Solarzellen statt Asphalt: So könnten die Straßen der Zukunft aussehen. Foto: Solar Roadways

Ein amerikanischer Kleinbetrieb will Straßen aus Solarzellen bauen. Eine verrückte Idee oder eine echte Alternative zu Asphalt und Beton?

Sandpoint - Manchmal muss man ein Spinner sein, um die richtigen Fragen zu stellen. Oder Quereinsteiger. Julie Brusaw war beides, als sie vor neun Jahren „An Inconvenient Truth“ sah. Der Dokumentarfilm, publikumswirksam inszeniert von Ex-Präsidentschaftskandidat Al Gore, rechnet mit der US-Klimapolitik ab. Es geht um Treibhausgase, spritfressende Autos und alternative Energien. Die meisten Zuschauer sind schlecht drauf, wenn sie den Film gesehen haben. Brusaw, Psychologin in Sandpoint, einer Kleinstadt in Idaho, ging es ähnlich. Doch dann kam ihr die Frage, die ihr Leben veränderte: Warum müssen Straßen aus Asphalt oder Beton sein? Könnte man nicht Solarzellen verbauen?

Ehemann Scott, ein Elektroingenieur, lachte zuerst. Dann ging auch ihm das Hirngespinst nicht mehr aus dem Kopf: Wie viel Strom man wohl produzieren könnte, wenn Straßen, Bürgersteige, Parkplätze und Einfahrten mit Solarzellen ausgestattet wären? Hätten Elektroautos so die perfekte Stromquelle? Ist das technisch möglich? Warum hat es noch niemand erfunden?

Zumindest über Letzteres müssen die Brusaws nicht mehr nachdenken. Ihre Solar Roadways haben sie patentieren lassen; in der 2006 gegründeten Firma arbeiten inzwischen fünf Angestellte. Die Idee, die erst durchgeknallt klang, hat Fahrt aufgenommen: Erst genehmigte das amerikanische Verkehrsministerium eine Anschubfinanzierung von knapp 90 000 Euro. Später wurden für den Bau eines Prototyps umgerechnet 666 000 Euro nachgeschossen. So entstand neben der Garage der Brusaws ein elf Meter langer Solarhighway. Die Teststrecke besteht aus sechseckigen, von einer Glasoberfläche bedeckten Elementen. Der Clou: Die Solarstraße soll sich durch Heizelemente nicht nur von Schnee und Eis freihalten können, sondern mit Hilfe von LEDs auch Warnungen direkt auf der Fahrbahn einblenden.

Rund zwei Millionen Euro sammelten die Brusaws im Internet für ihr Projekt

Die Brusaws riefen zu einer Crowdfunding-Kampagne auf, mit der die Serienproduktion beginnen sollte. Die Internetgemeinde zeigte sich angetan – und spendabel. Das Video „Freaking Solar Roadways“ wurde über 20 Millionen Mal geklickt; statt der angepeilten Million kamen 2,2 Millionen Dollar (rund zwei Millionen Euro) zusammen. Julie Brusaw gab ihre Praxis auf, um sich der Firma zu widmen. Von Idaho bis Dubai erreichen sie Anfragen. Damit endet die Erfolgsgeschichte fürs Erste. Die Spendenkampagne ist seit über einem Jahr abgeschlossen, die einst so medienaffinen Brusaws haben sich zurückgezogen, „um sich ganz auf die Produktion zu konzentrieren“.

Auf einen Interviewwunsch reagiert zunächst niemand. Ob man den Prototypen einmal sehen könne? Keine Antwort. Dann stimmen die Brusaws einem Treffen doch noch zu. Zur Begrüßung legt Scott Brusaw eine Glaswabe auf den Tisch. „Das ist superhartes Material, wie Panzerglas“, sagt er, damit die am häufigsten gestellte Frage erst gar nicht aufkommt: Wie sollen Solar-Highways den Schwerlastverkehr überstehen? Auch müsse man keine Angst vor rutschigen Fahrbahnen haben, denn Heizelemente sorgten dafür, dass Schnee und Eis schmölzen. Und wenn die Sonne mal nicht scheint? „Dann holen wir uns den Strom aus dem Netz.“

Zu anderen Punkten schweigen die Gründer. Wie hoch sind die Produktionskosten? „Können wir erst sagen, wenn die neuen Module fertig sind.“ Wann das ist? „Bald.“ Nach der anfänglichen Euphorie, sagt Julie Brusaw, habe es viel Häme gegeben. Deshalb sei man vorsichtiger im Umgang mit der Öffentlichkeit. Welche Wissenschaftler das Projekt unterstützen, möchte sie nicht sagen – „damit sie von Anfragen nicht überrollt werden“. Mit genervter Stimme schiebt sie nach: „Wenn die ersten Autos in Sandpoint über unsere Solar-Waben rollen, wird das alle überzeugen. In spätestens fünf Jahren nutzt die ganze Welt unsere Technologie.“

Auch in Deutschland gibt es bereits Pläne für Solar-Straßen

Ganz abwegig scheint die Vorstellung nicht zu sein. Harry Wirth, Leiter des Bereichs Photovoltaische Module am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, steht der Erfindung wohlwollend gegenüber. „Physikalisch ist das möglich – und der Prototyp ist ein Meilenstein.“ Die Massentauglichkeit hänge von den Kosten ab. „In den letzten Jahren gab es einen starken Preisverfall bei PV-Modulen, wobei dieses Produkt natürlich speziell ist.“ In jedem Fall sei die Idee verlockend: „Wenn man bedenkt, wie groß die nutzbare Fläche wäre, sieht man das enorme Potenzial.“

Das gilt auch für Deutschland mit seinem 650 000 Kilometer langen Straßennetz. „Würden wir 15 Prozent der Fläche nutzen, könnten wir auf Atomkraftwerke verzichten“, sagt Donald Müller-Judex, der die Firma Solmove gegründet hat. Auch er möchte Solarstraßen bauen, wenngleich mit flexiblem Fahrbahnbelag, der sich wie ein Teppich abrollen lässt. Noch steht er am Anfang, denn so spendabel wie in den USA sind die Geldgeber hierzulande nicht: Das Startkapital von einer Million Euro hat er bis heute nicht zusammen.