Testmessung in Degerloch: Werner Schüle (li.) vom Stadtseniorenrat Foto: Peter Petsch

Ältere Menschen wie Herta Weigert (72) klagen: Die Sitzbänke an den SSB-Haltestellen sind zu niedrig. „Wer einmal sitzt, kommt anschließend ohne fremde Hilfe nicht mehr hoch.“ Die Stuttgarter Straßenbahnen AG räumt Defizite ein, fühlt sich aber in der Regel machtlos.

Ältere Menschen wie Herta Weigert (72) klagen: Die Sitzbänke an den SSB-Haltestellen sind zu niedrig. „Wer einmal sitzt, kommt anschließend ohne fremde Hilfe nicht mehr hoch.“ Die Stuttgarter Straßenbahnen AG räumt Defizite ein, fühlt sich aber in der Regel machtlos.

Stuttgart - Ein paar Zentimeter mehr – und die Welt von Frau Weigert wäre in Ordnung. So aber wird der Weg vom Asemwald nach Hoffeld für die Rentnerin zu einer Kraftprobe. „Wenn mir nach der Krankengymnastik der Bus rausgeht, muss ich eine halbe Stunde stehen“, sagt sie.

Wo ist das Problem?, werden sich manche fragen. Menschen im Ruhestand haben schließlich Zeit. Da widerspricht die Stuttgarterin nicht. Sie hat ein ganz anderes Problem. Es ist die Sitzhöhe der Bank an der Bushaltestelle Asemwald. Die Bank mag kindgerecht sein, aber für ältere Menschen ist sie völlig untauglich.

„Fast alle Sitzbänke an den Haltestellen der SSB sind zu weit unten“, sagt Herta Weigert. Senioren kommen nur schwer runter, aber noch schwerer wieder hoch. Also bleibt Herta Weigert lieber stehen. Selbst wenn es ihr die letzten Kräfte raubt. Auch der Rollator, den sie seit einer Knieoperation braucht, sei keine Sitzalternative für sie. „Da fühle ich mich nicht sicher und bin vermutlich auch zu schwer“, sagt sie und bedauert, dass bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) keiner ihr Problem ernst nimmt. „Bei einem Seniorennachmittag hat ein SSB-Mitarbeiter sich die Sache zwar freundlich angehört“, sagt sie, „aber passiert ist nichts.“

Dabei sei die Haltestelle Asemwald kein Einzelfall. Spontan fallen ihr der Busbahnhof Degerloch oder die gleichnamige Stadtbahnhaltestelle ein. „Gehen Sie doch mal hin, und messen Sie nach“, bittet Herta Weigert inständig.

Der Zollstock bestätigt ihr Gefühl. Die Sitzhöhe an der Haltestelle Asemwald Richtung Degerloch misst 36 Zentimeter. Allgemeingültige Standardmaße sind 46 bis 48 Zentimeter Höhe. Die fehlenden zehn bis zwölf Zentimeter wirken sich für ältere Menschen wie Herta Weigert gravierend aus.

Auch die Messung der vier Bänke an der Bushaltestelle Degerloch gemeinsam mit Werner Schüle vom Stadtseniorenrat (35 bis 39 cm) bestätigt den Verdacht der Hoffelderin: Es gibt noch mehr (zu) tiefe Sitzmöglichkeiten in Stuttgart. Sogar in der unterirdischen Stadtbahnhaltestelle Degerloch kommen die braunen Bänke nur auf 38 Zentimeter Höhe. Ein Zustand, unter dem nicht nur Herta Weigert leidet.

„Sind Sie von der SSB?“, fragt Ilse Kurz (90) bei der Messaktion der Stuttgarter Nachrichten in Degerloch. Auf die verneinende Auskunft antwortet sie: „Schade, sonst hätten Sie jetzt meinen Ärger abbekommen.“ Auch Ilse Kunz meidet die meisten Sitzbänke der SSB im ganzen Stadtgebiet wie der Teufel das Weihwasser: „Da kommt man nicht mehr hoch, aber das interessiert bei der Straßenbahn ja keinen. Dabei gibt es doch immer mehr ältere Menschen, die das Problem haben.“

Werner Schüle hingegen findet das hochinteressant. Schüle vom Stadtseniorenrat sieht sich als Anwalt der älteren Menschen in Stuttgart. „Das sind teilweise sieben Zentimeter unter der Norm“, kritisiert Schüle das Mobiliar an den SSB-Haltestellen, „zudem fehlen fast überall Seitenlehnen, an denen man sich beim Aufstehen stützen kann. Das ist vielen älteren Menschen nicht zumutbar.“ Im Sinne dieser Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt seien, müsste die Sitzhöhe eigentlich über der Norm liegen, fordert Schüle. Was Norm bedeutet, erklärt auch ein Sprecher der Deutschen Bahn AG: „Bei uns ist die Sitzhöhe einheitlich zwischen 44 und 46 Zentimeter – und zwar bundesweit.“

Bei den SSB hatte man dieses Thema bisher noch gar nicht auf der Rechnung. „In den regelmäßigen Gesprächen mit den unterschiedliche Verbänden war die Sitzplatzhöhe bislang noch kein Thema, auch bei den regelmäßigen Mobilitätsseminaren spielte die Höhe der Sitzbänke noch keine Rolle. Wir werden da in Zukunft sicherlich größeres Augenmerk darauf legen“, bestätigt eine SSB-Sprecherin.

Bei der SSB gelte eine allgemeine Empfehlung zur Höhe von Sitzgelegenheiten aus dem Jahr 1997. Danach sollen Sitzgelegenheiten möglichst unterschiedlich hoch sein. So, dass alle einen guten Platz finden: von Groß bis Klein. Für bewegungsbehinderte Personen sollten die SSB-Sitze etwa zwischen 48 und 50 Zentimeter liegen, für Kleinwüchsige und Kinder bei 38 Zentimeter.

So kommt es, dass die SSB-Haltestellen unterschiedliche Sitzhöhen haben. „Aber es gibt noch weitere Gründe“, sagt die SSB-Sprecherin. Dazu zählten auch die topografische Gegebenheiten (Haltestellen-Gefälle). „Teilweise wurden Haltestellen zu Zeiten gebaut – in der Regel vor Ende der 90er Jahre –, wo der Sitzplatzhöhe keine Bedeutung zukam und es auch keine Empfehlungen zur Sitzhöhe gab“, erklärt die Sprecherin. Aber es gebe auch Haltestellen, an denen durch Belagarbeiten der Stadt an Gehwegen die Sitzhöhen an Bushaltestellen verringert wurden.

An wie vielen Haltestellen die Sitzhöhe von der Norm abweicht, kann die SSB nicht beziffern. Damit sei auch unklar, wie hoch die Kosten für eine Nachrüstung wären. „Eine Summe ist schwer zu präzisieren“, sagt sie, verspricht aber: „Wenn an Haltestellen Erneuerungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen laufen, wird die Sitzhöhe überprüft und falls möglich korrigiert.“

Ein paar Zentimeter würden in vielen Fällen genügen. Zumindest Herta Weigert aus Hoffeld wäre damit zufrieden: „Dann wäre meine Welt wieder in Ordnung.“

Auch Werner Schüle vom Stadtseniorenrat würde das begrüßen. Aber der Mann denkt weiter – er denkt perspektivisch: „Die älteren Menschen brauchen eine stärkere Lobby in der Stadt. Ich will gar nicht so weit gehen und einen Seniorenbeauftragten fordern“, sagt er, „aber wir sollten in Entscheidungen, die ältere Menschen betreffen, eingebunden sein.“