Kinder, die an Ebola erkrankt und überlebt haben, erhalten von der Regierung ein Zertifikat Foto: Warth

42 Tage lang gab es keinen Ebola-Fall mehr. Damit ist die Epidemie in Sierra Leone offiziell für beendet erklärt worden. In den Krankenstationen und Hospitälern des Landes werden schon die Spätfolgen der Krankheit sichtbar.

Freetown/Makeni - Das Fieberthermometer zeigt 38,2 Grad Celsius. Der Polizeibeamte stutzt, schaut prüfend, hält noch einmal das Gerät an die verschwitzte Stirn der Fremden. Die Körpertemperatur wird per Infrarot gemessen. „Sind Sie okay?“, fragt er. Alles okay. Der Polizist lächelt. „Ist heiß heute, nicht wahr? Es ist sicher nur die Sonne!“, sagt er beruhigend und öffnet die Straßensperre, die den Weg von Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, nach Makeni blockiert. „Go on, Sie dürfen passieren.“

Vor wenigen Wochen noch wäre die Reaktion des Polizisten nicht so lax ausgefallen. Da hätte eine erhöhte Temperatur ein Notfallprogramm ausgelöst. Anfang September war eine Frau im Norden des westafrikanischen Landes positiv auf Ebola getestet worden. Prompt kehrte die Angst zurück, die Seuche könnte erneut um sich greifen. Doch es ist ruhig geblieben – 42 Tage lang. Nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lange genug, um Sierra Leone am Samstag offiziell für Ebola-frei zu erklären.

Freetown versucht sich im Alltag

Schon jetzt sind nur noch wenige Spuren der Epidemie in Freetown zu sehen. Am Straßenrand stehen noch die Schilder der Kampagne „Ebola must go“, vor Krankenhäusern, Schulen oder Ämtern wird noch auf das Händewaschen hingewiesen. Ansonsten versucht sich die Stadt im Alltag – doch das wird noch einige Zeit dauern.

In der christlich geführten Krankenstation Loreto in der Kleinstadt Makeni, etwa 190 Kilometer nordöstlich von Freetown gelegen, drängen sich knapp hundert Menschen in einen stickigen Vortragsraum. Viele tragen Shirts mit der Aufschrift „Survivors are heros, so support them“ – zu deutsch: „Überlebende sind Helden, also unterstütze sie“. Kinder halten ein Zertifikat der Regierung in den Händen, das sie als Überlebende ausweist.

Spätfolgen von Ebola waren nie Teil der Forschung

Drei Stunden sind sie hergewandert, mit dem Ziel: Den Menschen da draußen zu erklären, was es bedeutet, das Virus in seinem Körper gehabt zu haben. Jeder von ihnen hat mindestens ein Kind, ein Elternteil oder Geschwister an die Krankheit verloren. Militär schirmte das Dorf wochenlang von der Umwelt ab. „Es war schrecklich“, erzählt Mbalu Sesay. Vor einem Jahr war die 43-Jährige an Ebola erkrankt, genau wie ihr Mann. Sie überlebte, er starb. Geblieben sind Magenprobleme und eine nie dagewesene Müdigkeit. Die Ärzte können ihr nicht helfen, Spätfolgen von Ebola waren nie Teil der Forschung. Erst jetzt wurden Langzeitstudien anberaumt. Doch für Mbalu sind diese Folgeerkrankungen nicht das größte Übel. „Das Schlimmste ist, dass ich meinen Mann verloren habe und nicht weiß, wo er begraben liegt.“ Oft sitzt sie da, unfähig, sich um den Garten zu kümmern, in dem sie Reis, Mais, Pfeffer und Zwiebeln anbaut, um die Ernte auf dem Markt zu verkaufen. Sie braucht das Geld, um ihre fünf Kinder zu versorgen. „Aber ich bin so oft schlapp.“

Eine Art von Traumafolgestörung nennen Experten dieses Verhalten, das hierzulande von Kriegsrückkehrern bekannt ist. Normalerweise entsteht es in Situationen der akuten Lebensbedrohung. In der Forschung sind aber Fälle bekannt, dass auch Schwerkranke traumatisiert werden können. In Sierra Leone seien die Menschen besonders gefährdet, sagt Maggie Schauer, Leiterin des Kompetenzzentrums für Psychotraumatologie der Uni Konstanz. Die Gesellschaft habe noch nicht die Schrecken des Bürgerkriegs verarbeitet, gewalttätige Übergriffe – auch innerhalb der Familien – sind alltäglich. „Und dann diese Seuche, die jeglichen sozialen Kontakt unterbindet.“ Jeder misstraue jedem – aus Angst vor Ansteckung. „Das macht die Situation nicht nur im klinischen Sinne ’traumatisch’.“

Seit Sommer 2014 hilft Brot für die Welt bei der medizinischen Aufbauarbeit

Auf Hilfen seitens der Regierung dürfen sich die Menschen nicht verlassen. „Die gibt es kaum“, sagt Gisela Schneider, die Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm) mit Sitz in Tübingen. Eine Woche lang hat sie im Auftrag der Katastrophenhilfe der Diakonie und des Hilfswerks Brot für die Welt die christlich geführten Gesundheitsstationen, Kliniken und Krankenhäuser in Sierra Leone besucht. Diese Reisen unternimmt sie regelmäßig, seit Difäm im Sommer 2014 beschlossen hat, den Verband christlicher Krankenhäuser und Kliniken, den Christian Health Associations (CHA), in den westafrikanischen Ländern Sierra Leone und Liberia zu unterstützen – weit über den Kampf gegen Ebola hinaus. „Uns geht es viel mehr um die medizinische Aufbauarbeit“, sagt Schneider.

