Ein Lastkahn liegt in der Neckarschleuse in Oberesslingen. Die insgesamt 27 Schleusen sollen von derzeit 110 Meter auf 140 Meter verlängert werden. Foto: dpa

Verkehrsminister Hermann stemmt sich gegen längst beschlossenen Ausbau der Neckarschleusen.

Stuttgart - Eigentlich war der Ausbau der Neckarschleusen längst beschlossene Sache. Jetzt steht die Verlängerung der Hebewerke für 135-Meter-Frachter wieder auf der Kippe. Dass ausgerechnet Verkehrsminister Winfried Hermann am Ausbau zweifelt, stößt bei Fachleuten und Regionalpolitik auf heftigen Widerspruch.

Die Neckarhäfen in Stuttgart und Plochingen wird in den nächsten Tagen kein einziger Lastkahn erreichen. Schuld ist nicht etwa ein gebrochenes Schleusentor. Auch von mit Schlamm und Geröll verstopften Hebewerken wie nach dem DezemberHochwasser kann keine Rede sein. Grund für den Stau auf der Wasserstraße ist die mal wieder dringend nötige Instandsetzung von gleich vier Schleusen. Bis Donnerstag nächster Woche sind in Hessigheim, Pleidelsheim, Esslingen und Deizisau alle drei Schwimmkräne des Wasser- und Schifffahrtsamts im Einsatz. Frachterkapitänen ist eine neun Tage lange Zwangspause verordnet - die leidgeprüften Neckarschiffer sind schon froh, dass nicht kleckerlesweise, sondern auf einen Rutsch saniert wird.

Am grundsätzlichen Überholungsbedarf der 27 Neckarschleusen bis Mannheim allerdings ändert der aktuelle Reparatureinsatz wenig. Die Technik der Hebewerke ist fünf Jahrzehnte alt, immer öfter kommt es zu Pannen, die Sperrzeiten der Wasserstraße häufen sich. "Jede einzelne Schleuse ist ein Nadelöhr. Fällt nur ein einziges Bauwerk aus, kommt kein Frachter mehr den Neckar rauf oder runter", weiß Barbara Grüter vom Schifffahrtsamt. Eberhard Weiß, Direktor des Plochinger Hafens, wird deutlicher: "Der Bund hat die Infrastruktur auf dem Neckar verkommen lassen, jahrzehntelang wurde in die Schleusen so gut wie nichts investiert", sagt er. Seit dem Bau des Stuttgarter Hafens 1958 und der Fertigstellung der Staustufe Deizisau 1968 habe sich auf dem Fluss der Schwaben nicht viel getan.

CDU spricht von "Verkehrsverhinderungsminister"

In der Region sind deshalb auch wegen des Sanierungsbedarfs große Hoffnung auf ein wegweisendes Projekt gesetzt worden. Parallel zur Modernisierung der Schleusen sollten bis zum Jahr 2025 auch die bisher 110 Meter kurzen Kammern der Hebewerke auf 140 Meter Länge erweitert werden. Fachleute versprechen sich durch den Einsatz längerer Schiffe sinkende Transportkosten.

Der Hintergrund: Während auf Rhein und Mosel längst Lastkähne mit dem Gardemaß von 135 Meter üblich sind, ist auf dem Neckar wegen der kurzen Schleusen schon bei 105 Metern Schluss. Für die Wirtschaft in der Region ist die Längenbegrenzung auf der 203 Kilometer langen Strecke deshalb längst ein Standortnachteil: Ein 135-Meter-Kahn kann bis zu 40 Prozent mehr Ladung aufnehmen als die kurzen Neckar-Frachter, verbraucht aber nur etwa zehn Prozent mehr Diesel. Carsten Strähle, Chef des Stuttgarter Hafens, rechnet damit, dass sich die Zahl der Containerfrachten nach Ausbau der Neckarschleusen auf jährlich 90.000 verdreifachen wird. "Eine Verzögerung wäre mehr als nur eine verpasste Chance", sagt er. Doch auch bei Massengütern wie Kies und Kohle geht das nötige Umladen der Fracht ins Geld. Der auf den Umschlag von Schüttgut spezialisierte Plochinger Hafen erwartet, dass allein der Energieversorger EnBW durch den Atomausstieg künftig gut 500.000 Tonnen Kohle zum Kraftwerk Altbach schleusen lässt - aktuell wird nur ein Zehntel dieser Brennstoffmenge verschifft.

Undenkbar ist für Wirtschaft wie für die Regionalpolitik, dass die zusätzlichen Transporte statt auf dem Wasserweg künftig auf der Straße abgewickelt werden könnten - der Ballungsraum Stuttgart würde vollends im Verkehrschaos versinken. Um so größer ist der Ärger, dass ausgerechnet der neue Stuttgarter Verkehrsminister Winfried Hermann den Ausbau der Neckarschleusen in der Region für zweitrangig hält. Priorität, erklärte der Grünen-Politiker jüngst, habe für ihn die Verlängerung der elf Hebewerke von Mannheim bis Heilbronn. Die weiteren 16 Schleusen bis Plochingen könnten auch in einem zweiten Schritt folgen: "Das Aufkommen auf dem Neckar ist derzeit nicht so hoch, dass sich ein Ausbau lohnt", wird im Verkehrsministerium bei Fragen nach dem Grund auf die Wirtschaftlichkeit verwiesen. Die CDU spricht deshalb schon von einem "Verkehrsverhinderungsminister" - und fragt, "wie lange der Ministerpräsident dem Trauerspiel noch schweigend zusehen will?"