Wie auf einem anderen Planeten: Das dreitürmige Hotel Marina Bay Sands bestimmt das Bild am Hafen von Singapur, links daneben das muschelartige Kunstmuseum, davor das Kongresszentrum. Foto: SoAk/Kern

40 Prozent von Singapur bestehen aus aufgeschüttetem Land, und der Landgewinn geht immer weiter. Stadtkarten veralten recht schnell.

Singapur - Ohne Karte geht nichts in Singapur. Das wichtigste Stück Karton ist aber nicht die Stadtkarte, ohne die sich ein Tourist zugegebenermaßen auch ein wenig schwertut in der 5,3-Millionen-Metropole. Viel essenzieller als jeder Straßenplan ist die Visitenkarte. Ohne die ist man in Singapur ein Heimatloser, ein Mensch ohne Namen und Funktion. Ein Niemand. „Wer das Hotel verlässt, sollte mindestens so viele Kärtchen mitführen, wie er unfallfrei zwischen Daumen und Zeigefinger halten kann“, sagt einer aus der Reisegruppe. Danke für den Tipp, Herr Alleswisser. Noch eine andere Kategorie Karten hat in Singapur eine immense Bedeutung: Speisekarten. Die Einheimischen sind, was Kochen am eigenen Herd anbelangt, so ambitioniert wie ein Papagei beim Stepptanz. Folglich ist die Dichte der Esstempel, Restaurants, Spezialitätenläden und Imbissbuden vermutlich höher als irgendwo anders auf dieser Welt. In den Hawker Centres und Foodcourts, den klimatisierten riesigen Esshallen, werden Stuhl- und Tischreihen in den Gässchen von Imbissbuden und Garküchen aller Art flankiert. Das ist nichts zum gepflegten Dinieren, mehr für den kleinen bis mittleren Hunger. Ein Blick auf die englischen Worte mit Fotos auf der Karte kann helfen, muss aber nicht.

Die Hawker Centres sind gemacht für Zeitgenossen, die es immer irgendwie eilig haben; diese Spezies macht in Singapur tagsüber etwa 90 Prozent der Bevölkerung aus. „Daher sollten Fremde genau wissen, was sie bestellen möchten, wenn sie an der Reihe sind“, meint der Spaßvogel der Gruppe, „sonst kommen sie ins Chop Suey.“ Mehr Ruhe bieten Restaurants wie das indische Banana Leaf, wo zur Speisekarte auch Visitenkärtchen gereicht werden. „Wo Speisen eine Kunst ist“, steht drauf, dazu Telefonnummer, E-Mail-Adresse. Die Kunst könnte schwerfallen - im Banana Leaf wird alles auf einem Bananenblatt serviert, um es mit der Hand zum Mund zu führen. „Außer die Getränke“, scherzt der Nervtöter. Für europäische Kids mit wenig vorzeigbaren Tischmanieren ein Paradies, es werden aber auch Löffel und Gabel unbürokratisch verteilt. Wenn die Augen jedoch eine optische Delikatesse begehren, ist die Fahrt mit dem Aufzug auf 226 Meter ins Equinox Pflicht. Einen einmaligen Ausblick bietet das Restaurant, das sich im 70. Stockwerk des Swissôtel The Stamford befindet.

Eine Cola kostet acht Euro, ein Bier 15 und ein Mixgetränk 24

Hier gibt’s zum Diner einen Blick auf die City mit Kolonialbauten, den Singapore River und den Wolkenkratzern der Finanzwelt. Und vor dem Abschied ist es unabwendbar, mit Karen Tan, Marketing-Direktorin des Hotels, und Susie Lim-Kannan, der Medien-Direktorin, die Visitenkarten zu tauschen. „Sonst könnten sie glauben, es habe nicht geschmeckt“, meint der Kerl mit seinen Ihr-müsst-aber-auch-mitlachen-Witzen. Noch höher geht’s im Altitude 1, der (nach eigenen Angaben) höchsten Dachbar der Erde. Auf 282 Metern schlürfen die Gäste Cocktails und naschen Häppchen - eine Cola kostet acht Euro, ein Bier 15 und ein Mixgetränk 24. Immerhin: Die Fahrt mit dem Aufzug wie der Blick sind kostenlos, die Kärtchen von Jay Lim, Principal Consultant, und Angela Sim, Managing Director, ebenfalls. Und ausnahmsweise keinen Spruch - dem Dauerplauderer muss in luftiger Höhe die Zunge vor Staunen (oder Unwohlsein?) in die Hose gerutscht sein. Wer sich lieber unters Fußvolk mischt, isst Satay. Dabei werden Fleisch oder Fisch am Spieß gebraten und mit allerlei Soßen und Gemüse gereicht. Dazu wird meist Bier getrunken. Die Szenerie in der Church Street erinnert an ein Straßenfest. „Wo ist meine Biertisch-Garnitur“, jammert der lästige Begleiter, „es hat nur Gartenstühle aus Plastik!“ Satay ist aber beileibe nicht die Mahlzeit der armen Leute, in Singapur treffen sich Finanzhaie ebenso bei Satay wie Hafenarbeiter und Touristen. Bedenken wegen mangelnder Hygiene müssen Europäer kaum beschäftigen - der Staat überwacht streng. Doch die Stadt hat mehr zu bieten als Kalorien, mal scharf oder delikat verpackt. In Singapur leben Malayen, Chinesen, Inder und Europäer, jede Kultur hat ihren Platz gefunden. Wer sich eine Fahrkarte für U-Bahn oder Bus kauft, pilgert ins Arabische Viertel und bestaunt die Moschee; er drückt sich in China-Town durch die Gassen, wo links und rechts Lebensmittel und Souvenirs lauern; er lässt sich nach Little India chauffieren, wo zwischen Gold, Mobiltelefonen und Gewürzen das Leben pulsiert.

