Die Indie-Band Sizarr veröffentlichen ihr zweites Album "Nurture". Foto: fourmusic

Fabian Altstötter, Philipp Hülsenbeck und Marc Übel sind drei immer noch sehr junge, aber sehr reif klingende Anfangzwanziger aus der Provinz. Anhören kann man der Musik des zweiten Albums „Nurture“ ihrer Band Sizarr die pfälzische Herkunft nicht.

Stuttgart - Sizarr-Sänger Altstötter ist gestern erst vom Marokko-Urlaub heimgekehrt („Marrakesch war scheiße, aber am Meer war es sehr schön“). Jetzt will er noch ein paar Tage durchschnaufen, bevor die Tournee mit einem Konzert in Stuttgart beginnt. „Ich bin der Überzeugung“, sagt er, „dass sich Gefälligkeit und Anspruch nicht ausschließen müssen. Ein guter, fesselnder Popsong ist eine Kunstform und bringt viel mit, das als wertvoll angesehen werden kann.“

Aber man solle auch nicht übertreiben, schränkt er ein. „Ich glaube, alles in allem sind Sizarr mehr Entertainment als Kultur. Letzten Endes machen auch wir nur Pop.“ Man kann sich darauf einigen, dass Sizarr Tiefgang mit Unterhaltung verbinden – und dass es „uns sehr wichtig ist, dass die Lieder nicht plump sind, denn das Endprodukt sollte schon wertig sein“.

Keine Sorge, Fabian, das ist es. „Nurture“ haben sie ihr zweites Album genannt, es ist der Nachfolger des 2012 erschienenen Debüts „Psycho Boy Happy“, das erstklassige Kritiken sowie einen kleinen Charteinstieg auf Platz 73 vorweisen konnte und nicht zuletzt durch die prägnante wie visionäre Zeile „The kids take over now“ in Erinnerung blieb.

Schon seinerzeit entfachten die gerade mit der Schule fertigen Jungs einen ordentlichen Wirbel. Beim prestigeträchtigen SXSW (South-by-Southwest)-Festival in Austin/ Texas traten sie auf, sie tourten – auch ein bisschen im Ausland – mit den einigermaßen geistesverwandten Bands Vampire Weekend, Animal Collective und Editors. Und für den Echo-Kritikerpreis waren sie auch nominiert. Sogar die englische Zeitung „The Guardian“, in der deutsche Bands sonst nicht eben aller Tage gefeiert werden, lobte Sizarr für deren „moderne elektronische Klanglandschaften“.

"Manchmal ist Einsamkeit sehr schön"

„Nurture“ markiert nun einen ziemlichen Sprung von Fast-noch-Teenagern zu Fast-schon-Erwachsenen, was sich nicht nur in diversen Umzügen (Fabian lebt jetzt mit Freundin in Berlin, Philipp in Hamburg, Marc in Heidelberg), sondern insbesondere in den noch ambitionierter gewordenen Texten zeigt. Fabian liest seit einiger Zeit sehr viel, „vor allem Gedichte und philosophische Sachen, aktuell ‚Ecce Homo‘ von Nietzsche“, und dieses für ihn noch recht neue Hobby spiegelt sich etwa im Text zu „Baggage Man“ wider, „einer mehr analytischen als klagenden Betrachtung der Einsamkeit. In der zweiten Strophe bringe ich als Lösung die Zweisamkeit ins Spiel, aber es hat alles Vor- und Nachteile, manchmal ist die Einsamkeit auch sehr schön.“

Bevor er seine Freundin traf, so Fabian Altstötter, sei die Suche nach einer Partnerin ein großer Bestandteil seines Lebens gewesen. „Allerdings biss sich dieser Wunsch mit meinem Hang zur Stubenhockerei. Meine Freundin sorgt dafür, dass ich öfter mal vor die Tür gehe.“

Spannend auch, wenn er mitten in diesem englischen Text plötzlich das deutsche Wort „Einsamkeit“ ausstößt. Erwartet man ja nicht, so einen Bruch. „Deshalb habe ich es gemacht“, sagt der ernste Fabian und muss endlich mal lachen. „Früher fand ich es nicht schön, auf Deutsch zu singen. Mittlerweile weiß ich unsere Sprache zu schätzen.“ Trotzdem nagt ein gewisser Zweifel an dem sensiblen Kerl. Seit er dauernd liest, findet er seine eigene Lyrik nämlich tendenziell zu flach. „Die Sachen, die ich gerade lese, sind so viel schwermütiger und meinungsvoller als meine eigenen nichtigen Lieder.“

Vom Punk zum gediegenen Rotwein-Pop

Stilistisch ist „Nurture“ schwer zu beschreiben. Reifer sind Sizarr geworden, klar, das bringt das Alter mit sich und ist eine, wenn auch zutreffende, Binsenweisheit. Fabians dunkle Stimme sorgt für eine gewisse klangliche Unterkühltheit, und wer sucht, der findet Einflüsse von Punk, Rock, Electro, Pop, Indie und R&B. Grundsätzlich macht „Nurture“ einen recht wehmütigen und melancholischen Eindruck, tanzen und ausflippen sollte man besser zu anderen Songs.

Partymusik ist das nicht, sondern eine Mischung aus Interpol und Get Well Soon, mit ein bisschen Morrissey und Radiohead obendrauf. Elegisch waren die Songs schon zuvor, jetzt sind sie noch um einiges eleganter geworden, besonders schön zum Beispiel ist „Scooter Accident“ geraten, das auf einer wahren Begebenheit beruht.

Insgesamt eine sehr erstaunliche Entwicklung, die diese drei Herren genommen haben. Aufgewachsen in einer „idyllischen Märchenwelt“ im pfälzischen Landau, waren sie anfangs eine Punkband und spielten am liebsten auf dem Weingut von Marcs Eltern. „Bezahlt wurden wir in Naturalien“, so Fabian, und womöglich machen sie auch deshalb diesen gediegenen Rotwein-Pop. Die Zeiten der Weingutkonzerte sind allerdings vorbei, demnächst will die Band, der man die Herkunft überhaupt nicht anhört, noch stärker versuchen, im Ausland Fuß zu fassen. Aber egal, wo es sie auch hin verschlagen wird, „ein paar Flaschen Wein von Marcs Eltern haben wir immer dabei.“

Sizarr spielen an diesem Donnerstag um 20 Uhr im Universum in Stuttgart.