In der Theaterpause (von links): Inga Behring aus Stuttgart, Lena Kalisch aus Wien und Jan Beller aus Zürich Foto: Lg /Max Kovalenko

Noch bis Samstag treffen sich in Stuttgart die deutschsprachigen Schauspielschulen zu Informationsaustausch und Leistungsschau. Wie hart die begehrte, tief in die Existenz eingreifende Ausbildung ist, erfährt man in Gesprächen mit den Studenten.

Stuttgart - Langsam fällt der Glitter ab. Lena Kalisch sitzt im Schneidersitz auf dem Boden des Stuttgarter Theaterhauses und schiebt gedankenverloren Kartoffelsalat auf eine Gabel. Wenn sie sich bewegt, rieseln die Überreste eines Klebetattoos wie feine Goldpartikel von ihrem Rücken. Seit drei Tagen hat die 27-jährige Schauspielschülerin kaum geschlafen. Zu viele Gedanken, zu viel Tamtam, zu wenig Atempausen. Denn am Samstag feierte sie ihren Abschluss am renommierten Max- Reinhardt-Seminar in Wien, seit je eine Schmiede für künftige Theater- und Filmstars. Das Motto der Party: Glitter is your favourite colour.

Für ihren Traumberuf kämpfte sich Lena in den vergangenen Jahren zielsicher durch Selbstzweifel, Selbstfindung und die harte Realität einer künstlerischen Eliteausbildung. Doch wofür eigentlich? Während sie sich an der Schauspielschule abrackerte, schrumpften draußen die Ensembles, und feste Engagements an staatlichen Theatern mutierten zu einer Utopie, von der selbst Idealisten heute nur noch hinter vorgehaltener Hand sprechen. Am Rande des Bundestreffens deutschsprachiger Schauspielschulen, das noch bis Samstag im Stuttgarter Theaterhaus stattfindet, zieht Lena nun Bilanz.

Monologe im Rucksack

Schauspieler zu werden, brauche Stamina, Ausdauer, meint sie. Wer mutig ist, packt zu Beginn der Ausbildung sein Kostüm und einige vorbereitete Monologe in einen Rucksack und reist mit Zug und Bus quer durch die Republik: Berlin. München. Hamburg. Leipzig. 13 staatliche Schauspielschulen gibt es in Deutschland, viele Bewerber steuern in der Hoffnung auf eine Zusage mindestens die Hälfte davon an. „Auf Tour gehen“, nennen die Schauspielschüler diese Zeit, in der sie mit nichts als sich selbst im Gepäck von Vorsprechen zu Vorsprechen tingeln. Vor einer Jury tragen sie dann im Akkord ihr einstudiertes Repertoire vor. Ein paar Minuten, ein paar schiefe Blicke, dann steht man wieder draußen – im besten Fall mit einem anerkennenden Nicken als Wegzehrung.

„Man muss sich das mal vorstellen. Man fährt von Stadt zu Stadt, braucht ständig neue Schlafplätze und zahlt überall noch Prüfungsgebühren, das geht nicht nur finanziell an die Substanz“, erinnert sich Lena. Auch das Selbstbewusstsein knicke in diesen Wochen oft ein. „Man hat schließlich keine Bewerbungsmappe. Man trägt sich da selbst hin, und es wird beurteilt, ob man für diesen Beruf taugt oder nicht – da geht es in ein paar Minuten um alles. Man kommt in einen dunklen Raum, hat Scheinwerfer im Gesicht, und auf der anderen Seite sitzt der große Niemand.“

Immer dabei: bohrende Selbstzweifel

An diesem Niemand scheiterte zunächst auch der Schauspielschüler Jan Beller. In München und Wien rümpfte man angesichts seiner Performance entschieden die Nase und kickte ihn gleich in der ersten Auswahlrunde aus dem Prozess. Doch Jan gab nicht auf: Nach seinem Magisterabschluss fuhr er nach Zürich, zahlte dort 300 Franken Prüfungsgebühr, ratterte seine Monologe herunter und sprang nach dem Vorsprechen mit seinen Mitbewerbern in den See. „Scheiß drauf“, dachte er, „selbst wenn ich nicht bestehe, habe ich es versucht.“ Jan bestand.

