Foto: dpa

 Die Hintergründe für den spektakulären Wiedereinstieg des Landes Baden-Württemberg bim drittgrößten deutschen Energiekonzern EnBW im Dezember 2010 scheinen geklärt.

Die Hintergründe für den spektakulären Wiedereinstieg des Landes Baden-Württemberg bim drittgrößten deutschen Energiekonzern EnBW im Dezember 2010 scheinen geklärt.

Stuttgart/Paris - Es ist ein ungemütlicher Herbstabend, jener 10. November 2010. Es regnet in Strömen. Aber der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus sowie sein Finanzberater Dirk Notheis, seinerzeit Deutschland-Chef der Investmentbank Morgan Stanley, haben keine Zeit, ins Pariser Nachtleben abzutauchen. Stattdessen setzen sich die politischen Weggefährten und Freunde nach der Landung in Paris ins Taxi und lassen sich schnurstracks in die Innenstadt fahren. Das Nebenzimmer eines Restaurants ist reserviert, wenig später sitzen ihnen zwei wichtige Personen gegenüber: Zum einen Henri Proglio, Chef des französischen Energiekonzerns EdF. Zum anderen dessen Zwillingsbruder René Proglio, Chef von Morgan Stanley in Frankreich. Thema des Treffens: Will und kann die EdF ihren 45-Prozent-Anteil an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) an das Land Baden-Württemberg verkaufen?

So möchte es Mappus gerne, deshalb hat er um diesen Termin gebeten. Die entscheidende Frage freilich: Zu welchem Preis wäre das Geschäft möglich? Und die Herrenrunde muss schnell zur Sache gekommen sein, das belegen neue Dokumente, die den Stuttgarter Nachrichten vorliegen. Der EdF-Chef macht den Besuchern aus Deutschland klar, dass er nichts gegen den Verkauf des EdF-Anteils an der EnBW haben würde, und benutzt dafür offenbar die später vielfach wiederholte Formulierung „Everything is on the table“. Soll heißen: Alles ist möglich.

Irgendwann zwischen Vorspeise und Hauptgang macht Henri Proglio aber zugleich klar, dass es für ihn eine finanzielle Schmerzgrenze geben werde. Und das bedeutet: Der mächtige, knorrige EdF-Chef will die EnBW-Aktien nicht unter dem aktuellen Buchwert verkaufen. Der liegt damals bei 39,90 Euro je EnBW-Aktie, irgendwann rundet Proglio auf 40 Euro auf. Darunter, so betont er mutmaßlich zwischen Dessert und Espresso, werde er einem Verkauf sicherlich nicht zustimmen.

Drei Aussagen vom Beginn eines dreiwöchigen Krimis, an dessen Ende das Land Baden-Württemberg der EdF am 6. Dezember die Anteile für knapp fünf Milliarden Euro abkauft und damit wieder zu einem Hauptaktionär an der EnBW, dem drittgrößten deutschen Energiekonzern, wird. Drei Aussagen aber auch, die das bestätigen, was der frühere CDU-Ministerpräsident Mappus seit Monaten behauptet: Nicht er habe damals den Preis in die Höhe getrieben, sondern die Franzosen hätten unmissverständlich klargemacht, was sie erwarten. Und was sie nicht akzeptieren.

Seit Freitag gibt es diese Belege nun auch schwarz auf weiß. Denn seither liegen die Stellungnahmen der beiden Proglio-Zwillinge sowie des EdF-Finanzvorstands Thomas Piquemal dem EnBW-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags vor.

Steuergeld verschwendet oder fairen Deal eingefädelt?

Monatelang hatte das parlamentarische Kontrollgremium von Stuttgart aus vergeblich versucht, von den Franzosen zu erfahren, wie der unter dem Codewort „Olympia“ behandelte Deal eigentlich ablief und wer wann den Kaufpreis festlegte. Doch die EdF hatte es kategorisch abgelehnt, Auskünfte zum Geheim-Geschäft zu erteilen. Erst als sich die französische Justiz nach langem Zögern einschaltete und den mächtigen Konzern EdF in Paris unter die Lupe nahm, kam Bewegung in den Fall.

Nun, Monate später, sind die Vernehmungsprotokolle fertig, seit wenigen Tagen übersetzt ins Deutsche. Sie dürften die Diskussion um die Frage neu entfachen, ob Mappus und Co. in jenen Tagen – wie von der jetzigen grün-roten Landesregierung stets vorgehalten – reichlich Steuergeld verschwendet haben, um wenige Monate vor der Landtagswahl 2011 einen politischen Erfolg zu erzielen. Oder ob sie – zumindest in der Sache – sauber gearbeitet haben.

