Ulrich Grothe hat das härteste Radrennen der Welt vor sich Foto: Baumann

Es gilt als das härteste Radrennen der Welt. Nicht einmal die Hälfte der Teilnehmer kommt ins Ziel. Der Waiblinger Ulrich Grothe will mit seinem Team The Aussies in weniger als sieben Tagen das Ziel in Annapolis erreichen.

Stuttgart - Ulrich Grothe sitzt verschwitzt auf der Terrasse des Vereinsheims des MTV  Stuttgart und trinkt Mineralwasser. Sein Karbon-Rennrad lehnt am Geländer. Er hat gerade ein anstrengendes Bergtraining hinter sich gebracht, ist sechsmal einen 15 Kilometer langen Stich im schwersten Gang hochgefahren. Und doch ist die Einheit ein Klacks im Vergleich dazu, was der 51-Jährige Waiblinger ab dem 20. Juni geplant hat. Ulrich Grothe wird mit dem vierköpfigen Team The Aussies am härtesten Radrennen der Welt, dem Race Across America (RAAM), teilnehmen.

Seine Mitfahrer hat er bei seinen Geschäftsreisen nach Singapur kennengelernt und sich anstecken lassen vom RAAM-Virus. und die Faszination ließ ihn nicht mehr los. Bei dem Rennen gibt es keine festgelegten Etappen, es wird nur gemeinsam gestartet. „Es ist ein spannender Versuch, in diese Welt einzutauchen“, sagt Grothe. Der Familienvater war früher Leichtathlet, hat mit dem Rad die Alpen überquert und ist von Waiblingen nach Nizza geradelt. Aber eher zum Spaß. Mit genügend Schlaf. Und ohne Zeitvorgabe. Doch Ulrich Grothe hat ehrgeizige Ziele, es geht nicht nur ums Ankommen, und das bei einem Rennen, bei dem die Hälfte der Einzelstarter nicht ins Ziel kommt. Zum Vergleich: Selbst beim Ironman auf Hawaii sind 90 Prozent der Teilnehmer im Ziel. „Es wäre schön, wenn am Ende die Sechs auf der Uhr steht“, sagt Grothe und hofft, dass er mit seinem Quartett das Rennen zwischen sechs und sieben Tagen bewältigen wird. Dazu benötigen sie einen 30er-Schnitt.

Grothe sieht sich trotz dieses Abenteuers, das in Oceanside in Kalifornien starten wird, nicht als Extremsportler, auch nicht als besonders leidenssüchtig. Rund 6000 Kilometer hat er bisher schon in den Beinen, jede Menge Ausgleichssport für den Rumpf gemacht oder Sequenzen auf dem Heimtrainer. Doch den zu erwartenden Schlafmangel kann man nicht trainieren. Mit mehr als vier Stunden Schlaf pro Nacht rechnet er nicht. „Aber durch meine vielen Geschäftsreisen bin ich Jetlag-erprobt. Das könnte ein Vorteil sein“, sagt Grothe. Mit Neridah Lock wird er ein Zweierteam bilden, sich stündlich mit ihr abwechseln, und nach sieben Stunden ist Pause. Ihr Mann Mat Lock fährt mit Theo Matsas. Grothes Familie unterstützt sein Vorhaben, in den Pfingstferien fährt er mit Frau und Tochter auf dem Rad noch von Venedig nach Kroatien.

In der Vorbereitung hat er nichts dem Zufall überlassen, den richtigen Fahrradladen, den passenden Physiotherapeuten gesucht und sieben Kilo abgenommen. Normalerweise berät er Unternehmen und entwickelt neue Geschäftsideen. Beim RAAM muss er sich an die Vorgaben des Teamchefs halten. „Es gilt, Strategien unter extremen Belastungen zu entwickeln“, sagt Grothe. In der Theorie weiß er Bescheid über den Kurs durch zwölf Bundesstaaten, der durch die Wüste, über die Rockys und die Appalachen sowie die öden Weiten des Mittelwestens führt. Doch es sind nicht nur die Höhenunterschiede, die Kälte, die Hitze oder der Regen, die Grothe fordern werden. Es sind auch Naturgewalten wie Heuschreckenschwärme und Tornados, die auf die Fahrer einbrechen können. Aber Grothe will nicht nur an die Strapazen denken, sondern freut sich auf die Nächte in den Great Planes, deren Sternenhimmel unvergesslich sein soll.

2014 waren die Aussies ohne Grothe schon einmal am Start und haben aus Fehlern gelernt. Geschlafen wurde damals im Begleitfahrzeug auf engem Raum. Das kann bedrückend sein, wenn der Schlafmangel größer wird. Diesmal übernachten sie in gebuchten Motels, sieben Begleitpersonen unterstützen und umsorgen das Team und helfen bei Reparaturen. Am 18. Juni fliegt Grothe nach Kalifornien, denn auch vor dem Start gibt es noch viel vorzubereiten, die Autos und Räder müssen genau beschriftet und abgenommen, Übergaben im Dunkeln geübt werden. Und dann beginnt die harte Tour.