Erwartet eine bessere „Wahrheitsfindung“: Justizminister Heiko Maas Foto: dpa

Justizminister Maas will Strafprozessordnung ändern: Bei Schwerverbrechen soll die Polizei das Verhör aufzeichnen

Berlin - Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will vorschreiben, dass Zeugenaussagen, die im Zusammenhang mit einer schweren Straftat stehen, von der Polizei zwingend per Videoaufzeichnung zu dokumentieren sind. Diese Neufassung des §58a der Strafprozessordnung geht aus einem Referentenentwurf des Ministeriums hervor, der unserer Zeitung vorliegt. Die Reform diene „der Verbesserung der Wahrheitsfindung“, so die Begründung.

Die bisherigen Protokolle des mitschreibenden Vernehmungsbeamten seien „gefiltert und damit grundsätzlich fehleranfällig“. Die Dokumentation diene auch „dem Schutz der Betroffenen vor unsachgemäßen“ und „rechtswidrigen Vernehmungsmethoden“, heißt es in dem Entwurf. Das Vorhaben führt zu regen Debatten: Die Polizei reagiert eher skeptisch, die Anwälte sind zufrieden – und die große Koalition streitet.

Die Reform reagiert auch auf eine lange wissenschaftliche Debatte. So hat das Bremer Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung Ende 2015 eine Untersuchung zu Verfahrensverlauf und Verurteilungsquoten bei Sexualstraftaten in Bremen vorgelegt. Die Wissenschaftler kommen zum Ergebnis: „Videovernehmungen sollten bei Sexualstraftaten als Standard-Vernehmungsmethode der Sonderdezernate eingesetzt werden.“ Die Forscher weisen darauf hin, dass Opfer aus Angst vor Repressalien des Täters im Prozess oft keine oder ungenaue Aussagen machen. In solchen Fällen könnte zur Aufklärung des Sachverhalts die Vernehmung herangezogen werden, in der oft genauere Aussagen getroffen worden waren.

Anwälte für die Reform, Polizei dagegen

Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion, nennt das Vorhaben „einen großen Fortschritt“. Die Videotechnik sei auch „ein Beitrag zur Entlastung der Polizeibeamten“. Heute müssten sie oft „stundenlang vor dem Gerichtssaal warten, um als Zeugen zur Abrundung des Gesamtbildes des Gerichts Auskunft über Zeugenvernehmungen zu geben“.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) befürchtet hingegen den gegenteiligen Effekt. Der Vorschlag sei „praxisfern, weil offenbar niemand berücksichtigt hat, dass stundenlange Video-Aufzeichnungen auch wortgetreu verschriftet werden müssen, damit sie zur Akte gelangen. Schnell entstehen so Hunderte Seiten eines Eins-zu-eins-Protokolls des Videos“, so GdP-Chef Oliver Malchow. Er verweist auch auf ein kriminalistisches Bedenken: „Wir befürchten eine unnatürliche Befangenheit sowohl der Polizeibeamten als auch der Zeugen, wenn sie sich der Kameraaufzeichnung bewusst sind.“

Anwälte finden den Vorstoß dagegen sehr gut. Stefan König vom Deutschen Anwaltsverein sagte, viele Vernehmungsprotokolle seien ungenau. „Aussagen werden zusammengefasst, geglättet, manchmal liegt ein durchgehender Text ohne Unterteilung in Frage und Antwort vor.“ Da fielen wichtige Nuancen, Widersprüche unter den Tisch. Da Richter sich aufgrund der Protokolle ein Vorverständnis bilden, könnten aber „ein paar Sätze über Jahre von Freiheit oder Gefängnis entscheiden“.

Union skeptisch: „Steilvorlage für Pflichtverteidiger“

So sieht es auch der Rechtspolitiker Hans-Christian Ströbele von den Grünen. Damit könne sich das Gericht ein Bild von der Vernehmungssituation machen. Auch werde die Kamera „eine disziplinierende Wirkung entfalten. Die Befragung wird sehr viel sachlicher ablaufen.“

Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion lehnt die verpflichtende Videovernehmung ab. Wo es Sinn macht, seien Aufzeichnungen heute schon „in allen Fällen möglich“. Der Vorschlag zeige „ein allgemeines Misstrauen gegenüber den Vernehmungspersonen“. Die neue Vorlage sei „eine Steilvorlage für Konfliktverteidiger“ und würde Strafprozess nicht effektiver machen, sondern „durch entsprechende Beweisanträge und Vorhalte die Hauptverhandlung verzögern“.