Gemeinsam geht es in das Dorf Modia. Dort war Schneider vor einigen Wochen, um Mitarbeiter zu schulen – etwa in der Entsorgung mit benutzten Spritzen und Verbandsmaterialien. „Das wurde vorher einfach in eine Grube hinterm Haus geschmissen“, schildert Schneider. Keinen hat’s gekümmert, dass Hunde, vor allem aber Kinder mit dem hochinfektiösen Material in Berührung hätten kommen können. Nun wird ein einfacher Ofen gebaut, in dem der Müll verbrannt wird. In der Krankenstation wartet schon die Gemeindeschwester Esther auf den Besuch. Hier behandelt sie ihre Patienten – sei es wegen Bluthochdrucks, wegen Durchfalls oder einer HIV-Infektion. Auch Impfungen darf die Krankenschwester vornehmen. Das geschieht aus der Not heraus, so Schneider. Im Land arbeiten nur 200 ausgebildete Ärzte. Insgesamt ist die Zahl des Pflegepersonals zurückgegangen. „Viele sind an Ebola gestorben.“ Esther blieb gesund. Auch, weil sie sich an die Anweisung der Regierung gehalten hatte und die Praxis während des Ebola-Hochzeit geschlossen hielt. Der Preis dafür zeigt sich nun: Es kommen kaum noch Patienten. Stattdessen gibt es Vorwürfe: Ausgerechnet in der Zeit, in der wir Dich gebraucht haben, hast Du uns allein gelassen, muss Esther sich anhören.

Nur wenige Kliniken waren auch zu Ebola-Hochzeiten geöffnet

Es gibt nur wenige Kliniken, in denen es anders läuft – wie in der Loreto-Klinik in Makeni. Auf den Holzbänken drängen sich schon am frühen Morgen Mütter mit ihren Kindern. In den Praxisräumen eilt ein Pfleger von Kind zu Kind, zieht Spritzen mit Impfstoffen auf – Masern Gelbfieber, das volle Programm. Ein Piks in die kleinen Ärmchen der Babys. Der Raum füllt sich mit gellendem Kindergeschrei. Über all dem geschäftigen Treiben wacht Schwester Philomena vom Orden des Heiligen Josephs von Cluny, die diese Klinik leitet. „Die Behandlungssperre war ein Fehler“, sagt die gebürtige Inderin. Sie hatte sich während der Ebola-Zeit der Anweisung des Gesundheitsministeriums widersetzt: Die Klinik blieb offen. „Natürlich hatte ich Angst.“ Allerdings nicht um sich, sondern um ihre Mitarbeiter, die allesamt Familie hätten. Sie könne ihr Leben opfern. „No problem.“

Inzwischen macht ihr anderes Sorgen: Dass das Land aus dem Blick der Weltöffentlichkeit gerät und die Karawane der Helfer weiterzieht. Wenn marode Zustände chronisch würden und sich keine Perspektive abzeichne, ermüde auch die Hilfsbereitschaft, sagt Gisela Schneider. Dabei funktioniert Entwicklungshilfe nur, wenn sie auf mehrere Jahre angelegt ist und die Leute vor Ort einbezieht. Dazu müssen die kirchlichen Krankenhäuser beitragen, auch vom Staat braucht es mehr Kooperation. Diese Worte wiederholt Schneider auch bei einem Treffen mit fünf Parlamentariern der Europäischen Union, die für Gespräche mit dem Präsidenten und dem Gesundheitsminister angereist sind – und nun mit dem Bus und viel Blaulicht um die Ecke des Loreto-Hospitals biegen. Auch sie wollen mit den Betroffenen vor Ort sprechen, wollen wissen, wo es denn am meisten hakt, wie es der SPD-Europaabgeordnete Norbert Neuser erklärt.

EU-Parlamentarier hören sich die Sorgen der Überlebenden an

Es wird ein berührendes Treffen. Ebola-Überlebende und Schwestern erzählen ihr Schicksal, die Politiker hören betroffen zu. „Es ist sehr deutlich geworden, dass die Folgen der Ebola-Krise nicht so schnell überwunden werden können“, so Neuser. Er will nun „endlich die strukturellen Probleme dieses Landes im Bereich des Gesundheits- und Bildungssystems angehen“.

Was dies genau für Menschen wie Mbalu Sesay aus dem Dorf der Ebola-Überlebenden bedeutet, bleibt abzuwarten. Der Abschied verläuft ohne Händeschütteln – das hat man gelernt in der Zeit von Ebola. Auf die Frage, was sie sich für die Zukunft wünsche, sagt sie nur: „Vergesst uns nicht – weil Ebola vorbei zu sein scheint.“