Die Leonhardstraße in Stuttgart bei Nacht. Foto: Peter Petsch

Martin Schairer ist vergangene Woche vom Gemeinderat als Ordnungsbürgermeister bestätigt worden. Ein Schwerpunkt in der neuen Amtszeit wird der Kampf gegen illegale Prostitution sein. Im Interview mit unserer Zeitung sagt Schairer (CDU), wo Handlungsmöglichkeiten und wo die Grenzen sind.

Martin Schairer ist vergangene Woche vom Gemeinderat als Ordnungsbürgermeister bestätigt worden. Ein Schwerpunkt in der neuen Amtszeit wird der Kampf gegen illegale Prostitution sein. Im Interview mit unserer Zeitung sagt Schairer (CDU), wo Handlungsmöglichkeiten und wo die Grenzen sind.
Stuttgart - Martin Schairer ist vergangene Woche vom Gemeinderat als Ordnungsbürgermeister bestätigt worden. Ein Schwerpunkt in der neuen Amtszeit wird der Kampf gegen illegale Prostitution sein. Im Interview mit unserer Zeitung sagt Schairer (CDU), wo Handlungsmöglichkeiten und wo die Grenzen sind.
Herr Schairer, mal heißt es, in Stuttgart bieten 500 Prostituierte ihre Dienste an. Dann sollen es mehr als 3000 sein. Welche Zahl stimmt?
Die Polizei geht davon aus, dass in Stuttgart etwa 3000 Personen einen Bezug zum Milieu haben. Dazu gehören alle: Stricher, Prostituierte, Zuhälter. Viele Prostituierte sind oft nur kurze Zeit in Stuttgart, werden aber mitgezählt. Realistisch dürfte sein, dass etwa 500 Prostituierte täglich ihre Dienste anbieten. Etwa 90 halten sich illegal auf dem Straßenstrich im Leonhards- und Bohnenviertel auf, 140 in den dortigen Bordellen und Laufhäusern. Weil es keine Meldepflicht mehr gibt, fehlt ein genauer Überblick.
Das Fraueninformationszentrum der Diakonie Baden-Württemberg schätzt, dass 80 Prozent Armuts- oder Zwangsprostituierte aus Osteuropa sind.
Das dürfte hinkommen.
Eine so hohe Zahl tolerieren Sie?
Von tolerieren kann keine Rede sein. Aber wir haben derzeit kaum eine gesetzliche Handhabe, dagegen vorzugehen.
Heißt das, Sie schauen weg?
Ganz und gar nicht. Wir sehen das Problem und gehen davon aus, dass es sich durch die seit Januar geltende vollständige Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Frauen – um die geht es nämlich – verschärfen wird. Deshalb wollen Stadt und Polizei gemeinsam die Auswüchse bekämpfen.
Zum Beispiel mit einer Kondompflicht für Freier. Ist das ein Witz? Wollen Sie mit ins Bordell kommen und kontrollieren?
Natürlich wollen wir dort weder Kontrolleure noch Videokameras. Aber wenn Baden-Württemberg ähnlich wie Bayern im Rahmen einer Hygieneordnung ein solches Gesetz erlassen würde, hätte das Symbolcharakter. Es würde klarmachen, dass ungeschützter Geschlechtsverkehr im Sexbetrieb nicht zu dulden ist. Das würde die Position der Frauen stärken. Tatsächlich durchsetzbar wäre eine Kondompflicht nur, wenn auch die Bundesgesetzgebung geändert würde.
Was müsste sich ändern?
Vor allem der Paragraf drei des Prostitutionsgesetzes müsste gestrichen werden. Dieser Paragraf gesteht Bordellbetreibern ein weitgehendes Weisungsrecht zu. Damit kann er von den Prostituierten bestimmte Sexpraktiken verlangen: den Freier nackt zu empfangen oder eben ungeschützten Geschlechtsverkehr anzubieten.
Sie plädieren auch dafür, wieder Gesundheitskontrollen für Prostituierte einzuführen. Wird dadurch die Angst der Freier vor Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten nicht sinken, so dass eher Sex ohne Kondom verlangt wird?
Die Freier können wir ja nicht zum Gesundheitsamt schicken. Und die Kontrollen sollen nicht nur die Freier, sondern vor allem auch die Frauen schützen.