Fakt ist: Die Protokolle, die in Auszügen unserer Zeitung vorliegen, stecken voller interessanter Details. So lässt EdF-Finanzchef Piquemal in seiner Vernehmung am 17. April 2013, beginnend um 9.30 Uhr, gegenüber der Polizei keine Zweifel: Bei der EdF habe man den später durch das Land Baden-Württemberg bezahlten Kaufpreis als angemessen empfunden. „Der Preis ist ein Preis, der als fair durch sämtliche beteiligten Parteien eingeschätzt wurde, und wir haben zahlreiche Rechtsgutachten eingeholt, die uns gestatteten, uns sicher zu sein.“

Als Beleg führt Piquemal eine Untersuchung durch die HSBC, die Hongkong Shanghai Bank Corporation, an. Die zweitgrößte Bank der Welt habe seinerzeit auf Bitte der EdF „eine Bewertung“ der Kauf- und Verkaufspläne vorgenommen. Diese sogenannte „fairness opinion“ – frei übersetzt: eine Prüfung, ob der Preis in Ordnung ist oder nicht – sei dem Verwaltungsrat der EdF vorgelegt worden. Das Ergebnis laut Piquemal: „HSBC stellte den fairen Charakter des Preises fest.“ Interessant in diesem Zusammenhang: Nicht nur die Versuche der baden-württembergischen Seite scheiterten, den Preis noch zu senken.

Bei der EdF legte man offenbar großen Wert auf einen schnellen Abschluss des Geschäfts. Es sei darum gegangen, so Piquemal, „Lecks zu vermeiden, die stets bei börsennotierten Gesellschaften nachteilig“ sein könnten, wenn der spektakuläre Coup vorab durchgesickert wäre. Die Eile in jenen Tagen geht aber auch auf Eigeninteresse zurück. Denn der Finanzchef des französischen Energiekonzerns gibt in seiner Vernehmung zu, dass der damalige schnelle Verkauf noch vor Jahresende 2010 geholfen habe, die massive Schuldenlast der EdF in den aktuellen Bilanzen zu reduzieren. Konzernchef Proglio habe deshalb großen Wert darauf gelegt, dass die 40 Euro pro Aktie „als Mindestwert vorgegeben“ waren, zuzüglich einer Dividende von 1,50 Euro pro Aktie. Zusammen also 41,50 Euro – genauer jener Betrag, den Mappus schlussendlich an die EdF bezahlte. Über diesen endgültigen Preis habe es „am 2. Dezember abends eine Einigung“ gegeben, sagt Piquemal zu den Verhandlungen jener Tage zwischen ihm und Dirk Notheis, seinem Gegenüber auf baden-württembergischer Seite. Vier Tage später, am 6. Dezember, ist die Tinte unter dem Vertrag.

Mehr noch: Piquemal macht auch klar, dass der sogenannte Parlamentsvorbehalt – also die Frage, ob der Landtag von Baden-Württemberg dem Milliarden-Geschäft vor diesem 6. Dezember hätte zustimmen müssen – damals ein zentraler Bestandteil der Verhandlungen zwischen Stuttgart und Paris war. Mappus hatte nach eigener Aussage auf eine vorherige Beteiligung des Landtags gedrängt, die Franzosen hatten dies kategorisch abgelehnt. René Proglio bestätigt das in seiner Vernehmung: „Ich weiß, dass der EdF daran gelegen war, dass das durch das Bundesland vorgenommene Angebot fest, endgültig und finanziert sein sollte“. Also keine Gefahren mehr drohten.

EDF überrascht von den Kaufabsichten

Auch Piquemal betont das in seiner Aussage bei der Polizeipräfektur: Das sei eine „wesentliche juristische Frage“ gewesen, die „wir behandeln mussten“, erinnert er sich. Man habe „nicht das Risiko eingehen wollen, einen Vorgang anzukündigen, dessen Durchführung unsicher sein würde“. Wie misstrauisch die EdF war, dass der Deal womöglich am Veto des Stuttgarter Landtags zu früh öffentlich werden oder noch scheitern könnte, belegt eine Tatsache, die bisher nicht bekannt war: Selbst als die Stuttgarter Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, die damals das Land juristisch beriet, nach verfassungsmäßiger Prüfung die Zusicherung erteilt hatte, dass der Landtag im Vorfeld des Geschäfts nicht beteiligt werden müsse, traute die EdF der Sache offenbar nicht. „Zur größeren Sicherheit hat unser Rechtsanwalt eine Analyse vonseiten eines deutschen Professors eingeholt, dass eine derartige Genehmigung nicht notwendig sei“, so Piquemal. Allein, sowohl dieses Gutachten als auch die Arbeit von Gleiss Lutz stellten sich später bekanntlich als wertlos heraus. Denn die Nicht-Beteiligung des Parlaments war ein Verfassungsbruch, wie der Staatsgerichtshof Monate später urteilte.

