Herdenschutzhunde fühlen sich im Kreise ihrer Lieben selbst wie Schafe und verteidigen ihre „Familie“. Foto: LSV/Anette Wohlfarth

Einige wenige Nachtmärsche genügen: Dann ist der Wolf wieder in Baden-Württemberg. Viele Menschen freuen sich auf seine Rückkehr, doch den Schafhaltern graut davor. Jetzt ist ein in Deutschland einmaliges Projekt mit Herdenschutzhunden angelaufen, die ganz anders arbeiten als Hütehunde.

Stuttgart - Die Vogesen – das Schwestergebirge des Schwarzwaldes – sind bereits Wolfsgebiet. Der scheue Jäger lebt aber auch in den Alpen und den östlichen Bundesländern. Außer in Großbritannien und den Benelux-Ländern streichen Wölfe praktisch in ganz Europa durch die Wälder.

So ist Baden-Württemberg eigentlich ein weißer Fleck auf der Wolfskarte. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann der Langstreckenläufer den Südwesten 150 Jahre nach seiner Ausrottung wieder für sich entdeckt. „Wann das sein wird, wissen wir nicht. Aber der Tisch ist reichlich gedeckt hier“, sagt Andre Baumann, Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Baden-Württemberg. Ja, es gibt genügend Rehe hier – wichtigste Beute des Isegrim. Und Hirsche und Wildschweine, die ebenfalls zum Speiseplan gehören. So könnte sich auch jener Wolf schon eine Weile hier getummelt haben, der aus Italien stammte und dann bei Lahr überfahren wurde. „Aber er kann auch schnurstracks durch den Schwarzwald gelaufen sein“, überlegt Baumann.

Der Nabu setzt sich mit dem Projekt „Willkommen Wolf!“ seit 2005 für die Wiederkehr der Grauen ein. Bundesweit unterstützen den Verband mehr als 400 ehrenamtliche Wolfbotschafter. Es werden Daten gesammelt, um mehr über den Wolf und sein Verhalten zu lernen. Und es werden dessen Lebensräume geschützt und die Vernetzung der Schutzgebiete durch Wildwanderkorridore vorangetrieben.

Wölfe auf Paarhufer programmiert

Den Schaf- und Ziegenhaltern ist das jedoch nicht geheuer. Schließlich ist der Wolf, was seine Nahrung angeht, auf Paarhufer programmiert. Findet er kein Wild, reißt er auch Nutztiere. „Damit der Wolf bei uns willkommen ist, braucht es einen Wolfsrissfonds, um die Schäfer zu unterstützen“, sagt Andre Baumann. Den forcieren der Nabu und vier weitere Naturschutzverbände.

Noch wichtiger als die Entschädigung sei aber die Prävention vor Wolfsübergriffen – der Herdenschutz. Den testen der Landesschafzuchtverband (LSV) und der Nabu jetzt in einem so bundesweit einmaligen Projekt bei vier Nutztierhaltern. Die grün-rote Landesregierung hat dafür 200 000 Euro Fraktionsmittel lockergemacht.

In den östlichen Bundesländern gibt es bereits Erfahrungen mit Herdenschutzhunden – und mit Netzen und Zäunen, die hier jetzt ebenfalls getestet werden. Doch dort ist die Topografie eine völlig andere als im Südwesten, die Ergebnisse deshalb kaum übertragbar. „An den stark verbuschten Steilhängen hier funktionieren diese Netze mit Flatterband nicht, weil die Leitfähigkeit des Stroms leidet, wenn die Netze im hohen Gras stehen“, sagt Anette Wohlfarth, Geschäftsführerin des LSV.

Weiße Riesen mit bis zu 60 Kilo

Das Augenmerk richtete sich deshalb auf Herdenschutzhunde. Das sind nicht die quirlig wuseligen Hütehunde wie Bordercollie, Australien Shepherd oder Deutscher Hirtenhund, die die Herde zusammentreiben und dazu durchaus einzelne Tiere auch einmal in die Beine zwicken.

Vielmehr verstehen sich Herdenschutzhunde als Teil der Herde und verteidigen sie, weil sie sich selbst als Familienmitglied sehen. Beliebteste Rassen sind der Pyrenäen-Berghund aus Frankreich, der Komodor und der Kuvasc aus Ungarn oder der Maremmano Abruzzese aus Italien. Sämtliche Rassen haben ein weißes Fell und sind von beeindruckender Größe – weiße Riesen quasi, die bis zu 60 Kilogramm auf die Waage bringen.

Wie sollen sich solche Tiere in eine Schafherde einfügen? „Zurzeit laufen zwei Versuche“, sagt Andre Baumann. Im einen Fall würden die Hunde bereits als Welpen in die Herde integriert: „Auf die sind sie dann geprägt“, sagt Baumann und zieht als Vergleich den Küken-Vater Konrad Lorenz heran, der Gänseküken auf sich prägte. „Welpen, die in der Herde aufwachsen, denken zeitlebens, sie seien ein Schaf“, sagt der Diplombiologe Baumann. Deshalb seien sie bereit, die vermeintlichen Artgenossen nach Kräften zu verteidigen.

