Nächste Aufgabe für Siegfried Frey: die Entdeckung der Langsamkeit Foto: Judith A. Sägesser

Fast wäre Siegfried Frey Jurist geworden, dann hat er auf Lehramt umgeschwenkt. Vielleicht sei das übereilt gewesen, sagt er, aber verbessert sich gleich wieder. Schließlich blickt der Plieninger Schulleiter auf fast 40 glückliche Berufsjahre zurück.

Plieningen - Plieningen war eine Umstellung. An seinem damals neuen Arbeitsplatz lief vieles anders als in den Jahren zuvor. Daran erinnert sich Siegfried Frey noch so, als ob es gestern gewesen wäre. Doch es ist siebeneinhalb Jahre her. Siebeneinhalb Jahre, in denen er als Schulleiter die Geschicke des Paracelsus-Gymnasiums (PGH) gelenkt hat. Die Erzählvergangenheit ist kein Versehen. Der 65-Jährige geht in den Ruhestand, am morgigen Donnerstag ist sein offizieller Abschied.

Er kam aus einer völlig anderen Welt

Abschiede sind meist Anlass, über Anfänge nachzudenken. Und Freys Anfang am PGH war ein krasser, er kam aus einer völlig anderen Welt. Sechs Jahre hat er eine deutsche Privatschule in Namibia geleitet. Das hat ihn geprägt. Er sagt, er sei ein anderer geworden. Kein Wunder, dass die Afrika-Jahre in seiner persönlichen Berufsrevue den meisten Platz einnehmen. Der Job dort hatte nichts mit der Beschreibung einer Schulleiterstelle hierzulande zu tun. In Namibia war Freys Aufgabe keine geringere, als Schwarze und Weiße miteinander zu versöhnen. Das klingt nach dem, was es war: „Ein Minenfeld“, wie Frey es ausdrückt.

Als er den Entschluss fasste, nach Afrika zu gehen, war er Anfang 50. „Das war die letzte Chance.“ Einiges dürfte er sich anders vorgestellt haben. Frey berichtet von Tagen, an denen er seine Siebensachen am liebsten gepackt hätte und in den Flieger gestiegen wäre. „Die ganzen sechs Jahre waren eine riesige pädagogische Baustelle.“ Als er nach Namibia kam, waren die schwarzen Schüler recht frisch auf der Schule, die bisher nur Weiße besucht haben. „Der Ansatz war, dass man gemeinsam einen neuen Anfang macht“, erzählt er. Erst mit der Zeit ist ihm klar geworden, dass der Hass zwischen Weißen und Schwarzen das eine war. Das andere: die Animositäten unter den dunkelhäutigen Stämmen. Für Frey fühlte es sich nicht an, als würde er zwischen zwei Stühlen sitzen, sondern inmitten eines Stuhlkreises.

Zwei Drittel der rund 1100 Schüler waren Weiße, der Rest Schwarze. Frey erinnert sich noch gut, wie die Schüler in der Pause nach Hautfarbe sortiert auf dem Schulhof standen. „Das ist die totale Trennung gewesen.“ Nach den sechs Jahren war der Rassismus nicht vom Tisch. „Sie ändern Menschen ja nicht von heute auf morgen, nur weil sich das System ändert“, sagt er. Immerhin haben dann Schwarze und Weiße in der Pause zusammen gekickt.

Erstaunt ob der Ähnlichkeit der Themen

Zurück in Deutschland habe er die Dinge unaufgeregter gesehen. „Wohlstandsprobleme“, nennt er vieles von dem, was ihm an seinem damals noch neuen Plieninger Schulleitertisch entgegengeschlagen ist. Wobei er erstaunt war ob der Ähnlichkeit der Themen. Im PGH war das Dach undicht, und die Mensa für die Schüler hat diesen Namen nicht verdient. „Ich hatte hier die total perfekte Schule erwartet“, sagt er.

Frey wusste: Plieningen ist mutmaßlich seine letzte Stelle vor dem Ruhestand. Trotzdem oder gerade deshalb scheute er sich nicht vor deutlichen Worten. Er klagte zum Beispiel offen, weil das PGH mit vergleichsweise geringen Anmeldezahlen zu kämpfen hatte, oder er zeigt sein unverblühmtes Erschrecken über die Folgen der weggefallenen verbindlichen Grundschulempfehlung.

Vor Namibia war er vier Jahre Schulleiter am Wilhelms-Gymnasium Degerloch. Die Schule kannte er bereits, dort war seine erste Stelle als Junglehrer. Dabei war gar nicht von Anfang an klar, dass er überhaupt in die Pädagogik gehen würde. Im Studentenalter sah alles danach aus, dass er Jurist werden würde. „Meine Eltern dachten, das sei eine gute Lösung“, erzählt er. Er dachte das auch – bis zu jenem Tag in Heidelberg.

Er kann sich gut daran erinnern, wie er sich über einen Erbrechtsfall beugte. Vom Fenster seiner Studentenbude hatte er einen guten Blick auf eine Schule. Das Gewimmel, das er dort beobachtete, war viel mehr seins als Paragrafen. Aktenstapel versus echtes Leben – Letzteres gewann. Frey brach ab, kurz vor seiner Abschlussprüfung, und begann, Geschichte und Romanistik zu studieren. „Vielleicht war das eine unvernünftige Geschichte“, sagt er. Dann lacht er. Nein, das war es nicht. Und das weiß niemand so genau wie einer, der am Ende seines Berufslebens steht.

Unterwegs als Easy Rider

Wenn für Frey Ende Juli die längsten Ferien seines Lebens beginnen, ist er nicht traurig. „Es wird immer realistischer.“ In den vergangenen Tagen habe er dauernd Dinge zum letzten Mal gemacht. Loszulassen falle ihm aber nicht schwer. „Ich konnte hier einiges zu einem guten Ende bringen.“ Er meint damit zum Beispiel die offene Ganztagsschule, dass Spanisch am PGH als dritte Fremdsprache eingeführt wird, dass es das Sozialpraktikum gibt und die internationale Abiturprüfung, die recht selten sei in Baden-Württemberg. Das sind die Punkte, die der scheidende Schulleiter auflistet, wenn er nach seinen persönlichen beruflichen Erfolgen gefragt wird.

Diese Erfolge werden im Herbst erst einmal keine Rolle mehr spielen. Wenn Frey nämlich à la Easy Rider auf dem Highway Number One an der US-Küstenstraße von Kanada nach Mexiko und zurück unterwegs ist. In seinem Traum, den er schon sehr lange träumt, schwingt er sich auf ein Motorrad. „Aber meine Frau ist dagegen“, sagt er. „Auf die Beiwagen-Geschichte hat sie sich nicht eingelassen.“ Sie fahren mit dem Auto. Und was kommt nach dem Roadtrip? „Die Entdeckung der Langsamkeit.“