Die Mehrheit der berufstätigen Frauen wurde schon am Arbeitsplatz sexuell belästigt – doch wo fängt Belästigung an? Foto: sex_@snaptitude – Fotolia

Die Mehrheit der berufstätigen Frauen wurde schon am Arbeitsplatz sexuell belästigt. Doch über das Thema wird kaum gesprochen – aus Scham oder Angst um den Arbeitsplatz. Wo fängt Belästigung an? Was können Betroffene tun? Experten geben Tipps.

Stuttgart - Wann spricht man von einer sexuellen Belästigung ?
Ein plumper Spruch, eine wie zufällig ausgeführte Berührung oder ein intensiver Blick – schon das überschreitet oft die Grenze. „Nach dem Gesetz ist sexuelle Belästigung definiert als unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten“, sagt Sandra Flämig, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Stuttgart. „Und was unerwünscht ist, entscheidet der Belästigte selbst.“ Zwar sind es hauptsächlich Frauen, die unter unerwünschten Annäherungen zu leiden haben. Doch auch Männer fühlen sich häufig sexuell bedrängt – etwa weil ihnen pornografische Bilder per E-Mail zugeschickt werden oder sie zweideutige Bemerkungen über sich ergehen lassen müssen. Das hat eine aktuelle Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergeben. Darin, welche Handlungen oder Äußerungen als anzüglich empfunden werden, gibt es nach Expertenmeinung keine Unterschiede: „Wenn eine Frau eine Situation als Übergriff empfindet, wird dies in der Regel ein Mann genauso tun“, sagt die Psychologin und Sexismus-Expertin Charlotte Diehl von der Universität Bielefeld.
Wie kommt es zu sexuellen Belästigungen?
„Jemand, der seine Kollegen oder Kolleginnen sexuell belästigt, sieht sein Gegenüber als Objekt – nicht als Subjekt“, sagt Arbeitsrechtlerin Flämig. „Manche haben einfach nicht das Feingefühl zu erkennen, wo die eigene Freiheit endet.“ Es gibt auch Fälle, in denen Männer über das Ziel hinausschießen, wenn sie sich sexuell von einer Frau angezogen fühlen, sagt die Psychologin Charlotte Diehl. „Sie wollen dann die Frau erobern – und eigentlich gar nicht verletzen.“ Im häufigsten Fall jedoch dient die sexuelle Belästigung als Mittel, die eigene Macht zu erhalten. „Sie wollen die Betroffenen demütigen, sie verletzen und vor anderen bloßstellen“, sagt die Psychologin. Gerade in stark männerdominierten Arbeitsfeldern schwinge in der Regel auch die Botschaft mit: „Ich kann es mir erlauben, dich so zu behandeln, und du kannst nichts dagegen tun.“
Stimmt das Klischee, dass sexuelle Belästigung meist von Vorgesetzten ausgeht?
Das stimmt nur zum Teil, sagen die Experten. „ Sexuelle Belästigung hat zwar meist etwas mit Macht zu tun“, sagt Fachanwältin Flämig. Das bedeutet aber nicht, dass die Anzüglichkeiten immer von Vorgesetzten oder ranghöheren Kollegen ausgehen müssen. Auf der gleichen hierarchischen Ebene kommt Sexismus sogar noch häufiger vor, sagt die Psychologin Charlotte Diehl. „Das hängt vielleicht damit zusammen, dass es dort mehr Konkurrenz um Aufstiegschancen gibt.“