Jörg Trüdinger vor seinen Schätzen Foto: Peter Petsch

Jörg Trüdinger sammelt. Von Berufs wegen. Er handelt mit alten Schätzen. Aber er sammelt auch aus Leidenschaft. Er hortet alles, was mit Stuttgart zu tun hat. Fotos, Spielzeug, Dokumente und allerlei Kurioses bewahrt er zu Hause auf.

Stuttgart - Im Stapeln ist Jörg Trüdinger seit jeher ein Meister. Wer einmal in seinem Laden Such & Find in einer ehemaligen Bäckerei im Heusteigviertel war und sich dort umgetan hat, muss das neidlos anerkennen. Für jedes Auto, jede Lok, jedes Buch, jede Platte, jeden Comic und jedes Spielzeug finden er und sein Geschäftspartner Mario Cini einen Platz. 100 000 Dinge auf 130 Quadratmeter unterzubringen ist eine Kunst. Doch in seinem Haus im Stuttgarter Osten übertrifft er sich selbst. Es ist schmal, aber es birgt mehr als ein Jahrhundert Stadtgeschichte. Dort lebt Trüdinger (44) mit seiner Frau und den beiden Kindern inmitten seiner „Privatsammlung“.

So nennt er sie. Der Bezirksbeirat der SPD ist ein Mann der leisen Töne, er neigt nicht zur Aufschneiderei, doch seine „Privatsammlung“ ist in Wirklichkeit ein Schatz. Um den ihn so mancher Historiker beneidet. Sie erzählt mehr über die Stadt als so manche wissenschaftliche Sammlung. Geschichte auf Augenhöhe, anschaulich gemacht in unzähligen Stücken, im Flur hängt über der Tür ein altes Straßenbahnschild, eingraviert der Name „Ostheim“, in einer Kiste im Keller schlummert eine Einladung zur Weihnachtsfeier 1913 des VfB, im Schlafzimmer steht in einem Regal das Kriegstagebuch eines Mädchens, in dem vorne ein Foto von Feldmarschall Erwin Rommel klebt, darüber in Schönschrift die Worte: „Unser Rommel“, gegenüber der Kellertreppe hängt ein alter Ledereimer der Stuttgarter Feuerwehr, in seinem Büro liegen Siegerschleifen aus den 20er Jahren vom Solitude-Rennen, im Wohnzimmer steht der Breuninger-Bär, gefertigt von Steiff in den 50er Jahren, in einem Album liegt das 100 Jahre alte Programm vom Circus Franz Althoff, der an der Neckarstraße sein Zelt aufgeschlagen hatte.

Angefangen hat Trüdingers Händlerkarriere mit zwölf

Trüdinger ist technischer Betriebswirt, mit Zahlen kennt er sich aus, und eigentlich lebt er vom Verkaufen, sei es in seinem Laden oder auf dem Flohmarkt am Karlsplatz. Warum hortet er dann und handelt nicht? „Das sind unterschiedliche Dinge, ich lebe vom Verkaufen, aber an den Sachen aus Stuttgart erfreue ich mich, da kann ich mich darin verlieren.“ Angefangen hat seine Händlerkarriere mit zwölf. „Da war ich auf dem Flohmarkt und habe mir ein Auto für fünf Mark gekauft.“ Als ihn kurz darauf ein Mann ansprach und ihm das Auto für 55 Mark abkaufen wollte, merkte er: „Hoppla, da kann man Geld damit verdienen.“ Seitdem geht er regelmäßig auf den Flohmarkt. Mit 16 kaufte er sein erstes Fotoalbum mit Bildern aus Stuttgart. „Das weiß ich noch, das war an einem kleinen Stand am Abgang zum Charlottenplatz.“ Seitdem sammelt er alles, was mit Stuttgart zu tun hat. Und weil das jeder Kollege weiß, schickt man alle, die dergleichen verkaufen oder loswerden wollen, „zum Trüdinger“. Und wenn Entrümpler bei Haushaltsauflösungen was finden, melden sie sich auch bei ihm.

„Das meiste ist nicht wertvoll“, sagt Trüdinger, „aber besonders.“ So wie die Sammelbüchse, mit der die Nazis fürs Winterhilfswerk sammelten, nach dem Krieg wurde sie schwarz übermalt, das Rössle kam drauf, und man sammelte damit für den Wiederaufbau. Aus einem Regal holt er ein Häuschen, gebaut für eine Spielzeugeisenbahn. „Die hat ein Herr Otto Autenrieb aus der Landhausstraße gemacht“, sagt er, „die sind Einzelstücke, und er hat sie nummeriert.“ Wenn man Geld habe, könne man alles kaufen. „Das ist kein Problem.“ Doch diese Häuschen seien nicht wertvoll, „aber man muss sie finden.“ Genau wie die Modellautos, die ein gewisser Ingenieur Veith nach dem Krieg geschnitzt hat.

Stuttgarts kurzer Auftritt als Hauptstadt endet mit Kartoffelsalat

Doch weg vom Spielzeug, hin zur Politik. „Wussten Sie, dass Stuttgart mal deutsche Hauptstadt war?“, sagt Trüdinger und zaubert ein Foto hervor, auf dem Reichspräsident Friedrich Ebert vor dem Kunstgebäude am Schlossplatz zu sehen ist. Am frühen Morgen des 13. März 1920 waren die Freikorps ins Berliner Regierungsviertel einmarschiert. Es war der nach einem rechtsradikalen Politiker genannte Kapp-Putsch. Die Regierung und das Parlament flüchten nach Stuttgart. Die Nationalversammlung tagt am 17. März im Kuppelsaal des Stuttgarter Kunstgebäudes. Einen Tag später scheitert der Putsch. Die Parlamentarier feiern im Ratskeller mit Schützenwürsten und Kartoffelsalat. So endete Stuttgarts kurzer Auftritt als Hauptstadt.

Eine fast vergessene Episode. Dokumentiert in Trüdingers Privatsammlung. Wo Friedrich Ebert neben der Dompteurin Claire Heliot ruht, wo ein Album über die Kickers-Legende Edmund Conen neben Passierscheinen der Alliierten liegt, wo das Titelblatt des „Neuen Stuttgarter Tagblatts“ vom 8. März 1871 das Ende des deutsch-französischen Krieges mit der Schlagzeile „Frieden auf Erden“ verkündet und ein Emailleschild für Funk-Nudeln aus Rohracker wirbt. Auch wenn es nicht so scheint, für Neues ist immer noch Platz. Jörg Trüdinger ist halt ein Meister im Stapeln.