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Polizist schlägt Demonstrantin: Nach dem Zwischenfall bei der Räumung ermittelt die Polizei.  

Stuttgart - Die Demonstranten gegen das Tiefbahnhof-Projekt sind wieder auf dem Boden. In der Nacht zum Dienstag hat die Polizei die Besetzung einer Platane im Schlossgarten beendet. Jetzt ermittelt sie nicht nur gegen einen Sympathisanten der Besetzer - sondern auch gegen einen Polizisten, der kraftvoll zuschlug.

Die Nacht wird zum Tage im Mittleren Schlossgarten. Gegen Mitternacht beginnt die Operation Platane. Spezialkräfte der baden-württembergischen Polizei rücken beim Ferdinand-Leitner-Steg an der Schillerstraße an. Sie tauchen die Platane in gleißendes Licht und wollen Fahrzeuge mit Hubflächen in Stellung bringen. Doch zuerst einmal setzen sich etliche Stuttgart-21-Gegner rund um die Baumstämme und blockieren die weiteren Maßnahmen. Polizeibeamte tragen elf von ihnen weg. Anschließend stellt die Polizei Absperrgitter um die Baumstämme, um ihren Einsatzbereich freizuhalten.

Für zwei Männer und zwei Frauen ober in der Platane ist es das Signal, das Baumhaus in zehn Metern Höhe zu verlassen, das am Freitagabend eingerichtet worden war. Die vier Besetzer steigen aber nicht ab, sondern klettern höher in die Baumkrone. Gegen 1 Uhr, etwa eine Stunde nach dem Beginn des Einsatzes, bewegen sich auch speziell ausgebildete Polizeibeamte am Baum nach oben. Inzwischen hat sich die Nachricht von der Räumung der Platane herumgesprochen. Rund 100 Demonstranten haben sich versammelt und quittieren den Einsatz der Polizei mit lautstarken Protesten und Pfiffen.

Gegen 1.25 Uhr haben die Polizeibeamten oben die Aktivisten der Umweltschutzorganisation Robin Wood erreicht. Sie halten sie fest und sichern sie, damit sie nicht in die Tiefe stürzen. Dann steigen die Spezialisten mit den Besetzern in den Korb eines sogenannten Hubsteigers. Um 1.50 Uhr hat die Erde den ersten der vier Besetzer wieder. Die anderen drei folgen. Gleichzeitig bauen Polizisten das massive Baumhaus ab, befördern das Baumaterial und das Gepäck der Aktivisten mit einem Kran nach unten.

Die eigentliche Dramatik der Operation spielt nicht oben, sondern unten am Boden. Irgendwann während des Einsatzes macht eine Demonstrantin eine Bewegung in Richtung eines Polizisten. Der Mann reagiert sofort. Er schlägt die Frau kraftvoll ins Gesicht und holt auch mit dem Bein aus, wie ein im Internet zugängliches Video beweist.

"Wir werden nichts unter den Teppich kehren"

Als die Polizei die beiden Besetzerinnen abtransportieren will, kommt es zu einem weiteren Zwischenfall. Ein junger Mann, wird Polizeisprecher Olef Petersen später berichten, wirft sich vor das Fahrzeug. Gegen 4 Uhr wird er festgenommen, später allerdings wieder auf freien Fuß gesetzt. Er muss mit einer Anzeige wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechnen.

Nach Informationen unserer Zeitung handelt es sich um den Schüler Simon Engelhaupt, der sich bei der Landtagswahl 2011 im Wahlkreis Stuttgart III (nördliches Stadtgebiet) für die Piratenpartei bewirbt. Deren Landesverband ist nach eigener Auskunft 2009 dem Aktionsbündnis Kopfbahnhof21 beigetreten. In den frühen Morgenstunden geht der Einsatz an der rund 200 Jahre alten Platane, die wie viele andere dem Tiefbahnhofbau weichen soll, zu Ende. Die Besetzer können Anzeigen wegen Sachbeschädigung und wahrscheinlich auch Rechnungen für den Polizeieinsatz erwarten.

Nicht nur für den Schüler könnte die Nacht ein Nachspiel haben, sondern auch für den Beamten des Sondereinsatzkommandos, der zuschlug. „Das sieht im Video martialisch aus“, räumt Polizeisprecher Petersen ein. Er sagt aber auch: „Wir werden ermitteln und nichts unter den Teppich kehren.“ Das war am Dienstag zunächst noch erschwert, weil der Polizei keine Anzeige vorlag und auch die Gruppe der Parkschützer die Identität der Frau nicht kannte. Der Beamte hatte wieder dienstfrei und hielt sich nicht mehr in Stuttgart auf. „Er hat unangemessen auf eine Bewegung der Frau in seine Richtung reagiert“, urteilte der Sprecher der Stuttgarter Polizei. Man müsse aber auch die Vorgeschichte bedenken. Die Stimmung der Protestierer sei sehr aufgeheizt gewesen. Es habe Hasstiraden, Beleidigungen, Pöbeleien und andere Provokationen gegeben. Die rund 100 Beamten hätten sich bis zu dem Zwischenfall besonnen verhalten, meint Olef Petersen, der beim Einsatz dabei war. Das Klientel, mit dem es die Polizei zu tun hatte, sei erkennbar anders und aggressiver gewesen als jenes vor dem Nordflügel des Hauptbahnhofs oder bei den Demonstrationszügen. Auch die Frau, die geschlagen wurde, habe kräftig mitgeschrien.

Das Aktionsbündnis verurteilte die „gewaltsame Beendigung“ der Baumbesetzung. Zugleich kritisierte Hannes Rockenbauch die Verantwortlichen. Mit derartigen Maßnahmen gegen friedlichen Protest nähmen sie eine Eskalation in Kauf.

Inzwischen überfordern die Einsätze nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Polizei. Die müsse das Hickhack ausbaden, klagte der GdP-Landeschef Rüdiger Seidenspinner. Der Bürger stehe jetzt schon vor verschlossenen Polizeiposten. Die Belastungen im Zusammenhang mit den Protesten um Stuttgart 21 führten zwangsläufig zum Personalkollaps. Die Kosten der Einsätze seit November werden auf rund drei Millionen Euro geschätzt, erklärte Alice Loyson-Siemering, Sprecherin des Innenministeriums, auf Anfrage. Die bisher letzte Demonstration am Dienstag dürfte den Aufwand nur maßvoll erhöhen. Rund 50 Personen gingen auf die Straße – sie allerdings für Stuttgart21. Dabei beseitigten sie Aufkleber der Gegner.