Szene aus der vielbeachteten Arbeit „Testament“ von der Gruppe She She Pop Foto: Doro Tuch

Mit dem Kooperationsprojekt „Lehrstücke“ wollen das Staatsschauspiel Stuttgart und das Performancekollektiv She She Pop beieinander in die Lehre gehen. Im Gespräch erklärt Ilia Papatheodorou von She She Pop, warum Zuschauer Teil des Plans sind.

Wenn Ilia Papatheodorou vom Schauspiel Stuttgart spricht, redet sie häufig von „diesem Apparat“. In der Kantine dieses besagten Apparats sitzend, wächst während ihrer Schilderungen das Schauspiel Stuttgart vor dem inneren Auge zu einem gigantischen System heran. Bühnenräume, Werkstätten, Verwaltung und Leitungsetage: Alles streng hierarchisch organisiert, damit dieses Riesengefüge überhaupt funktionieren kann.

Auf diesen Koloss prallt im Projekt „Lehrstücke“ das siebenköpfige Performancekollektiv She She Pop mit einer fast konträren Arbeitsweise. Ein Projekt, das festangestellte und in der freien Szene arbeitende Theaterleute zusammenbringt und das von der Kulturstiftung des Bunds unterstützt wird.

Ende der 90er Jahre fanden Absolventinnen des Gießener Instituts der Angewandten Theaterwissenschaften zu She She Pop zusammen, heute besteht die Gruppe aus Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf. Sie verstehen sich nicht als Teil eines Apparats, sie sehen sich eher als ein Unternehmen aus Konzeptkünstlern. „Dass wir uns als Kollektiv bezeichnen, ist durchaus programmatisch gemeint“, sagt Papatheodorou. „Wir versuchen, dass es möglichst unhierarchisch, aber trotzdem organisiert zugeht.“

Festgeschriebene Rollen gibt es in der Arbeitsweise von She She Pop nicht, alle Performer verstehen sich als Autor, Dramaturg, Regisseur und Darsteller ihrer eigenen Bühnenhandlung. Ausgangsbasis ist meistens eine gemeinsam entwickelte Idee, und die beruht eher nicht auf einer literarischen Vorlage, die irgendwie umgesetzt, inszeniert wird. „Häufig ist es so, dass jeder von uns dann eine Art ‚Selbstporträt‘ von sich auf der Bühne erstellt: Das bin ich in dieser Situation.“ Daraus entstehen keine biografischen Abhandlungen, sondern vielmehr eine performative Reflexion über die Beziehung des Individuums zur Gemeinschaft.Wie hat sich aber dann gerade Shakespeares Drama „König Lear“ als literarischer Ausgangspunkt für „Testament“ eingeschlichen? „Als wir alle um die vierzig waren, sagten ältere Kuratoren plötzlich: Ihr seid jetzt nicht mehr jung und wild, wann macht ihr mal was Seriöses? Wir haben uns gefragt, was meinen die? Ist man in der deutschen Theaterlandschaft erst seriös, wenn man sich mit diesem Stücke-Kanon beschäftigt? Wird man automatisch zum Establishment, wenn man älter wird? Als Reaktion haben wir das patriarchalische Thema von König Lear gewählt, weil wir uns spontan mit der Rolle der bösen Töchter identifiziert haben.“

Dort ging es um das Ausloten der Position der Performerinnen zu einer autoritären Theaterlandschaft. Eine Untersuchung, die auch im Theaterbetrieb bemerkt wurde: die Arbeit wurde 2011 zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

In „Lehrstücke“ nun untersucht She She Pop die Beziehung aller Beteiligten zum „Apparat“ Schauspiel Stuttgart. „Wir sehen uns hier als Initiatoren eines künstlerischen Workshops, wo erörtert wird, wie man in einer Gemeinschaft kreativ sein kann.“

Inspirieren lassen sich die Beteiligten von Motiven Bertolt Brechts Lehrstücktheorie – Fragen nach neuen Theaterformen, des gemeinsamen Produzierens und Mitmachens. So werden jetzt beispielsweise Interviews mit Ensemble, Intendanz und Technikern geführt. Vom Schuhmacher über den Theaterabonnenten sind alle Teil diese Experiments, weil jeder mit der Perspektive auf seine Rolle einen Teil zum Gesamtgefüge beiträgt.

Diese Rolle ist bei Brecht oft ziemlich dramatisch, weil der Einzelne in die Zwangslage gebracht wird, dass ihn nur das Wohl der Gemeinschaft stärken kann. „Uns interessiert das, weil unsere Generation mit einem starken Individualismus aufgewachsen ist und kaum ein Gegenkonzept kennt.“

Da kommen auch die Zuschauer mit ins Spiel, weil auch sie Teil der Apparatgemeinschaft sind. Dieses Publikum sitzt bei She She Pop nie im Dunkeln. Sondern es wird zum Mitakteur einer Gemeinschaftsbildung. Letztendlich steht der Theaterapparat nur stellvertretend für jedes lebendige System – sei es eine Firma oder auch Gesellschaft.

Das Ergebnis dieses Workshops wird prozesshaft mehrere Stadien durchlaufen und im Februar als Zwischenergebnis präsentiert. So lange muss aber niemand warten, denn schon vom 15. November an sind She She Pop mit „Frühlingsopfer“ und mit „Testament“ zu sehen.

Infos und Termine

Die Performance-Gruppe She She Pop und das Schauspiel Stuttgart machen in dieser Saison gemeinsame Sache, um voneinander zu lernen und neue Theaterformen zu erproben. Der Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Deutschen Bundes fördert das gegenseitige Nachsitzen.

Seit Januar 2014 sind immer wieder Arbeiten der Gruppe im Schauspiel zu sehen. Im Mai 2015 wird die Arbeit „Lehrstücke“ uraufgeführt.

She She Pop zeigen an diesem Sonntag als Gastspielarbeit das Werk „Frühlingsopfer“ im Kammertheater, weitere Termine: 17. und 18. 11., jeweils um 20 Uhr. „Testament“ ist am 19. 11. (19.30 Uhr) im Schauspielhaus zu sehen.

Romane auf die Bühne zu bringen, auch das ist eine Form der Suche nach neuen Formen des Theaters – inzwischen zu finden auf jedem Stadttheaterspielplan. Die Dramatisierung von Wilhelm Raabes Roman „Pfisters Mühle“ feiert an diesem Samstag um 19.30 Uhr im Schauspielhaus Premiere. Textfassung und Regie: Armin Petras.

Karten: 07 11 / 20 20 90.