Ein Zwerg als Symbol des zivilenUngehorsams: Mehr als 250 dieser kleinen Gesellen bevölkern das Zentrum vonBreslau. Sie erinnern an den kreativenProtest der Polen gegen das kommunistische Regime Mitte der 80er Jahre.Damals gab es spontane Demonstrationen im Zwergenkostüm. Foto: Bernhard

Historische Prachtbauten kuscheln mit sozialistischen Bausünden, marode Klassiker lehnen sich gegen gläserne Architekturexperimente: Der Mix macht die Kulturhauptstadt 2016 zu einem spannenden Ziel.

Breslau - Eben noch floss der Fußgängerstrom sanft dahin. Dann bildet sich ein Pulk, alle schau-en zu Boden, einige gehen in die Hocke und zücken das Handy. Ihr Motiv: ein gusseiserner Zwerg. Mal mit Doktorhut, mal an Ketten oder mit Koffer. Mehr als 250 der reizenden Gesellen bevölkern das Zentrum von Breslau. Sie erinnern an den kreativen Protest der Polen gegen das kommunistische Regime mit spontanen Demonstrationen im Zwergenkostüm. Mitte der 1980er manifestierte sich eines Morgens Papa Zwerg in der Innenstadt und rief augenzwinkernd zum zivilen Ungehorsam auf. Daraus entstand ein ganzer Zwergenaufstand, der heute Touristen statt Besatzer in die Knie zwingt. Mit fremden Herrschern haben die Breslauer Erfahrung, denn in den mehr als 1000 Jahren, seit die Stadt auf der heutigen Dominsel entstand, war sie mal polnisch, mal deutsch, mal ungarisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde fast die komplette Bevölkerung ausgetauscht.

Die vertriebenen Deutschen trauerten um ihre Heimat, die zwangsumgesiedelten Polen fremdelten in der neuen Stadt. Inzwischen ist eine Generation herangewachsen, die in Breslau geboren und verwurzelt ist. Sie verstehen sich als Europäer und gestalten mit Freude ihre Stadt. Da gibt es einiges zu tun. Spuren des Krieges sieht man bis heute, denn viel ging kaputt, als Hitlers Bollwerk gegen die Bolschewiken von ebenjenen überrannt wurde. Noch heute hat die Stadt Brachflächen, groß wie Fußballfelder. So wie hinter dem Striegauer Platz, wo eine hochkant stehende Lok kunstvoll grüßt und auf das benachbarte Museum für zeitgenössische Kunst im Hochbunker hinweist. Museumschef Piotr Stasiowski sieht die Lücken im Stadtbild nicht als Makel, sondern als Aufforderung, etwas daraus zu machen.

„Wir wollen Breslau wieder auf die europäische Landkarte bringen“

„Da ist Raum für Fantasie und Kreativität“, sagt er. Viel von beidem beherbergt der kreisrunde fünfstöckige Bunker, in den nach den Schutzsuchenden erst ein Hospital, dann ein Sexshop und schließlich die Kunst einzog. In den Räumen mit Stahltüren und Betoncharme setzen junge Künstler ihre Installationen, Bilder und Skulpturen in Szene. Besucher genießen nach der Kunst Sonne und Aussicht auf der Dachterrasse. Die Breslauer freuen sich auf 2016, denn die Stadt ist reich an Kultur. Jetzt kann man die Schätze aufpolieren und einem großen Publikum zeigen. Überall in der Stadt herrscht fröhliche Aufbruchstimmung. „Wir wollen Breslau wieder auf die europäische Landkarte bringen“, formuliert Kurator Chris Baldwin.

