Freit sich auf den Kirchentag: Stadtdekan Christian Hermes Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Wort evangelisch kann man fast streichen. Denn in vielen Dingen ist der Kirchentag ökumenisch geprägt. Der katholische Stadtdekan Christian Hermes nennt Beispiele.

Herr Hermes, Sie scheinen frei nach dem Kirchentags-Motto der Klügste unter den Klugen zu sein?
Wer sagt das?
Ich.
Ach, so. Danke. (Lacht) Und wie kommen Sie darauf?
Nun ja, Sie haben beispielsweise Ihre Veranstaltung Nightfever in St. Eberhard klug in die Zeit des Kirchentags gelegt. Die Stadt ist pickepacke voll mit Protestanten, und alle gehen in die katholische Kirche.
Pardon, aber der Kirchentag hat uns gefragt, ob wir Nightfever machen könnten. Es steht im offiziellen Programm des Kirchentags – genauso wie Fronleichnam. Das entspricht der guten und partnerschaftlichen ökumenischen Situation, die wir in Stuttgart haben. Für mich ist der Kirchentag ein ganz großes Glaubensfest.
Es ist demnach eine verbindende Sache, keine trennende?
Das kommt ja auch bei Fronleichnam zum Ausdruck.
Ein katholischer Feiertag.
Der nun gemeinsam gefeiert wird. Wir feiern Fronleichnam wie jedes Jahr im Rosengarten, aber der evangelische Stadtdekan Sören Schwesig wird dabei sein und bei der Prozession das Wort Gottes tragen. Ein tolles Zeichen.
Sie und Schwesig arbeiten schon immer sehr gut zusammen. Das ist keine Besonderheit.
Wir waren auch gemeinsam in der Projektgruppe, die die Gottesdienste zum Kirchentag vorbereitet hat. Ich habe da ein sehr fruchtbares und schönes ökumenisches Klima erlebt.
Wo wird das noch sichtbar?
Darin, dass wir ganz selbstverständlich unsere Gemeindehäuser und Kirchen dem Kirchentag zur Verfügung stellen. Aber auch darin, dass ich eingeladen bin, zusammen mit den evangelischen Kollegen den Eröffnungsgottesdienst zu feiern. Und es sind ganz viele katholische Organisationen beim Kirchentag beteiligt.
Wo wird die Gemeinsamkeit in St. Eberhard konkret?
Zum Beispiel beim Bittgottesdienst für den Frieden, wie gesagt, bei Nigthfever am Donnerstagabend, am Freitagmorgen ist Kardinal Marx zur Bibelarbeit da, dann kommt der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber zu einem Gottesdienst. Am Samstag kommt Kirchentagspräsident Andreas Barner zusammen mit Kardinal Lehmann und, und, und.
Spielt das Haus der Katholischen Kirche auf der Königstraße auch eine Rolle?
Ja, aber nur als Rückzugsort, wo Menschen Ruhe finden können. Für Kirchentagsveranstaltungen ist das Haus, auch wenn sich das seltsam anhört, eher zu klein.
Wie ist Ihr persönliches Gefühl vor dem Start?
Ich freue mich riesig darauf, aber habe wie alle, die mit der Organisation etwas zu tun haben, einen Riesenrespekt vor dieser Großveranstaltung.
Apropos Freude. Spüren Sie die auch bei Ihren Stuttgarter Glaubensbrüdern?
Auch von dort kommt nur Positives. Wir haben auch die Aktion „Gräbele gesucht“ unterstützt. Das ist schön, denn auch auf dieser Ebene der Begegnung wachsen Beziehungen. Bedeutet: Die Katholische Kirche nimmt in vielfältiger Weise Anteil am Kirchentag.
Sie klingen begeistert, gibt es auch Kritik?
Kritik würde ich es nicht nennen. Aber Kirchentage sind eben Bundesereignisse. Es kommen die höchsten Ebenen aus Politik und Gesellschaft. Aber die kirchlichen Einrichtungen Stuttgarts selber sind nicht so stark vertreten.
Sie meinen, der Kirchentag sei wie ein Ufo, das auf Stuttgart landet und dann nach vier Tagen wieder abfliegt?
Das Bild ist nicht von mir, aber sicher nicht ganz falsch. Ich glaube aber trotzdem, dass dieses gemeinsame Feiern und Erleben uns alle stärken wird. Denn bei aller Größe ist der Kirchentag keine triumphalistische Selbstdarstellung der Kirche, die gegen den Bedeutungsverlust in der Gesellschaft kämpft. Er zeigt eher, dass Kirche eine große Gemeinschaft von sehr vielfältigen Menschen und Gruppen ist. Es tut uns gut, das gemeinsam zu erleben. Das stärkt diese Gemeinschaft.
Wird die Größe der Gemeinschaft auch die Kritiker beeindrucken? Zum Beispiel dann, wenn es wieder um Personalkostenzuschüsse für kirchliche Kitas geht?
Wir sind nach wie vor die größte soziale Gruppe in der Stadt. Drei Viertel der Stuttgarter überhaupt gehören einer Religion an. Religion ist kein Randphänomen, wie manche meinen oder gerne hätten. Und wir Kirchen machen sehr viel in dieser Stadtgesellschaft.
Die Schwerpunkte des Kirchentags liegen auf Ökologie und Wirtschaft. Vermissen Sie etwas?
Nein. Im Programm gibt es auch sehr viele spirituelle Angebote. Und da merke ich, dass der Kirchentag sich verändert. Ein Indiz für den Wandel ist auch, dass der koptische Bischof, ein Vertreter der syrisch-orthodoxen Gemeinde und Mitglied der chaldäischen Gemeinde an einem Eröffnungsgottesdienst mitwirken. Hier wird, wie Papst Franziskus gesagt hat, die „Ökumene des Leidens“ mit den verfolgten Kirchen im Nahen Osten in dieser Zeit deutlich.
Solche Begegnungen mit Vertretern von verfolgten Christen dürften den Horizont erweitern. Ist es also mehr als eine vage Hoffnung, dass dieser Kirchentag klüger macht?
(Schmunzelt) Bestimmt. Es gibt 1000 Veranstaltungen am Kirchentag, aber egal, wohin man geht, man wird danach sicher klüger sein.