Unsere Redakteurin Andrea Jenewein hält Zwiesprache mit Novum: Hat sie Potenzial zur Chefin? Mehr Bilder mit Novum, Andrea Jenewein und der Pferdeflüsterin Karin Walz finden Sie in unserer Bildergalerie. Foto: Leif Piechowski

Was können Führungskräfte vom Umgang mit Pferden lernen? Ein Selbstversuch beim Persönlichkeitstraining

Stuttgart - Das ist kein Pferd. Das ist ein Esel! So dickköpfig, wie dieses Tier ist. Seine Stirn stößt an meine Brust, während ich versuche, Schritt für Schritt vorwärts zu laufen, und ihn dazu zu bewegen, rückwärts zu gehen. Oder bin doch ich der Esel?

Dieser Eindruck beschleicht mich, wie ich da im imaginären Ring stehe und nicht vorwärts komme. Kein Stück. Aber eigentlich geht es um etwas ganz anderes: Ich bin Mensch, er ist Pferd. Ich bin Alpha, er ist Beta. Zumindest sollte das die Rangfolge sein. Nur darauf kommt es an. Esel gibt es hier nicht. Und schon gar keinen Ring.

Aber von vorn: Ich habe an diesem Tag eine Verabredung mit Karin Walz. Die 58-Jährige bietet seit 2004 Persönlichkeitstraining, Coaching und Seminare für Führungskräfte an. Das ist an und für sich nichts Besonderes. Aber Walz hat Co-Trainer: Pferde.

Pferde? Warum ausgerechnet Pferde? „Pferde kennen keine Rollenspiele, sie reagieren unmittelbar und authentisch“, sagt Karin Walz, die sowohl Weiterbildungen in den Bereichen Kommunikation und Führung absolviert als auch von Kindesbeinen an Erfahrungen mit Pferden gesammelt hat. „Außerdem kann man ihren Respekt und ihr Vertrauen nicht erzwingen, menschliche Statussymbole, Alter und Geschlecht sind für sie nicht interessant“, sagt Walz.

„Ein Pferd merkt, ob Sie es ernst meinen oder nicht"

Hier gilt allein der Mensch – so, wie er ist. Und wie er sich verhält und auftritt. Dies bekommt er durch das Pferd unmittelbar und direkt gespiegelt: „Ein Pferd merkt, ob Sie es ernst meinen oder nicht. Es versteht nur ein klares Ja oder ein klares Nein – das Sie aber durch Ihre Körpersprache signalisieren und ausdrücken müssen. Ein Jein gibt es für Pferde nicht.“

Grundvoraussetzung für das Training mit Pferden ist Respekt und Vertrauen. Doch das will erst einmal erarbeitet sein. Die Basis dafür soll das Striegeln schaffen. Das Pferd, das mir zugeordnet wird, trägt einen sprechenden Namen. Zumindest für mich. Ja, Novum ist wahrlich neu für mich. Allerdings müsste, ginge es danach, jedes Pferd Novum heißen.

Doch Pferd ist freilich nicht gleich Pferd. Das soll ich an diesem Tag noch lernen. Novum jedenfalls ist ein Pony, ein hellbrauner Wallach mit weißer Blesse. Er lebt auf dem Ponyhof Müller in Ostfildern. So weit, so gut. Und auch das mit dem Respekt ist kein Problem. Den nämlich habe ich durchaus vor Novum. Keine Angst, aber Respekt. Aber hat er Respekt vor mir?

Nach einer Einweisung in die Technik des Striegelns, die mir der Ponyhof-Besitzer Gerhard Müller gibt, nähere ich mich Novum mit festen Schritten. Langsam, aber bestimmt – denn Pferde sind Fluchttiere – hebe ich den Arm und streiche Novum über den langen Nasenrücken und die Nüstern. Er riecht interessiert an meinen Händen und knabbert kurz an meinen Fingern. Dann streichle ich seinen Hals. Die erste Annäherung ist geschafft. Mit kreisenden Bewegungen fange ich an, Novum zu striegeln.

