Die Diskussionen über das Rasenmähen - wann, wie oft und ob überhaupt - sprießen wie Unkraut.

Stuttgart - Wann, wie oft und ob der Rasen überhaupt gemäht werden soll - die Diskussionen darüber sprießen wie Unkraut. Im Rathaus hegen Umweltschützer Blütenträume: Hobbygärtner sollen mit dem Mähen noch warten, so der Appell, damit Wildbienen und Schmetterlinge bessere Überlebenschancen haben.

In der Kleingartenanlage am Pragfriedhof im Stuttgarter Norden gibt 33 Schrebergärten, jeder etwa 200 Quadratmeter groß. In manchen blühen zwischen langen Gräsern Löwenzahn, Gänseblümchen und Co. Die Gartenbesitzer sprechen liebevoll von Wildblumen und -kräutern. Der Nachbar hält es für Unkraut, hat es mit Stumpf und Stiel ausgerottet und seine Wiese zum Rasen getrimmt. "Die einen lassen alles wachsen. Andere mähen im April", bestätigt Vereinsvorsitzender Günther Stadler (56), dass das Thema Rasenmähen Glaubenssache ist und jedes Jahr für Diskussionen sorgt - bis rein in die Vorstandsriege.

Vereinsvorsitzender Stadler selbst hält es mit dem gepflegten englischen Rasen: Bereits vor einer Woche hat er das erste Mal gemäht, damit ihm das "Unkraut" nicht über den Kopf wächst. "Mein Rasenstück ist nur klein. Damit ich es als Grillplatz nutzen kann, mähe ich etwa alle 14 Tage", sagt er. Vorstandsbeisitzer Norman Schmidt (65) dagegen gefallen die bunten Farbtupfer im Gras. Er ist verantwortlich für den Vereinsplatz. Und dort lässt er es wachsen. "Mir gefallen die Wildblumen. Außerdem will ich den Insekten die Lebensgrundlage nicht nehmen." Per Vereinssatzung Regeln fürs Mähen festgelegt haben die Kleingärtner am Pragfriedhof nicht. "Wir diskutieren das aus - und arrangieren uns." Nur an einen Fall erinnert sich Schmidt, bei dem eine Kleingärtnerin mit Vereinsausschluss rechnen musste, weil sie ihren Garten verwildern ließ. Sie habe den Garten schließlich von sich aus abgegeben.

Vom Rasen auf die Wiese

Weil beim Mähen nicht nur der Rasen gestutzt wird, sondern auch Wildpflanzen abrasiert werden, appelliert das städtische Amt für Umweltschutz an alle Hobbygärtner, den Rasenmäher noch bis zum Frühsommer im Schuppen zu lassen und auch Wildblumen nicht auszustechen. "Zahlreiche Insekten wie Wildbienen und Schmetterlinge brauchen die Pollen und den Nektar von Löwenzahn, Wiesenschaumkraut und anderen Rasenkräutern und Wiesenpflanzen als Nahrung und für die Eiablage", sagt Conrad Fink vom Amt für Umweltschutz. Nur wenn die Pflanzen verblühen, Samen bilden und sich vermehren können, sei ihr Fortbestand und damit die Nahrungsgrundlage für die Insekten dauerhaft sichergestellt.

Die Stadt geht mit gutem Beispiel voran: Seit Mitte der 90er Jahre wurden 384 Hektar Rasen durch Wiese ersetzt. Die Rasenfläche liegt bei nur noch 209 Hektar. "Anfänglich gab es Bürgerproteste wegen des Wildwuchses. Mittlerweile überwiegt das Lob", stellt Werner Koch, Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamts, fest. Gemäht werden die städtischen Grünflächen zwei- bis zwölfmal pro Jahr. Wie häufig die Mäher zum Einsatz kommen, hängt von der jeweiligen Nutzung ab. Am häufigsten werden die Liegewiesen zum Beispiel am Max-Eyth-See und am Killesberg gemäht, die Grünstreifen entlang der Straßen im Kreuzungsbereich sowie der Bereich rund um Blumenbeete. "Der Kreuzungsbereich muss einsehbar sein, wenn die Ampeln ausfallen oder nachts abgeschaltet sind. Langes Gras bei Liegewiesen akzeptieren die Bürger nicht. Und Blütenpracht in Blumenbeeten kommt kaum zur Geltung, sind sie von Wiesen umgeben ", begründet Koch häufiges Mähen.

Kochs Kollegen vom Umweltschutzamt hoffen, dass auch die Hobbygärtner mit der Zeit vom Rasen auf die Wiese kommen. "Noch ist der Ordnungsgedanke weit verbreitet. Wer seinen Rasen nicht mindestens alle zwei Woche mäht, gilt als Schlamper", sagt Amtsleiter Joachim von Zimmermann.

Eine Erfahrung, die auch die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) macht: Sie lässt ihre Gartenanlagen bereits im April mähen - pro Saison bis zu achtmal. Denn wird nicht regelmäßig gemäht, und ist das Gras mehr als 15 Zentimeter lang, beschweren sich die Mieter. "Denen ist an einer gepflegten Anlage gelegen. Raseninseln für Wildblumen haben in der Vergangenheit häufig zu Irritationen geführt", begründet eine Sprecherin, dass der Richtwert für die Rasenhöhe bei der SWSG zwischen 5 und 15 Zentimetern liegt. Mit fünf Zentimetern ist der Rasen fast so kurz wie im Daimlerstadion. Auf Fußballplätzen darf der grüne Teppich 3,5 Zentimeter hohen Flor haben. Löwenzahn, Wiesenschaumkraut und Gänseblümchen haben da allerdings keine Chance.