Wollen die SPD weiter führen: Kreischef Reißig (Mitte) mit Stellvertretern Weckenmann (rechts) und Gilitschenski Foto: Kraufmann

Wahl des Kreisvorsitzenden: Perc tritt gegen Reißig an - Konflikt nicht nur um Stuttgart 21.

Stuttgart - Die Sozialdemokraten haben bei der Landtagswahl in Stuttgart so stark verloren wie keine andere Partei. Bei den Genossen gärt es. Am 16. Mai steht der Kreisvorstand zur Wahl. Die Jungsozialisten bieten einen Gegenkandidaten zum Vorsitzenden Andreas Reißig auf.

Die Landtagswahl vom 27.März hat bereits die Vorstandsriege bei der CDU und den Liberalen durcheinandergewirbelt. Knapp zwei Monate nach dem für die Genossen mit stadtweit nur noch 20,4 Prozent verheerenden Urnengang droht auch Andreas Reißig, Ruth Weckenmann und Igor Gilitschenski ein Scherbengericht. Der SPD-Kreisvorsitzende und seine beiden Stellvertreter wollen bei der turnusmäßigen Neubesetzung wieder antreten.

Reißigs Herausforderer Dejan Perc hat sich am gestrigen Dienstag erklärt. "Ich werde für den Vorsitz der SPD in Stuttgart kandidieren", sagt der 35-jährige Kommunikationswissenschaftler. Der Kreisvorstand stoße zu wenig Diskussionen an und würdige die Positionen der Basis nicht, kritisiert Perc. Er spielt damit auf eine Entscheidung über den Neubau des rund 90 Millionen Euro teuren Autotunnels unter dem Rosensteinpark an, den die SPD-Basis 2009 mit nur einer Stimme Mehrheit ablehnte. Reißig, im Hauptberuf Sprecher der Landes-SPD, im Ehrenamt Stadtrat, und die SPD-Fraktion missachteten dieses Votum und stimmten für den Tunnelbau.

Unverstanden und nicht genügend repräsentiert sieht Perc auch die Stuttgart-21-Gegner in der Partei. "Die Position gegen das Projekt ist nicht korrekt vertreten", so Perc, der beim Autoclub ACE arbeitet. Ihm sei ein "fairer Stil im Kreisverband wichtig". Zuspruch erfährt er von den Jungsozialisten, aber auch andere Gruppierungen in der SPD hätten ihn motiviert. "Dejan Perc hat die volle Unterstützung der Jusos, wir hatten schon nach der Kommunalwahl 2009 einen Schnitt gefordert", sagt deren Vorsitzender Nicolas Schäfstoß (28). Die SPD sei "profillos" geworden. Neben dem Rosensteintunnel führt Schäfstoß die Bürgerbefragung zu Stuttgart 21 an, die negiert worden sei. "Die Beruhigungspillen des Kreisvorsitzenden wirken nicht mehr", so Schäfstoß zu Reißig.

Reißig, der die SPD in der Nachfolge der Bundestagsabgeordneten und damaligen OB-Kandidatin Ute Kumpf seit März 2004 führt, hat die Herausforderung erwartet. "Ich nehme das sportlich", sagt er. Bei der jüngsten Delegiertenversammlung nach der Wahl mit dem Spitzenkandidaten Nils Schmid versprach Reißig eine "genaue Analyse" der Niederlage und redete von den Chancen in der grün-roten Koalition.

Altgediente Genossen wie die frühere Landtagsabgeordnete Inge Utzt kritisierten damals den in der SPD offen ausgetragenen Streit um den Rosensteintunnel und Stuttgart 21 und damit das desolate Erscheinungsbild der Partei. Stadträtin Judith Vowinkel fordert einen "ehrlichen Umgang" mit der Niederlage. "Ich hatte erwartet, dass der gesamte Kreisvorstand nach diesem Ergebnis zurücktritt und es einen Neuanfang gibt", sagt die Sozialpädagogin.

Reißig ging am Dienstag zum Angriff über. Er vermisse bei Perc Selbstkritik und ein Programm. Perc fuhr bei der Landtagswahl mit 17,5 Prozent das schlechteste Ergebnis aller vier Kandidaten ein.

Auf die Jusos ist der 37-jährige Reißig nicht gut zu sprechen, seit diese vergangenes Jahr eine Volksabstimmung über das Bahnprojekt Stuttgart 21 fordert. Weil der hoch im Ansehen stehende Erhard Eppler die Idee aufgriff, vermied Reißig offenen Streit. Die "entgiftende Wirkung", die Eppler dem Volksentscheid zuschrieb, ist nicht eingetreten - im Gegenteil. Vollends auf Konfrontationskurs ging die aufmüpfige Jugendorganisation im November mit der Einladung von Oskar Lafontaine. Der rote Nachwuchs wollte mit dem Saarländer über die "Zukunft einer mehrheitsfähigen Linken in Deutschland sprechen". Das muss auf Reißig wie Hochverrat gewirkt haben.

Unterstützung erfährt Reißig von Stellvertreterin Weckenmann. "Mit anderem Personal wäre diese Wahl nicht anders gelaufen, und bei Stuttgart 21 halten sich Befürworter und Gegner bei uns die Waage, da sind wir gespalten", so Weckenmann.