Heute studiert er im ersten Jahr Schauspiel an der Zürcher Hochschule der Künste. Es ist das zähe Nicht-Aufgeben, das ihn schließlich – wie so viele – durch den langwierigen darwinistischen Bewerbungsprozess getragen hat. Aber die Subjektivität des Auswahlprozesses sollte deutlicher werden, so Jan. Sonst gehe man als Bewerber vor lauter Selbstzweifel kaputt.

Dennoch habe der steinige Einstieg auch seine Berechtigung: „Ich denke, wenn man nicht das Gefühl hätte, sich diesen Studienplatz so sehr verdient zu haben, würde man ihn wieder abgeben“, meint auch Lena. Denn wer das Auswahlprozedere erst einmal überstanden hat, findet sich plötzlich im Mikrokosmos Schauspielschule wieder: Sechs-Tage-Woche, Seminare von acht bis 22 Uhr. „Dass man am Anfang nicht so eine Uhr wie Hermine aus ,Harry Potter’ bekommt, mit der man die Zeit zurückdrehen kann, ist eine Frechheit“, meint Lena lachend. Sie habe zunächst keine freie Sekunde gehabt, um wirklich etwas von dem zu begreifen, was man ihr beibrachte. Zu viel Input, zu wenig Schlaf, zu wenig Essen. „Meine Freunde, die nicht auf der Schauspielschule waren, wollten das Wochenende planen, und ich wollte nur noch eine weiße Wand anstarren.“ Sie lacht, schiebt sich eine Gabel Kartoffelsalat in den Mund und lehnt sich zurück. Heute ist sie froh um die Ausbildung und will als freie Schauspielerin arbeiten und wohnen, wohin die Projekte sie tragen.

Und wo bleibt das richtige Leben?

Doch ein Leben im ständigen Schwebezustand ist längst nicht für alle Schauspielschüler eine Traumvorstellung. Zu ungewiss sind die Zukunftsaussichten, zu oft steht der Beruf dem Privatleben gegenüber. Jan schüttelt den Kopf. „Wir müssen bei aller Hingabe und Leidenschaft auch mal zurücktreten und uns anschauen, was dieses System mit uns macht. Und wo man etwas verändern könnte.“

„Die Arbeitsstrukturen am Theater sind etwa nicht so angelegt, dass man flexibel auf Bedürfnisse reagieren kann. Und ich meine keine Allüren, sondern ganz normale Sachen“, sagt Inga Behring und schaut zu Boden. „Es gab während der Ausbildung viele Momente, in denen ich mich für das Theater und gegen meine Familie entscheiden musste. Warum war ich zum Beispiel nicht auf dem letzten Geburtstag meines Vaters?“ Die Stuttgarter Schauspielstudentin ist die Jüngste in der Runde. Sie spricht mit ruhiger, überlegter Stimme. Sie liebt das Theater, die Bühne, den Ausdruck – und hasst die Art und Weise, wie diese Liebe ihr Leben einnimmt. „Wir sollen auf der Bühne von Empathie und menschlichen Beweggründen sprechen und arbeiten selbst wie eine Maschine“, sagt sie und zieht die Augenbrauen zusammen. Jan nickt: „Es ist ein Paradoxon. Wir sollen vom Leben erzählen und von den Dingen, die in der Welt geschehen. Und ich denke nur: Welche Welt? Ich bin nonstop in dieser Schule. Ich kenne doch nichts anderes‘“

Ob er tatsächlich Schauspieler bleiben wird, kann Jan heute noch nicht sagen. Lächelnd schaut er zur Seite und schüttelt den Kopf. Vielleicht wolle er auch einfach eine Familie gründen und wissen, dass er mehr als ein Jahr am selben Ort sein werde. Spießige Sicherheit, vielleicht sei das wichtiger als das Theater. Eine pragmatische, nüchterne Sicht auf die Welt der Kunst, die von Selbstausbeutung und Idealismus lebt – auch diese Lektion erteilen die Schauspielschulen ihren Zöglingen, ohne ihnen doch das Wichtigste von allem zu nehmen: die unbändige Spielwut.