Beim Formel-1-Wochenende im September ist die gesamte Stadt im Party-Ausnahmezustand. Zum Entspannen lädt (nicht nur in diesen Tagen) Garden by the Bay ein, eine Mischung aus Blühendem Barock aus Ludwigsburg und dem botanischen Teil der Stuttgarter Wilhelma, das auf über 20 Hektar für 1,5 Milliarden Dollar erbaut wurde - um die tropische Hitze von stets um die 30 Grad abzuhalten, wurden zwei Hallen mit Glaskuppeln über die Pflanzenwelt gestülpt, was nicht nur Architekten ein „Wow“ entlockt. Neben der Übersichtskarte gibt’s noch eine von Michelle Lim, PR & Communications. „Können Sie hier auch arktisches Klima erzeugen?“, fragt Herr Lustig. Wer sich an gewagter Architektur ergötzen mag, besucht das Marina Bay Sands. Ein dreitürmiger Hotelkomplex, auf dem die stilisierten Nachbildung eines Schiffes thront und der in über 200 Meter Höhe ein Schwimmbad unterm Himmel bietet. Für Hotelgäste ist die Fahrt mit dem Aufzug im Preis mit drin, alle anderen können sich ein Ticket für 20 Dollar (15 Euro) kaufen und das Höhenfreibad bestaunen. Auf Normalnull des Marina Bay Sands wird durch eine riesige Mall gebummelt, durch die ein künstliches Flüsschen führt, auf dem Boote fahren. Es locken edle Geschäfte, das Spielkasino und sogar eine Eislaufbahn zum Kringeldrehen.

„Und ich habe meine Handschuhe vergessen“, stöhnt der Gruppen-Unterhalter theatralisch - und Elzena Imbrahin, die Kommunikationschefin, drückt allen ihre Karte in die Hand. Das Marina Bay Sands ist übrigens die beste Erklärung, warum eine Straßenkarte in Singapur nicht so wichtig ist wie in London, Paris oder New York. Wo der Komplex steht, war vor vier Jahren noch Ödnis und vor zehn Jahren Wasser. Singapur wächst, indem Land aufgeschüttet wird - deshalb sind Speise- und Visitenkärtchen mitunter länger aktuell als der Stadtplan. Dieser Abschlusswitz könnte fast vom Oberspaßmacher stammen.

Infos zu Singapur

Anreise
Singapore Airlines, www.singaporeair.com , fliegt dreimal täglich von Frankfurt aus, der Nonstop-Flug dauert zwölf Stunden. Ein Economy-Ticket kostet 800 Euro; für Business-Class sind 3500 Euro fällig, für First Class legt man 7000 Euro hin. Lufthansa, www.lufthansa.com , bietet täglich einen Nonstop-Flug von Frankfurt aus, Tickets gibt es ab 1800 Euro.

Unterkunft
Komfortabel untergebracht ist man im Swissôtel The Stamford, www.swissotel.com/hotels/singapore-stamford , eine Nacht im DZ ist von 170 Euro an zu haben.

Wer im Marina Bay Sands Hotel, www.marinabaysands.com , logiert, muss fürs DZ mindestens 260 Euro hinlegen. Ein mondänes Hotel aus der Gründerzeit, das Fullerton, www.fullertonhotel.com , in der Altstadt, verlangt pro Nacht ab 190 Euro fürs DZ.

Allgemeine Informationen
Infos über die Stadt bietet das Fremdenverkehrsbüro, www.yoursingapore.com (nur in englischer Sprache). Für einen Euro erhält man etwa 1,50 Singapur-Dollar. Grundsätzlich ist es besser, vor Ort zu tauschen. Die Preise sind von gehobenem deutschem Niveau. Die Angebote unterscheiden sich nicht von einer europäischen Großstadt - vom Juwelier und der Edelboutique bis hin zum Straßenmarkt. Die Palette der Speisen ist breit: von gehobener internationaler Küche bis hin zum Straßenimbiss, von chinesisch, malaysisch und indisch bis zu branagan (landestypisch). Hygiene und Sauberkeit sind gewährleistet - auch Esshallen werden regelmäßig und streng überprüft.

Sehenswürdigkeiten
Um die Vielfalt der Kulturen zu entdecken, lohnt ein Trip nach China-Town, nach Little India, ins arabische Viertel und in die Altstadt. 75 Prozent der Singapurer sind Chinesen, 14 Prozent Malayen und sieben Prozent Inder. Da Singapur der drittgrößte Finanzhandelsplatz der Erde ist, leben auch viele Europäer und Nordamerikaner in der Stadt. Mit Englisch kommt man gut durch.

Was Sie tun und lassen sollten
Vor allem abends wird in vielen Etablissements Wert auf eine angemessene Garderobe gelegt. Männer sollten abends auf jeden Fall mit langen Hosen ausgehen. Und: Flip-Flops sind nicht überall gern gesehen. Wenngleich die Singapurer viel und gern essen - auf keinen Fall in den öffentlichen Verkehrsmitteln! Ebenfalls nicht üblich ist es, in Restaurants oder nach der Taxifahrt ein Trinkgeld zu geben.