Auch dafür ist eine Gesetzesänderung auf Bundesebene notwendig. Was kann auf kommunaler Ebene getan werden?
Ich bin zuversichtlich, dass die Koalitionspartner Lösungen auf Gesetzesebene finden werden. Denn mittlerweile dürfte klargeworden sein, dass die Legalisierung der Prostitution 2002 der Ausbeutung größeren Raum gegeben hat. Um gegen illegale Prostitution vorgehen zu können, muss derzeit die Prostituierte ihren Zuhälter anzeigen. Doch Frauen, die nicht Deutsch sprechen, denen der Pass abgenommen wurde und die mittellos sind, sind dazu nicht in der Lage. Vor der Legalisierung der Prostitution war das einfacher. Da war schon die Bereitstellung komfortabler Räume strafbar. Das konnte ohne Zutun der Prostituierten strafrechtlich verfolgt werden.
Nochmals die Frage: Wie können Sie als Ordnungsbürgermeister die Auswüchse in der Prostitution eindämmen?
Die Möglichkeiten sind in der Tat begrenzt. Wir können die Profiteure in den Bordellen und Bars häufig kontrollieren und tun das auch. Wir können den illegalen Straßenstrich im Sperrbezirk Bohnen- und Leonhardsviertel verstärkt kontrollieren und die Bußgelder für die Freier erhöhen. Auch das tun wir. Im vergangenen Jahr wurden im Rotlichtviertel etwa 230 Bußgelder wegen sogenannter Anbahnungsgespräche auf der Straße eingezogen. Beim ersten Verstoß wird der Freier mit 100, die Prostituierte mit 180 Euro zur Kasse gebeten. Künftig sollen auch die Freier 180 Euro bezahlen müssen. Außerdem haben wir 400 Aufenthaltsverbote ausgesprochen.
Hilft das?
Bei den Freiern gibt es so gut wie keine Wiederholungstäter. Bei den Frauen ist der Erfolg geringer. Sie werden einfach ausgetauscht.
Wer kontrolliert die Szene überhaupt?
Das ist Sache der Polizei. Der städtische Vollzugsdienst kann allenfalls ein Auge auf die Szene werfen. Aber für Kontrollen der Personen und Betriebe und für Razzien sind unsere Leute nicht ausgebildet.
Es gibt Überlegungen in der Stadtverwaltung, auch außerhalb des Rotlichtbezirks Bordelle zuzulassen. Um welche Bereiche geht es?
Da ist im Moment noch nichts spruchreif. Die Stuttgart Außenbezirke kommen mit Rücksicht auf die Bevölkerung nicht infrage, weil dort die Wohnbebauung überwiegt.
Wird durch eine Streuung der Erotikbetriebe die Szene nicht noch schwerer kontrollierbar?
Nein, die Kontrollen funktionieren gut und würden auch in einem größeren Bereich klappen. Ballen sich die Geschäfte in einem Bereich, besteht die Gefahr, dass das noch mehr Prostitution anzieht.
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft hat im Rotlichtviertel Gebäude verkauft. Der Käufer betreibt dort illegal ein Bordell, welches die Stadt schließen will – erfolglos. Warum lässt sich die Stadtverwaltung so vorführen?
Wir sind keinesfalls erfolglos. Vier Prozesse gegen illegale Nutzung haben wir gewonnen. Einer läuft noch. Ich bin überzeugt, dass wir auch diesen Prozess für uns entscheiden. Für den Fall des Verkaufs der Gebäude hat die Stadt vorgesorgt: Eine sogenannte Dienstbarkeit verbietet die Nutzung als Bordell.
Wie sieht es mit Hilfsangeboten für Frauen aus, die aus dem Gewerbe aussteigen wollen?
Da tun wir bereits viel. Die Anlaufstelle La Strada im Leonhardsviertel hat zusätzliche Haushaltsmittel für die Beratung von Prostituierten bekommen. Stadt und freie Träger bieten umfassend soziale Hilfsangebote. Die Beratungsstellen sind gut vernetzt und die Angebote niederschwellig. Wer Hilfe sucht, bekommt sie in Stuttgart.