Kastanien sammeln, von der Kita abholen, Hausaufgaben machen – Großeltern und Enkel verbringen heute viel Zeit miteinander. Foto: Fotolia

Ein Drittel der Kinder unter sechs werden regelmäßig von Oma und Opa betreut. Mit einer Großelternzeit will Ministerin Kristina Schröder die Zahl erhöhen. Dass das klappt, bezweifeln Experten.

Berlin/Stuttgart/Schorndorf - In den Ferien ist jeder Tag ein Omatag. Dann verbringen Steffen (10) und Jakob (8) die Vormittage bei ihrer Großmutter in Stuttgart, während ihr Vater Vollzeit und ihre Mutter halbtags arbeiten. Dann macht die Oma mit ihnen Ausflüge in einen Irrgarten oder ins Schwimmbad, dann dürfen sie manches, was bei den Eltern nicht erlaubt ist. „Omatage“ eben, wie die Brüder das nennen.

Gerda Weishaupt (64), die Großmutter, freut sich jedes Mal darauf. Sie ist Steffen und Jakob gern nahe. Außerdem findet sie es wichtig, ihrem Sohn und seiner Frau, die im benachbarten Fellbach leben, dabei zu helfen, Kinder und Beruf zu vereinbaren. „Meine Schwiegertochter hat sechs Wochen nach der Geburt wieder in Teilzeit zu arbeiten angefangen. Seither übernehme ich zweimal pro Woche die Enkel und in den Ferien öfter“, sagt Gerda Weishaupt. Früher ist sie täglich den Behindertenbus der Lebenshilfe gefahren, als 400-Euro-Job, jetzt fährt sie ihn nur noch dreimal pro Woche. „Ich hätte auch ganz zu arbeiten aufgehört, wenn das nötig gewesen wäre“, sagt die 64-Jährige.

Großeltern sind seit vielen Jahrzehnten eine tragende Säule im deutschen System der Kinderbetreuung. Gut ein Drittel der Kinder unter sechs Jahren werden regelmäßig von ihnen betreut. Im ersten Lebensjahr ist es sogar die Hälfte. In den allermeisten Fällen kümmert sich die Mutter der Mutter um den Nachwuchs – zwischen zwei und 20 Stunden pro Woche. Diese Fakten nennt Christian Alt vom Deutschen Jugendinstitut in München, der über das Enkel-Großeltern-Verhältnis forscht. Er macht folgende Rechnung auf: Setzt man den Stundensatz einer Tagesmutter von fünf Euro pro Kind an, sind es grob gerechnet bis zu 5,2 Milliarden Euro pro Jahr, die sich Eltern sparen. Oder der Staat, je nachdem, wie man es sehen will. Die meisten Senioren wollten ihre Enkel betreuen, sagt der Forscher, oft fiele der Wunsch mit fehlenden alternativen Betreuungsangeboten zusammen. „Lückenfüllerfunktion“ nennt er das.

Jedes zweite Großelternpaar wohnt mehr als eine halbe Stunde von seinen Enkeln entfernt

Der Soziologe Klaus Peter Strohmeier schreibt von Großmüttern als der „wichtigsten sozialpolitischen Einrichtung zur Betreuung der Kleinkinder berufstätiger Mütter“. Kaum verwunderlich, dass die Verfügbarkeit der Großeltern sowohl die Entscheidung der Eltern für ein erstes Kind erleichtert als auch die Bereitschaft, ein zweites Kind zu bekommen, wie Studien nachgewiesen haben.

Möglich gemacht hat die intensive Generationenbeziehung die steigende Lebenserwartung und dass Senioren länger körperlich und geistig fit bleiben. Nur jedes zehnte Kleinkind hat kein Großelternteil mehr. Viele Omas und Opas gehören zu dem Typus Senioren, für die Marketingstrategen den Ausdruck Best Ager erfunden haben. Menschen, die mit 65 aussehen wie 50, die mit Studiosus die Welt bereisen und statt zur Bibelstunde ins Yogastudio eilen. Außerdem haben heutige Großeltern weniger Kinder und Kindeskinder als noch ihre Eltern. Also können sich oft noch vier fitte Senioren um wenige Enkel kümmern. Und beide Seiten genießen das auch. Noch dazu überlassen Mütter und Väter die Kinder gern ihren Eltern, da ähnlich liberale Vorstellungen von Erziehung herrschen. Ein Zustand, der vor 1968 undenkbar war.

Aber in gleichem Maße, wie diese Entwicklungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts die Generationen einander näher gebracht haben, verhindern sie auch, dass sich noch mehr Großeltern in die Betreuung einbringen. Wie gesagt: Etwa ein Drittel ist regelmäßig für den Nachwuchs da. „Aber dieser Wert stagniert seit etwa 40 Jahren“, sagt Christian Alt vom Deutschen Jugendinstitut – obwohl sich, wenn sie gefragt werden, die meisten Großeltern einen engen Kontakt zu den Enkeln wünschen würden. Das liegt für den Forscher vor allem an zwei Faktoren: Jedes zweite Großelternpaar wohnt mehr als eine halbe Stunde von seinen Enkeln entfernt. Und: Viele Großeltern sind noch berufstätig, wenn der Nachwuchs kommt. Und zwar nicht nur Opas, sondern auch immer mehr Omas. Alt und seine Kollegen sind gerade dabei, aktuelle Zahlen dazu zu ermitteln.

