Dieses Foto von der Auftaktveranstaltung mit großem Brimborium können sich die sogenannten Demografielotsen einrahmen. Einige von ihnen erinnert es daran, dass das Projekt politisch nur vorübergehend gewollt war. Foto: privat

Mit Pomp ist das Projekt „Demografielotsen“ 2011 gestartet, nach einem Jahr war dann kein Geld mehr dafür da. Die Ehrenamtlichen, die damals zu Demografielotsen erhoben worden sind, engagieren sich nach wie vor, sind aber enttäuscht von der Stadt.

Filder - Sie treffen sich noch, obwohl es sie offiziell gar nicht mehr gibt. Diesmal ist Plieningen dran. Es hat sich nämlich eingebürgert, dass sie sich alle acht Wochen in einer Gaststätte in einem anderen Bezirk verabreden. Dieser Turnus gehört zu den Strukturen, die sie sich selbst gegeben haben. Schenkt man ihren Ausführungen Glauben, haben sie sich sowieso so gut wie alles allein ausgedacht.

Kaum mehr als ein Etikett

Sie, das sind Ehrenamtliche, die vor ziemlich genau vier Jahren von amtlicher Seite her „Demografielotsen“ getauft worden sind. Ein Name, unter dem sich viele Menschen nichts vorstellen konnten, wie Jutta Schüle sagt. Das geht den Demografielotsen ähnlich, die sich an jenem Abend in einem Café in Plieningen treffen. Sie sehen in dem Titel kaum mehr als ein Etikett. „Als Türöffner war es schon hilfreich“, sagt Schüle, die im Steckfeld wohnt, und Monika Baghdjian aus Wangen fügt hinzu: „In der Öffentlichkeit sind wir erst mal ein Niemand.“ Arg viel mehr Vorteile fallen ihnen nicht ein. Manche der Demografielotsen fühlen sich sogar fehlgelotst von der Stadt.

Aus Sicht der Ehrenamtlichen war das Projekt eine politische PR-Aktion und sie die dafür nötigen Statisten. Der Auftakt wurde im Januar 2011 mit Bürgermeister, einer Abordnung aus Berlin und Urkunde im Stuttgarter Rathaus zelebriert, zwölf Monate später war kein Geld mehr da. Der Bund hatte die Stuttgarter Demografielotsen einmalig mit knapp 3000 Euro unterstützt. Die Idee war, dass sich das Projekt nach dem Anfangsjahr verselbstständigt.

Das politische Interesse ist eingeschlafen

Mit Demografielotsen sind Menschen gemeint, die sich in den Stadtbezirken ehrenamtlich um die Themen in einer alternden Gesellschaft kümmern. Keine neue Aufgabe für Jutta Schüle aus Plieningen, Monika Baghdjian aus Wangen, Rainer Prokopez aus dem Stuttgarter Westen und Ulrike Wagner aus Bad Cannstatt. Hatten sie sich doch vor der Betitelung als Demografielotsen bereits ausgiebig damit beschäftigt. Jutta Schüle zum Beispiel will mit ihrem Tanzprojekt mit psychisch Kranken und die Gesunden Verbindungen zwischen allen gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen herstellen. Oder Monika Baghjian, sie hat lange PC-Hilfe im Altenheim angeboten. Folglich konnte sich nach der Jahresfrist nichts verselbstständigen – und auch nichts einschlafen. Eingeschlafen ist indes das politische Interesse, so der Eindruck der vier Ehrenamtlichen. „Den offiziellen Rückhalt gibt es gar nicht mehr“, sagt Rainer Prokopez. „Es war dann nicht mehr schick, der Hype war vorbei“, sagt Schüle. „Ich sehe es nicht ein, dass sich Verwaltung zum Hintertürchen raus-stiehlt.“

Es gibt aber auch andere Stimmen. Der Plieninger Peter Hitzelsberger ist vor vier Jahren ebenfalls zum Demografielotse ernannt worden. Zu den regelmäßigen Stammtischen geht er nicht. Er macht einfach in Ruhe sein Ehrenamt, kümmert sich um den Arbeitskreis Birkach-Nord, mehr will er nicht. „Damit bin ich zufrieden“, sagt er. Deshalb ist er auch nicht enttäuscht. „Ich habe mir gar nicht so viel davon versprochen.“ Für ihn gibt es durchaus zwei Pluspunkte: dass ihm die Stadt Visitenkärtchen druckt und eine Mailadresse stellt. „Das sind zwar kleine praktische Nutzen, die mir aber sehr wertvoll sind.“

Der fürs Ehrenamt zuständige Bürgermeister hieß beim Projektbeginn noch Klaus-Peter Murawski, heute gibt sein Nachfolger Werner Wölfle dazu Auskunft. „Ich habe das Projekt nicht angelegt“, sagt er. „Aber ich finde, wir haben das Beste draus gemacht. Es freut mich, dass es diese Leute gibt, es stärkt unsere Gesellschaft.“ Abgesehen davon: Das Demografielotsen-Projekt sei „Schnee von gestern“, sagt er.

Motivierte Ehrenamtliche würden vergrätzt

Monika Baghdjian ist vor allem deshalb sauer, „weil es eigentlich eine gute Sache ist“, wie sie sagt. Doch das Projekt ist für sie das beste Beispiel, wie eine Stadt motivierte Ehrenamtliche vergrätzt. In einer vertraglichen Vereinbarung haben sich die damals insgesamt 13 Freiwilligen zu vielem verpflichtet. Zum Beispiel zu einer Einsatzzeit von durchschnittlich acht Stunden die Woche, dazu, das jeweilige Bezirksamt zu informieren, wenn sie mal nicht können, und zu einer Art Kündigungsfrist. Als Gegenleistung durften sie Schulungen besuchen, bekamen eine städtische Mail-Adresse und konnten sich Fahrtkosten rückerstatten lassen. Wobei die Fahrtkosten für die Plieningerin Jutta Schüle ein besonders ärgerliches Kapitel sind. „Ich hatte hohe Kosten, bin Hunderte von Kilometern gefahren“, erzählt sie. Unter dem Strich seien rund 350 Euro zusammengekommen. Geld, um das sie sich mit dem damaligen Bezirksvorsteher Edgar Hemmerich streiten musste, sagt sie. „Im Grund bringt man nicht nur Zeit mit als Ehrenamtlicher, sondern auch Geld.“

Die Standards variieren offenbar ziemlich. So hat Ulrike Wagner aus Bad Cannstatt keinen Grund zum Meckern, weil sie vom Bezirksrathaus unterstützt wird und den Verein „Vereinigte Hilfen“ hinter sich weiß. Dennoch verurteilt sie „die Unterschiedlichkeit, mit der man uns anpackt“. Rainer Prokopez aus dem Westen sieht sich auf verlorenem Posten. Für seinen Bezirksvorsteher seien Demografielotsen ein Fremdwort. Würde er sich nicht regelmäßig mit den anderen treffen, würde er schnell vergessen, dass er vor vier Jahren den Titel verliehen bekam.