Wie intensiv aber war der EdF-Chef selbst in jenen Tagen in die Verhandlungen eingebunden? Sein Vernehmungsprotokoll vom 11. Juli 2013 stellt selbst Insider nach einer ersten Durchsicht vor Rätsel. Beispiel: die Schuldenlast der EdF. Im Unterschied zu seinem Finanzchef Piquemal bestreitet Henri Proglio, dass der Deal damals eilig war. Da habe keine große Dringlichkeit bestanden, lässt er die Ermittler wissen. Oder das Beispiel Parlamentsvorbehalt: Darauf hätten damals weder Mappus noch Notheis gedrängt, behauptet der EdF-Chef. Wie aber kann das sein? E-Mails zwischen den Verhandlungspartnern in Stuttgart und Paris, die ebenfalls unserer Zeitung vorliegen, belegen, dass Baden-Württemberg damals bei der EdF-Spitze sehr wohl auf die Lösung dieser Frage drängte.

Von besonderer Brisanz dürfte freilich eine andere Aussage des EdF-Chefs in seiner Vernehmung sein. Denn Proglio macht klar, dass er noch im Juli 2010 bei einem „reinen Höflichkeitsbesuch“ in Stuttgart im Rahmen eines Mittagessens von Mappus erfahren habe, dass Baden-Württemberg die EdF weiterhin als verlässlichen Partner für Baden-Württemberg werte und man aufseiten der EdF deshalb auch nicht daran gedacht habe, die Anteile an der EnBW zu verkaufen.

Er sei deshalb überrascht gewesen, so erinnert sich Proglio, als Mappus nur wenige Monate später das Treffen in Paris angeregt habe und plötzlich der Wunsch Baden-Württembergs auf dem Tisch liegt, die EdF-Anteile an der EnBW zu übernehmen. Andere Interessenten für die Übernahme der EnBW-Anteile habe es damals jedenfalls nicht gegeben, erinnert man sich bei den Franzosen. Aber hatte Mappus seinen Antrieb zum EnBW-Deal in den vergangenen Monaten nicht stets damit begründet, er sei damals in Sorge gewesen, ein anderer ausländischer Konzern könne nach den EdF-Anteilen trachten und der Baden-Württemberg-Konzern EnBW werde damit in fremde Hände fallen. Aus Sicht von Proglio drohte diese Gefahr offenbar nicht.

So schließt sich der Kreis zu jenem trüben Herbstabend des 10. November 2010. Die Herrenrunde sitzt in Paris, ein Treffen, das laut Aussage von René Proglio durch „Freundlichkeit geprägt war“. Mappus möchte kaufen, Proglio will angeblich nicht verkaufen – auch wenn er in den Monaten zuvor immer mal wieder betont hatte, er würde gerne die Mehrheit an der EnBW haben, sonst werde die Beteiligung uninteressant. Allein, das Land und auch der zweite Hauptaktionär, die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), hatten das stets abgelehnt. Und so wittert Proglio an jenem Abend wohl irgendwann die Chance, ein gutes Geschäft machen zu können, wenn er schon nicht die Mehrheit an der EnBW ergattern kann.

Was das plötzliche Kaufinteresse von Baden-Württemberg bei ihm ausgelöst habe, wird er in seiner Vernehmung gefragt. Er sei überrascht gewesen, antwortet er dem Ermittlungsrichter. Aber Proglio geht auf Mappus ein. Und bestimmt fortan das Geschäft – vom Mindestpreis bis zur Ablehnung des Parlamentsvorbehalts. In zwei Telefonaten mit Mappus – offenbar am 26. November und 3. Dezember – habe man die Bedingungen für das Geschäft festgezurrt, ist im Protokoll nachzulesen. Ob er sich Notizen von den Gesprächen mit Mappus gemacht habe, ob er sich an Details erinnern könne? „Nein“, sagt Henri Proglio, „ich schreibe keine Berichte für mich selbst“, um dann einen entwaffnenden Satz über sein Selbstverständnis hinzuzufügen: „Ich darf daran erinnern, dass ich der Generaldirektor bin.“