„Die europäische Welt ist ein Stück weit aus den Fugen geraten“, sagt Frank-Walter Steinmeier Foto: Getty

Frank-Walter Steinmeier ist seit Wochen weltweit als Krisenmanager unterwegs – meist mit diplomatischem Unterton. Am Wochenende hat der Bundesaußenminister ungewohnt Klartext geredet.

Frank-Walter Steinmeier ist seit Wochen weltweit als Krisenmanager unterwegs – meist mit diplomatischem Unterton. Am Wochenende hat der Bundesaußenminister ungewohnt Klartext geredet.

Vallendar - Nun ist es nicht die Aufgabe eines Bundesaußenministers, in Berlin im Büro zu sitzen und Akten zu studieren. Aber es scheint nicht ausgeschlossen, dass sich Frank-Walter Steinmeier demnächst selbst in der Luft begegnet. Der SPD-Mann hetzt derzeit von Termin zu Termin und übt sich seit Monaten als Krisenmanager. Mal Kiew, mal Moskau, mal Kabul, mal Kairo, mal Jerusalem, mal Washington, mal Paris. Da wirkt es fast wie eine Panne in der Reiseplanung, was am Wochenende passiert ist: Steinmeier macht Station in der Provinz, in Vallendar unweit von Koblenz.

Der Anlass: Steinmeiers Freund, der Stuttgarter Anwalt und Chef der Stiftung Familienunternehmen, Brun-Hagen Hennerkes, erhält an der Philosophisch-Theologischen Hochschule für „seine Verdienste um Kirche und Gesellschaft, für das Einstehen von christlichen Werten in Unternehmen und zum Wohle der Gesellschaft“, so die offizielle Begründung, die Ehrendoktorwürde verliehen. Und weil Steinmeier wie Hennerkes ein Verfechter von Tugenden wie Verlässlichkeit, Gottvertrauen, Gemeinwohl und Solidarität ist, macht er für ein paar Stunden Station auf dem Land.

Und dennoch: So idyllisch die Hochschule unweit des Rheins auch gelegen ist, so wenig kann Steinmeier die aktuelle weltpolitische Lage abstreifen. „Was wir derzeit erleben, ist keine übliche Krise, sondern wird in den nächsten Jahren zu einer Veränderung der Welt führen“, zeichnet er ein düsteres Bild der Aktualität: „Die europäische Welt ist ein Stück weit aus den Fugen geraten. Es wird viel Geduld und große Anstrengung bedürfen, um den Frieden wiederherzustellen.“

Mehr noch: Vor 400 führenden Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft räumt Steinmeier ein, dass die Lage in dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zuletzt deutlich heikler gewesen sei als von vielen vermutet: „Vor drei Wochen standen wir kurz vor dem Eintritt in den Krieg.“ Mancher im Saal unter den geladenen Gästen staunt über so viel Offenheit. Aber Steinmeier mimt an diesem Mittag nicht den vorsichtig argumentierenden Diplomaten. Russland hätte, wenn es zum Krieg gekommen wäre, „seine ganze militärische Macht ausgespielt“ – mit unkalkulierbaren Konsequenzen für Europa. „Das haben wir im Moment erst einmal abgewendet“, meint der Außenminister hörbar erleichtert.

Allein, von Entwarnung kann keine Rede sein. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine habe „die Sicherheitsarchitektur in Europa“ nachhaltig zerstört. Weitere Grenzveränderungen müssten deshalb verhindert werden, „weil das sonst kein Ende nimmt“ und neue Konflikte drohen würden. Ziel müsse es vielmehr sein, „Vertrauen wieder aufzubauen“ und den Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine dauerhaft auf anderer Ebene umzusetzen: „Politische Lösungen entstehen nicht im Mündungsfeuer der Gewehre.“

Steinmeier weiß freilich, dass dieser Konflikt nur einer von vielen ist. Auch in Syrien, im Irak und mit dem dortigen Vordringen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist kein Ende der Probleme in Sicht. IS schaffe sich „täglich neue Regeln“, mit einer „solchen Gruppierung kann man nicht verhandeln, zumal sie gar nicht verhandeln will“. Um die Ausweitung der Radikalislamisten zu verhindern, brauche es „vor allem die Einheit der arabischen Nachbarstaaten“ mit der Erkenntnis, dass man IS „als gemeinsamen Gegner“ versteht und dass das mörderische Treiben „nicht durch den Koran gerechtfertigt wird“.

Und wie bewertet er vor dem Hintergrund all dieser Krisen die Diskussion um die Materialmängel bei der Bundeswehr? Da wird Steinmeier spitz: „Wir brauchen Flugzeuge, die auch fliegen können.“ Angesichts der weltpolitischen Situation dürfe es in Sachen Ausrüstung und Sicherheit der eigenen Streitkräfte keine Kompromisse geben. „Wir müssen den Aspekt der Landesverteidigung stärker berücksichtigen als in den vergangenen 25 Jahren.“

Wieder geht ein Raunen durch den Saal. Begriffe wie Landesverteidigung nimmt sonst selten jemand in den Mund. Steinmeier weiß um die Brisanz solcher Äußerungen in Richtung Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und schwenkt schnell um. Die Waffenlieferungen an die Kurden sehe er durchaus kritisch. „Ich habe auch Zweifel daran“, gibt er zu, um dann anzufügen: „Man macht sich schuldig durch Handeln oder Nichthandeln.“ Sagt’s und steigt in sein gepanzertes Fahrzeug. Abfahrt nach Berlin. Ende der Auszeit.