Schwarzfahren in Bus und Bahn – Eltern haften nicht für ihre Kinder Foto: Max Kovalenko

Ein Zwölfjähriger wird in der Stadtbahn ohne gültiges Ticket ertappt. Die SSB fordern von der Mutter des Jungen deshalb einen Geldbetrag. Doch die Frau wehrt sich – denn: Gegen schwarzfahrende Kinder unter 14 sind Verkehrsbetriebe weithin machtlos.

Stuttgart - Am 6. Mai fährt Luca wie jeden Morgen mit der U 15 zur Schule. Als Fahrscheinkontrolleure der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) in die Stadtbahn steigen, hat er ein ruhiges Gewissen. Er hat ein School-Abo, die Monatskarte für Schüler. „Doch da hatte ich noch nicht die Marke für den Mai eingeklebt“, erzählt Luca. Somit ist das Ticket nicht gültig. Für die Kontrolleure ist Luca in dem Moment ein Schwarzfahrer. Schwarzfahren kostet 40 Euro.

„Ich habe meinen Kindern selbstverständlich beigebracht, dass Schwarzfahren nicht in Ordnung ist und dass sie das selbst auch nicht tun dürfen“, sagt Anette Heiter. Trotzdem sieht die Mutter von Luca keinen Grund, im konkreten Fall eine Strafe zu bezahlen. Daran ändert sich auch nichts, als ihr die SSB eine Woche später per Brief mitteilt, dass das sogenannte erhöhte Beförderungsentgelt von 40 Euro entfalle, da Luca tatsächlich School-Abo-Kunde sei. „Für den entstandenen Aufwand erheben wir lediglich ein ermäßigtes erhöhtes Beförderungsentgelt von sieben Euro“, schreiben die SSB Lucas Mutter. Doch auch das akzeptiert Frau Heiter nicht. Der Richterin am Amtsgericht Stuttgart geht es in der Auseinandersetzung mit dem städtischen Verkehrsbetrieb auch ums Prinzip. „Wir verhalten uns in diesem Fall absolut rechtstreu; die SSB tun das leider nicht adäquat“, sagt sie.

Ohne Vertrag keine Vertragsstrafe

Die Argumentation der Juristin Heiter zielt im Kern darauf ab, dass zwischen ihrem 12-jährigen Sohn und den SSB kein sogenannter Beförderungsvertrag nach den Vertragsbedingungen des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS) zu Stande gekommen sei, da Kinder bis 13 Jahren nur „eingeschränkt geschäftsfähig“ seien und ohne Zustimmung ihrer gesetzlicher Vertreter keine Verträge eingehen dürfen, die nicht ausschließlich zu ihrem Vorteil sind. So steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), Paragraf 107.

Die 40 Euro Strafe fürs Schwarzfahren – oder auch die sieben Euro Aufwandsentschädigung – sind aber Vertragsstrafen. Ohne Vertrag keine Vertragsstrafe, argumentiert Heiter. Der Versuch der SSB, sich stattdessen an sie, die Mutter, zu wenden, gehe gleichfalls ins Leere. „In den Richtlinien des VVS steht nirgends, weshalb ich als Mutter die Vertragsstrafe zahlen sollte“, sagt Heiter: „Die Haftung der Eltern kommt hier überhaupt nicht in Frage – zumal sich daraus lediglich Schadenersatzansprüche ableiten lassen, keine Strafe.“

„Aus unserer Sicht hat das Kind einen Beförderungsvertrag mit der SSB, nämlich das School-Abo“, sagt dagegen SSB Pressesprecherin Susanne Schupp. Damit würden auch die sieben Euro zu Recht erhoben. Ob die SSB die Forderung gegen Heiter bis zum Ende aufrecht halten, scheint aber fraglich.

Schwarzfahrer unter 13 Jahren können nicht belangt werden

Recherchen unserer Zeitung ergeben nämlich, dass den Unternehmen im Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) durchaus bewusst ist, dass Schwarzfahrer unter 13 Jahren – sofern sich die Eltern wehren – nicht belangt werden können. Nur offen aussprechen mag es keiner. „Wir wollen dem Schwarzfahren nicht noch Tür und Tor öffnen“, heißt es bei einem Unternehmen. „Dazu äußern wir uns nicht“, sagt SSB-Sprecherin Schupp.

Auch bei der Deutschen Bahn, die in der Region die S-Bahn und Nahverkehrszüge betreibt, tut man sich schwer mit dem Thema. „Eine Fahrt ohne Fahrschein kostet generell mindestens 40 Euro“, sagt Bahn-Pressesprecher Martin Schmolke. „Wenn Kinder betroffen sind und Eltern widersprechen, entscheiden wir aber immer im Einzelfall.“

Flankenschutz für die Sicht der Bus- und Bahn-Betreiber kommt vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in Berlin. „Ab dem 7. Lebensjahr eines Kindes besteht theoretisch ein zivilrechtlicher Anspruch gegenüber dem Schwarzfahrer“, sagt VDV-Pressesprecher Lars Wagner. „Ob das Kind dann belangt würde, liegt im Ermessen des Richters – wenn es soweit käme.“

Hausverbot als mögliche Konsequenz

Die Sichtweise sei nicht zutreffend, meinen Experten „Bei Kindern unter 14 Jahren gibt es grundsätzlich weder strafrechtlich noch zivilrechtlich einen Anspruch auf ein erhöhtes Beförderungsentgelt“, sagt Heidi Milsch, Geschäftsführerin der Rechtsanwaltskammer Stuttgart. Grund die beschränkte Geschäftsfähigkeit Unter-14-Jähriger. „Ohne Einwilligung der Eltern kommt hier kein Beförderungsvertrag zustande“, sagt Anwältin Milsch. So hat zum Beispiel das Amtsgericht Bonn entschieden, als es 2009 zwei Schwarzfahrer unter 14 mit dieser Begründung freisprach.

„Angesichts der juristischen Lage bleibt uns nichts anderes übrig, als an die erzieherische Verantwortung der Eltern zu appellieren“, heißt es bei einem großen Verkehrsunternehmen. Eine mögliche Konsequenz gegen notorische Schwarzfahrer unter 14 könnte auch ein Hausverbot sein, heißt es in einem anderen ÖPNV-Betrieb. Schließlich sei Schwarzfahren eine Straftat. Öffentlich sagen will man das nicht,

„Strafrechtlich besteht keine Handhabe gegen Schwarzfahrer unter 14, weil Kinder in dem Alter strafunmündig sind“, schränkt Claudia Krauth, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart, ein. Allerdings erfasse man in solchen Fällen die Personalien und die Fälle intern. „Falls ein Kind mehrfach auffällt, merken wir das“, sagt Krauth. Welche Konsequenzen das hat, lässt sie offen.