„Wir wollen Brücken bauen zwischen Kulturen, Religionen, Vergangenheit und Gegenwart.“ Schon jetzt laufen erste Projekte mit der baskischen Partner-Kulturhauptstadt San Sebastián, wie eine Ausstellung zu Picasso, Dalí und Goya im ehemaligen Bernhardinerkloster. Während sanierte Innenstädte mancherorts fast unnahbar wirken ob ihrer Perfektion, macht Breslau sympathisch, dass eben noch nicht jedes Problem gelöst ist. Fürs neue Konzerthaus beispielsweise, künftiges Herzstück der Breslauer Musikszene, gibt es fast wöchentlich einen neuen Fertigstellungstermin. Musikdirektor Andrzej Kosendiak ist aber fest überzeugt, dass beim traditionsreichen Musikfestival Wratislavia Cantans im Herbst 2015 erste Konzerte im Neubau des Nationalen Musikforums stattfinden.

Sollte der Zeit- oder Kostenplan (100 Millionen Euro) nicht ganz aufgehen, hat das Festival noch andere akustisch und optisch wertvolle Räume: die neoklassizistische Alte Börse am Salzmarkt, die prächtige gotische Kathedrale Maria Magdalena oder den riesigen Kuppelbau Hala Stulecia mit Unesco-Welterbe-Status. Breslau hat unzählige Sehenswürdigkeiten aus unterschiedlichen Epochen und Kulturkreisen. Zu den größten und schönsten zählt der 215 Meter lange und 175 Meter breite Rynek, der Marktplatz. Liebevoll sanierte Bürgerhäuser mit barocken Fassaden oder solchen im Jugendstil oder aus der Renaissance säumen ihn. Hier weben staunende Touristen, Einheimische auf Einkaufstour, Straßenmusiker und frischgebackene Absolventen einer Militärakademie einen Teppich aus Farben und Geräuschen. Auch abends pulsiert hier das Leben - rund 650 000 Einwohner, davon fast 150 000 Studenten, bevölkern die vielen Restaurants, Bars und Clubs ringsum.

Mitten auf dem Platz thront das gotische Rathaus in seiner ganzen mittelalterlichen Pracht und Würde. Stofftapeten und schwere Samtvorhänge, Stuck und Schnitzwerk zieren sein Inneres. In seinem Keller, der größten Schankstube der Stadt, sollen schon Chopin und Goethe gepichelt haben. Letzterer notierte allerdings auch: „Die Stadt stinkt.“ Aber das war, bevor die weit verzweigten Kanäle und Nebenflüsse der allgegenwärtigen Oder Ende des 18. Jahrhunderts gründlich saniert wurden. Heute sitzt und flaniert man wunderbar am Wasser - sei es auf den zwölf Oderinseln, in einem der vielen Parks oder am neu angelegten Yachthafen, dessen Geschicke - wer sonst - ein Zwerg steuert.

Infos zu Breslau

Anreise
Nach Breslau (polnisch: Wroclaw) reist man mit dem Auto über die A 6 und A 4 (via Nürnberg, Chemnitz, Dresden) oder über die A 6 und D 5 (via Nürnberg, Prag) oder über die A 38 (via Würzburg, Erfurt, Leipzig, Dresden). Die Bahn fährt mit ICE oder IC von Stuttgart nach Dresden, von dort dreimal täglich nach Breslau. Oder mit ICE oder IC nach Berlin. Von dort verkehrt ein IC-Bus der Bahn nach Breslau.

Mit dem Flugzeug: Direktflüge von Düsseldorf mit Germanwings ( www.germanwings.com ), von Dortmund mit Wizzair ( www.wizzair.com ), von Frankfurt und München mit Lufthansa ( www.lufthansa.com ).

Unterkunft
Arthotel, hübsches Stadthotel mit fußläufiger Entfernung zur Altstadt. DZ/F ab 84 Euro, www.arthotel.pl

Hotel Topacz, stilvoll umgebaute historische Schlossanlage vor den Toren der Stadt, perfekt zum Ausspannen nach anstrengenden Touren. DZ/F ab 70 Euro, www.zamektopacz.pl

Allgemeine Informationen
Polnisches Fremdenverkehrsamt, Hohenzollerndamm 151, 14199 Berlin, Tel. 030 / 21 00 92 - 14, www.polen.travel www.wroclaw.pl (Stadt Breslau) www.wroclaw2016.pl (Kulturhauptstadt)