Für 300.000 Großeltern, hofft die Ministerin, könnte diese Regelung infrage kommen

An diesem Punkt setzt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder an. Sie will gesetzlich regeln, dass Großeltern, wie Eltern auch, eine bis zu dreijährige Auszeit vom Beruf nehmen können, um für die Jüngsten zu sorgen. Im Gegensatz zu den Eltern, die Anspruch auf ein 14-monatiges Elterngeld haben, sollen die Älteren keine Leistungen erhalten. Für 300.000 Großeltern, hofft die Ministerin, könnte diese Regelung infrage kommen. Der Vorschlag kommt zu einer Zeit, in der Kristina Schröder unter Druck ist. Ab 2013 haben Eltern für Kinder unter drei Jahren ein Recht auf einen Betreuungsplatz. Noch fehlen mehr als 200.000 Plätze.

Susanne Zackel ist so eine Großmutter, die Kristina Schröder im Blick hat. Die 54-Jährige aus Schorndorf hat vier Kinder großgezogen, jetzt hat sie zwei Enkeltöchter, die am gleichen Ort wohnen. Sie sieht sie regelmäßig. Die ältere ist 4, die zweite im Juli geboren. Susanne Zackels Tochter hat kurz vor der Geburt der zweiten Tochter ihr Staatsexamen in Medizin gemacht. Spätestens im kommenden Sommer will sie als Ärztin anfangen – zumindest Teilzeit. Ihr Mann arbeitet bei der Polizei im Schichtdienst. Das junge Paar hat dann ein Betreuungsproblem. Ein klassischer Fall für die Oma. Aber die arbeitet. Und Großelternzeit hin oder her, Susanne Zackel würde auch nur ungern aufhören. Erst vor zwölf Jahren hat sie noch mal etwas ganz Neues gewagt, hat sich von der Erzieherin zur IT-Systemkauffrau umschulen lassen und sich über befristete und Teilzeitstellen zu einem festen Vollzeitvertrag hingearbeitet.

Die Generation der Best Ager definiert sich nicht nur als Omas und Opas

„Ich habe lange darum gekämpft, und meine Arbeit macht mir Riesenspaß“, sagt Susanne Zackel. Dazu kommt, dass sie für ihre eigenen Kinder bereits elf Jahre im Beruf pausiert hat. Ganz bewusst, weil sie den Nachwuchs selbst erziehen wollte, wie sie sagt. Nur für ihr Rentenkonto war das nicht so gut. Die unbezahlte Großelternzeit würde ein erneutes Loch hineinreißen. Das Gesetzesvorhaben sieht Susanne Zackel kritisch, als „Pseudoalternative für ein Betreuungsangebot, das der Staat nicht zur Verfügung stellt“.

Außerdem erlebt sie viele Großeltern, die ihre Termine und Urlaube nur noch nach dem Betreuungsbedarf der Enkel ausrichten. „Die können nicht mal spontan übers Wochenende wegfahren, weil sie versprochen haben, die Enkel zu übernehmen“, sagt Susanne Zackel. Man spürt, dass sie das nicht will.

Die Generation der Best Ager definiert sich eben nicht nur als Omas und Opas. Nicht jede und jeder ist bereit, die Lücke zu füllen, die sich im betrieblichen und staatlichen Betreuungsangebot auftut. Zumal diese Generation noch einen anderen Mangel zu beheben hilft: Den Pflegenotstand. „Vor allem Frauen sind in einer Sandwichposition. Neben den Enkeln gibt es oft noch eigene Eltern, um die sie sich kümmern“, sagt Forscher Christian Alt. Und in der Tat: Sowohl Susanne Zackel als auch Gerda Weishaupt unterstützen ihre Mutter beziehungsweise Schwiegermutter.

Christian Alt glaubt deshalb nicht, dass viele Großeltern von einer unbezahlten Großelternzeit Gebrauch machen würden: „Nur alte Familienwerte zu beschwören und an deren Altruismus zu appellieren ist zu wenig.“

Kritik, dass keine finanzielle Entlohnung vorgesehen ist

Ähnlich argumentieren auch die Kritiker des Schröder’schen Vorhabens aus der Opposition, dem Arbeitnehmerlager sowie vom Koalitionspartner FDP. Unisono fordern sie, das Augenmerk lieber auf den flächendeckenden Ausbau der Kitaplätze und Ganztagsbetreuung von Schülern zu legen.

Auch Irene Gerlach vom Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik an der Universität Münster und Vorsitzende im wissenschaftlichen Beirat des Familienministeriums sieht es kritisch, dass keine finanzielle Entlohnung vorgesehen ist. Für sie ist die Großelternzeit allerdings ein Schritt in die richtige Richtung auf dem Weg zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Die könne nur erreicht werden, wenn sich die Arbeitswelt an die veränderten gesellschaftlichen Herausforderungen anpasse. Und zu denen gehöre nicht nur die Kinderbetreuung, sondern auch die Betreuung der Älteren. Will heißen: Nicht nur Oma muss eine Auszeit für die Enkelbetreuung nehmen können, auch Enkel müssen die Möglichkeit haben, für die Betreuung der Oma Teilzeit zu arbeiten, um dann wieder in eine Vollzeitstelle zurückkehren zu können. Irene Gerlach hält zum Beispiel Arbeitszeitkonten für sinnvoll, auf denen man Stunden und Geld ansparen kann und die eine längere Teil- oder Auszeit ermöglichen. Firmen wie Bosch oder Trumpf praktizieren das bereits, sind damit aber noch eine Ausnahme.

Die Festlegung und Einführung solcher flexibler Arbeitszeitmodelle wäre nicht nur Aufgabe der Politik, sondern auch der Unternehmen. Dass die nun gleich wieder in Gestalt des DIHK-Präsidenten Hans Heinrich Driftmann angemahnt haben, die Großelternzeit könnte die Personalplanung der Betriebe erschweren, spricht nicht gerade für deren Offenheit. Klar ist aber eins: Omatage allein können das Betreuungsproblem nicht lösen.