Kernfrage eigentlich lauten sollte: Wo habe ich langfristig eine gute berufliche Perspektive? Indes trösten sie sich gerade in Großbetrieben oft damit, dass eine Betriebsvereinbarung sie noch ein, zwei Jahre vor der Kündigung schützt. Selbst wenn bereits feststeht: danach stehen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Straße.

Aber auch 45- und 50-Jährige sollten sich ernsthaft fragen: Habe ich hier langfristig noch eine Perspektive? "Denn auch sie haben in der Regel noch ein 15- bis 20-jähriges Arbeitsleben vor sich." Dessen ungeachtet ist jeder Jobwechsel mit einem Risiko verbunden. Entsprechend sorgsam sollte er, gerade wenn er nicht aus Not heraus geschieht, geplant sein, mahnt Personalberater Strübing. Und entsprechend genau sollten sich die Stellensucher im Vorfeld überlegen: Was gebe ich für den neuen Job auf und was gewinne ich durch ihn - und zwar nicht nur kurz-, sondern auch mittel- und langfristig?

Vorrübergehend weniger Gehalt akzeptieren

Zeigt sich dann: der neue Job eröffnet mir ganz neue berufliche Perspektiven und bietet mir ein deutlich höheres Maß an Jobsicherheit, dann sollten, so Strübings Empfehlung, Arbeitnehmer hierfür auch einen längeren Anfahrtsweg oder gar einen Umzug in Kauf nehmen. In gewissen Situationen sollten sie sogar "vorübergehende Gehaltseinbußen" akzeptieren.

Mit weniger Gehalt müssen, so Strübings Erfahrung, bei einem Stellenwechsel in schwierigen Zeiten vor allem Fachkräfte wie Produktionsmitarbeiter und Büroangestellte rechnen, die kein bei den Betrieben besonders gefragtes Spezialwissen mitbringen und aufgrund ihrer langen Berufstätigkeit ein relativ hohes Gehaltsniveau erreicht haben. Anders sieht es häufig bei Führungskräften aus. Denn bei deren Einstellung gehen die Personalchefs laut Adensam oft davon aus: "Mit 40 Jahren ist eine Führungs-kraft zwar gut, mit 45 Jahren aber erst sehr wirksam." Und wie verhält es sich bei Mitfünfzigern? Für Führungskräfte wie Werksleiter sei dies oft das Topalter. "Denn dann verfügen sie über viel Erfahrung und können mit der Verantwortung zum Beispiel für komplexe Anlagen umgehen."

Sowohl Strübing als auch Adensam wollen jedoch keine pauschalen Ratschläge geben. Hierfür sei die Situation nicht nur in den einzelnen Branchen, sondern auch bei den Stellensuchern zu verschieden. So riet Adensam zum Beispiel dem "beschäftigungslosen" Exgeschäftsführer eines Automobilindustriezulieferers, eine Stelle anzunehmen, obwohl diese mit 160.000 Euro pro Jahr ein Drittel schlechter als die alte dotiert war. Denn nach fast einjähriger Stellensuche stand der Mann immer noch auf der Straße und das Nichtstun nagte immer stärker an ihm. "Deshalb konnte er sich in Vorstellungsgesprächen auch immer schlechter verkaufen." Also empfahl Adensam dem 45-jährigen Vater zweier Kinder "Nimm den Job."