In anderen Versuchen wird nicht mit Welpen, sondern mit Junghunden gearbeitet. „Auf einem Hof funktioniert das bisher gut, auf einem anderen weniger gut“, berichtet Baumann. Dort hätten die Schafe Angst vor dem Schutzhund und liefen vor ihrem Beschützer davon. „Darunter hat der Hund sehr gelitten, weil er die Schafe für seine Brüder und Schwestern hält.“ Zum Schmunzeln sei das nicht: „Das muss später, wenn der Wolf zurück ist, absolut funktionieren.“ Die einzige Erkenntnis aus dem Osten, die sich übertragen lässt nach Baden-Württemberg, ist die: Wölfe, die eine Herde im Visier haben, lassen von ihr ab, wenn sie die weißen Riesen sehen. Allein die Statur der Hunde wirkt auf sie abschreckend.

Der Stundenlohn der Schafhalter liegt bei 4,90 im Schnitt

Die Hunde zeigen sich, wie Baumann weiß, wenn sie Eindringlinge vermuten, durchaus von ihrer unfreundlichen Seite. Ungewohnten Situationen begegnen sie mit höchster Aufmerksamkeit. „Herdenschutzhunde sollte man nie anlocken, füttern oder berühren“, betont deshalb Anette Wohlfarth. „Auf keinen Fall sollte man die umzäunte Schafweide betreten, sondern ruhig daran vorbeigehen. Außerdem ist es wichtig, eigene Hunde an der kurzen Leine zu führen, damit die Herdenschutzhunde sie nicht als Gefahr ansehen.“

Ob nun also die rund 140 Wanderschäfer unter den insgesamt noch 2300 schafhaltenden Betriebe in Baden-Württemberg auf den Hund kommen? „Die Akzeptanz wird von unseren Erfahrungen im Projekt abhängen“, sagt Anette Wohlfarth. Die Schafhalter seien schlicht auf Hilfe angewiesen. Ohnehin ging ihre Zahl innerhalb der vergangen zehn Jahre um 30 Prozent zurück, ihr Stundenlohn liegt bei 4,90 Euro im Schnitt – also bei der Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns.

So spielt auch der finanzielle Aufwand für den Herdenschutz eine wichtige Rolle. Rund 150 Euro koste ein Hund im Monat, sagt Wohlfarth – für Nahrung und eventuelle Tierarztkosten. Und zwei Hunde pro Herde sollten es schon sein.

„Züchte ich Schafe oder Hunde?“

Eine Besonderheit der Schäfer im Land ist, mehrere kleine Herden an verschiedenen Orten zu halten. Das würde dann auch bedeuten, dass der Betrieb gleich mehrere Hunde anschaffen muss. Da komme dann schon die Frage auf: „Züchte ich Schafe, oder züchte ich Hunde?“, hat Baumann von einem Schafhalter gehört.

Andere Schafhalter fürchten die Bürokratie, haben keine Lust, sich mit Tierschützern und Veterinären mit den Haltungsbedingungen der Hunde auseinanderzusetzen. Denn die bleiben Tag und Nacht auf der Weide – ohne Hundehütte. Dennoch ist Andre Baumann ein Verfechter des Projekts: „Das ist ganz dringend notwendig.“ Um bestimmte Lebensräume vor der Verbuschung zu schützen, sei die Beweidung durch Schafe und Ziegen unabdingbar. „Dafür brauchen wir mehr Schafe und Schäfereibetriebe.“

Auf dem Windberghof in St. Blasien (Kreis Waldshut) hat der Nabu seit Anfang 2014 beste Erfahrungen mit Herdenschutzhunden gemacht. Dort bewachen Lori und Lewin – zwei Brüder der Rasse Maremmano Abruzzese – eine Ziegenherde der Familie Albrecht, teilweise kilometerweit vom Hof entfernt. Von Frühjahr bis Herbst sind sie mit der Herde draußen und halten auch Rothirsche und Wildschweine fern, die den Elektrozaun einreißen könnten.

In der Schweiz läuft es rund

Seit fünf Wochen läuft nun ein zweiter Versuch im Kreis Böblingen, ein weiterer startet demnächst im Kreis Schwäbisch Hall. Und nächstes Jahr kommt noch ein weiterer Hof dazu. Genauere Angaben dazu, wo das Herdenschutzprojekt läuft, will Anette Wohlfarth nicht machen: Sie fürchtet, dass zu viele Besucher die Hunde oder Schafe irritieren, die Schafhalter mit Fragen belästigen und das Projekt gefährden könnten. Denn die Zeit drängt: Die Rückkehr des Wolfs ist jederzeit möglich.