Tübingens OB Boris Palmer ist erfreut, dass der Bürgerwille in die Planung der Umgehungsstraße einfließt Foto: dpa

In einem bisher einmaligen Verfahren hat das Verkehrsministerium die Bürger eingeladen, zwei Anschlüsse an die geplante Ortsumgehung Tübingen im Schindhaubasistunnel zu optimieren. Und tatsächlich: Die neuen Laien-Varianten sind besser als die der Fachleute und sollen nun auch gebaut werden.

Tübingen - Der Wunsch an sich, Tübingen vom hohen Verkehrsaufkommen der Bundesstraßen 27 und 28 zu entlasten, ist nicht neu. Erste Überlegungen gab es schon 1962, konkret wurde das Thema 2002 mit einem Beschluss des Tübinger Gemeinderats für den Langen Schindhaubasistunnel. Die Planungen wurden konkreter, 2011 teilte dann das Bundesverkehrsministerium mit, der Bundesrechnungshof habe seine Bedenken zurückgestellt.

Doch inzwischen wuchs vor Ort die Skepsis. Die richtete sich nicht gegen den Tunnel durch das Naherholungsgebiet Schindhau an sich, sondern gegen die beiden Anschlüsse. Die Dimension der Auffahrten erschreckten die Bürger. Die Planung sah drei Ebenen und mehrere Rampen für den Verkehr vor. Obwohl dem Schallschutz gegenüber dem angrenzenden Französischen Viertel Rechnung getragen worden war, störten sich viele Bürger an der massiven Optik des „Monsterknotens“.

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) machte sich schon kurz nach seinem Amtsantritt 2011 ein Bild von den Plänen: „Das werde ich nie genehmigen“, erklärte er mit Blick auf ein „Autobahnkreuz“ über den Neckar-Auen. Das Ministerium wählte vielmehr einen anderen Weg und lud gemeinsam mit dem Regierungspräsidium (RP) Tübingen und der Stadt Tübingen interessierte Bürger dazu ein, selbst Pläne zu entwickeln für die beiden Knoten. Der Prozess zog sich sechs Monate hin. 25 Laien diskutierten mit Fachleuten des RP verschiedene Ideen und Konzepte. In mehreren Workshops wurden die Vor- und Nachteile der bestehenden – im RP entwickelten – Planung herausgearbeitet und neue Ansätze, die im Laufe des Bürgerdialogs zur Sprache kamen, geprüft.

Die Planungsalternativen der Bürger hatten freilich nur deshalb eine Chance, weil sie von den Fachleuten in der gleichen Detailtiefe ausgearbeitet wurden wie ihre eigenen. 3200 Arbeitsstunden investierten die Fachleute des RP in den Dialog und die Ausarbeitung der Ergebnisse.

Bei der Abschlussveranstaltung des Bürgerdialogs B 27 im Tübinger Sudhaus war die Stimmung dann fast euphorisch: „Donnerwetter – die Variante der Bürger ist besser als die der Profis, sie verbraucht weniger Fläche und kostet sogar weniger“, stellte Verkehrsminister Winfried Hermann beeindruckt fest. Der Tübinger OB Boris Palmer (Grüne) war ebenfalls voll des Lobes: „Ich bin überrascht, dass das Regierungspräsidium einen Vorschlag aus der Bevölkerung für umsetzbar hält.“ Mitbestimmung ende doch sonst oft schon bei der Farbe der Lärmschutzwände. Regierungspräsident Hermann Strampfer sagte, er habe großen Respekt vor den fachkundigen Vorschlägen der Bürger.

Bei der jüngsten Diskussion Ende Januar wurde nun tatsächlich die Planung der Bürger für das weitere Vorgehen zugrunde gelegt. Sie musste lediglich in Details, etwa wenn private Grundstücke betroffen waren, abgeändert werden. Kern der neuen Planung ist, so Daniel Hahn, Sprecher des RP, dass auf mehrere Rampen verzichtet werde und dadurch wesentlich weniger Platz benötigt werde. Dies wirkt sich offenbar auch auf die Kosten aus, auch wenn exakte Berechnungen nicht vorliegen. Die würden nun im weiteren Verfahren angestellt, sagt Hahn. Sie sind Voraussetzung dafür, dass die Baulastträger – Land und Bund – dem Projekt zustimmen. Es gibt allerdings Schätzungen, wonach das Gesamtprojekt 217 Millionen Euro kosten soll. 170 Millionen davon entfallen auf den 2,3 Kilometer langen Schindhaubasistunnel, 47 Millionen auf die beiden von den Bürgern entwickelten Anschlussknoten.

So groß bisher die Euphorie bei den beteiligten Bürgern ist, etwas bewegen zu können in der Politik, so schnell könnte sie wieder verfliegen, wenn man den Zeitplan betrachtet. Bei der jüngsten Anhörung Ende Januar musste Ulrich Kunze, verantwortlicher Verkehrsplaner des RP, Wasser in den Wein gießen. Durch das Bürgerbeteiligungsverfahren stehe das Projekt praktisch wieder ganz am Anfang und werde sich bis zur Realisierung noch Jahre hinziehen. Zwar sei die Tunnelplanung fast fertig, die alten Pläne für die Knoten aber seien reif für die Tonne.

Für die Fertigstellung der neuen Pläne für die Knoten samt allen Berechnungen, für die Prüfung durch Land und Bund und für das anschließende Planfeststellungsverfahren rechnet er mit mindestens fünf Jahren – oder bei Einsprüchen auch mit deutlich mehr. Hinzu kämen die Ausführungsplanung und die Bauzeit von rund acht Jahren. Bis die Umfahrung im Tunnel schließlich genutzt werden kann, könnten noch 20 Jahre ins Land gehen.