Nils Heinrich ist ein Berliner Poet mit Stuttgarter Wurzeln. Foto: Martin Bernklau

Seit zehn Jahren boomt der Dichterwettstreit in Stuttgart. Die Poetry Slams sind unverändert ausverkauft. Begonnen hat es in der Rosenau.

S-Mitte - Die Schlange war lang, sehr lang am Sonntagabend. Und irgendwann war der Keller dicht. Ausverkauft. Poetry Slam ist eine sehr angesagte Sache, überhaupt in Stuttgart. Seit zehn Jahren boomt der Dichterwettstreit mit Geschichten und Gedichten in seinem ersten Tempel, der Rosenau am Feuersee. Vor anderthalb Jahren ist der Keller-Klub am Rotebühlplatz für die Wortakrobaten der „Sprechstation“ als Location dazugekommen, die ihrerseits Verbindungen in Städte wie Sigmaringen, Konstanz, Bad Waldsee, aber auch nach Berlin pflegen.

Thomas Geyer heißt der maßgebende Mann hinter der Sache. Er moderierte die Schlacht. Aber zunächst einmal stellte er seinen Stargast aus der Hauptstadt vor, die auch die unangefochtene Hauptstadt des Poetry Slam ist. Nils Heinrich hat zwar auch Stuttgarter Wurzeln. Bis vor sechs Jahren lebte er hier. Doch inzwischen ist auch die Berliner Szene auf Stuttgart aufmerksam geworden. Jedenfalls soll nicht die Flucht vor den dortigen Schwabenhassern der Grund für Heinrichs Ausflug in die alte Heimat sein.

Allerlei Berliner Klischees, auch den Schwabenhass

Nils Heinrich maß gleich auch ungefähr die Bandbreite aus, auf der Poetry Slams ausgefochten werden. Sein erster Beitrag war eine fast klassische satirische Kurzgeschichte namens „Der Datensatz“, in der bis zur Hundekacke auch allerhand Berliner Klischees durchgehechelt wurden. In „Meine kleine Straße“ kamen Rhythmus, Rap, Reim und thematisch auch ebenjene Schwabenhasser hinzu, die Häuslebauer, die dicken Hunde und die dicken Offroader aus schwäbischer Produktion, für die ein Nils Heinrich in Berlin vielleicht manchmal auch unfreiwillig geradestehen muss.

Das Publikum konnte sich warmklatschen, bis Thomas Geyers Assistent Robert fünf Jury-Mitglieder ausgewählt und mit Nummerntafeln ausgestattet hatte. Natalie Gertner gehörte dazu. Der ersten Kandidatin, Kathi Mock aus Tübingen, gab sie mal gleich sieben Punkte auf der bis zum Spitzenwert zehn reichenden Richterskala für eine ungereimte, aber rhythmische Alltags-Geschichte, aus der alle Anglizismen verbannt waren. Da gab es den etwas umständlichen schottischen Malzbranntwein neben den kompakteren „Apfel-Dingern“ für die Produkte des unangefochten führenden Elektronik-Trendsetters.

Der Mann im gelben Kapuzenpulli und lila Mütze

Die aphoristische Kürze führte der aus Hamburg angereiste Tobias Nawarre mit seinem Zyklopen-Gedicht vom auf einem Auge blinden Kinde ein und bekam dafür von Natalie doch gleich satte 8,5 Punkte. Bei Marvin Suckut mit seiner Raststätten-Story auf dem Weg ins heimatliche Konstanz zog sie sogar die Neun, was dazu beitrug, dass der Mann im gelben Kapuzenpulli und lila Mütze am Ende der ersten Runde fast ins Finale kam.

Ebenfalls da hin, wieder mit einer Neun von Natalie, kam Theresa Hahl aus Marburg mit einem ganz anderen Text: leise Prosa, sehr poetisch, bildstark und symbolträchtig angereichert mit den zum Riff geschichteten Panzern oder dem einen Sandkorn in der Sahara. Auch Tilmann Birr aus Berlin schaffte es mit seinen ethnisch, das heißt österreichisch und türkisch gefärbten Texten in die nächste Runde, obwohl er plötzlich vorgezogen wurde, nachdem der Stuttgarter Philipp Ziem offenbar im Stau stecken geblieben war.

Der kam dann aber doch noch, und Thomas Geyer ließ ihn zum Heimspiel antreten. Ganz knapp verpasste er mit seiner Brillen-Geschichte die nächste Runde. Fans im meinungsstarken Publikum hatte aber auch er sich gemacht.