Der Wille zählt, nicht das Gewicht

Zunächst hält er still, doch dann dreht er seinen langen Hals zu mir um und zupft an mir rum. Ich ignoriere ihn und putze konzentriert weiter. Auch als er mich abzudrängen versucht, biete ich ihm mit meinem ganzen Körper Widerstand – auch wenn er ein paar Kilo mehr wiegt. Aber der Wille zählt, nicht das Gewicht. Das bestätigt auch Gerhard Müller: „Er hat versucht, Sie auszutesten –nachdem Sie aber ruhig blieben, wurde es ihm langweilig“, sagt er. Nachdem ich Novum noch die Hufe ausgekratzt habe, geht es auf den Reitplatz.

Dort macht Novum erst einmal meine ganze Arbeit wieder zunichte, indem er sich genüsslich im weichen Mulch wälzt. Spontan wächst eine große Zuneigung zu dem Pferdchen in mir. Ich muss lachen. Und das Eis ist gebrochen. „Ungezogener Junge“, raune ich ihm ins Ohr. Novum antwortet, indem er mir mit seinen Nüstern warme Luft ins Gesicht bläst. Nachdem wir noch einige Intimitäten ausgetauscht haben, drehe ich mich um und gehe los. Und siehe da, Novum folgt mir nach. Es ist ein überwältigendes Gefühl, dass mir dieses große Tier vollkommen freiwillig nachkommt. „Das macht er längst nicht bei jedem, Sie haben es geschafft, Neugier in ihm zu wecken“, sagt Gerhard Müller.

Der Parcours ist spannender

Allerdings vergesse ich über dieses Hochgefühl völlig den Anlass dafür: das Pferd. Ich laufe hoch erhobenen Hauptes weiter, bis ich merke, dass ich allein über den Platz stolziere. Novum interessiert sich mehr für einen Pylon des Parcours als für mich. „Warum, denken Sie, ist er stehen geblieben?“, fragt Karin Walz. Ich lasse den Kopf beschämt hängen und sage: „Weil ich nicht nach ihm geschaut habe.“ Walz nickt zufrieden. Immerhin habe ich selbst den Fehler erkannt. „Ja, Sie müssen sich immer wieder nach ihm umdrehen, damit er spürt, Sie beachten und beobachten ihn“, sagt Walz.

So langsam wird mir klar, was ich durch die Pferde lernen kann: Sie spiegeln mein Verhalten wider – viel unmittelbarer und unverstellter als Menschen. Das Leben ist eben doch ein Ponyhof, und dies macht sich Karin Walz für ihre Persönlichkeits- und Führungskräftetrainings zunutze. „Wenn ein Mitarbeiter sich nicht beachtet oder unbeobachtet fühlt, tanzt er dem Chef im Zweifel auch auf der Nase herum”, sagt Walz.

Potenzial zur Führungskraft ist ausbaufähig

Das versucht Novum auch bei der nächsten Übung mit mir: Ich soll ihn dazu bewegen, dass er vor mir zurückweicht, indem er rückwärts geht. Dabei kommt es zu der Szene, bei der wir wie zwei störrische Esel Brust und Kopf aneinander reiben, unseren Willen messen. Doch der von Novum ist stärker. „Sie haben es nicht geschafft, ihn davon zu überzeugen, dass Sie es ernst meinen“, sagt Walz.

Dennoch bescheinigen mir Karin Walz sowie Gerhard Müller, dass ich „Potenzial zur Führungskraft“ habe, allerdings sei dies „noch ausbaufähig“. „Sie haben Persönlichkeit, aber die ist durch einen Mantel verhüllt“, sagt Gerhard Müller.

Und diesen Mantel knüpfe ich bis zum Kinn zu, als ich „meinen“ Novum gegen Condor austauschen soll. Mit dem etwas älteren Wallach, der in der Rangfolge eigentlich niedriger seht als Novum, geht gar nichts. Ich schaffe es nicht, mich auf ihn einzulassen. Das ist die Lehre, die die Pferde mir mit auf den Weg geben: Dass ich lernen muss, mich nicht nur einmal auf Neues einzulassen, sondern immer wieder. Pferde heißen eben doch alle Novum. Und Menschen im Zweifel auch.