Agnes und Richard Bastian in ihrem Wohnzimmer im Asemwald Foto: Gottfried Stoppel

Warum passen zwei Menschen zusammen? In einer Serie sprechen besondere Paare über ihr Leben. Heute: Agnes und Richard Bastian erklären, warum sie mehr verbindet, als nicht zu sehen.

Stuttgart - Ich komme runter“, sagt Richard Bastian durch die Gegensprechanlage. Und bevor man ihn stoppen kann, fährt der 81-Jährige acht Stockwerke nach unten, um die Besucherin auf einige Besonderheiten aufmerksam zu machen: auf den Plastikknubbel etwa, der das Klingelschild der Bastians von den anderen 118 ihres Hochhauses im Asemwald unterscheidet. Oder auf die Blindenschrift am Briefkasten. Auch oben, in der Dreizimmerwohnung mit weitem Blick über die Fildern, wollen Richard Bastian und seine Frau Agnes erst eine Führung machen.

Richard Bastian
Wir würden Ihnen gern ein paar Dinge in unserer Wohnung zeigen.
Ja, gern.
Richard B.
(öffnet einen Esszimmerschrank, nimmt eine Tasse heraus) Fühlen Sie mal die Form, die Wellenlinie im Rand. Das ist unser Rosenthal-Geschirr. Für uns sind Unterschiede in der Struktur wichtig. Deshalb haben wir verschiedene Service: ein Keramikgeschirr vom Timmendorfer Strand für samstags, das Rosenthal für Sonntage und für besondere Anlässe ein Zwiebelgeschirr von Meissen. Wir schätzen solche Dinge sehr.
Die Gegenstände auf dem Wohnzimmerboard, sind das Souvenirs?
Richard B. Die haben wir im Lauf der Jahre zusammengetragen. Zu allen gibt es eine persönliche Beziehung, aber das Schönste, was wir besitzen, ist diese kleine Statue. Das sind der kleine Prinz und der Fuchs. Schauen Sie mal: Den Blickkontakt zwischen Prinz und Tier kann man wunderbar fühlen. Oder der siebenarmige Leuchter aus Israel. Solche Leuchter bekommen Sie dort an jeder Ecke, aber so einen schönen, mit diesen Verstrebungen, haben wir nur einmal gesehen.
Sie sagen „sehen“?
Richard B. Wir würden nicht sagen „So was Schönes habe ich noch nie gefühlt“. Sehen ist für uns einfach ein Begriff für wahrnehmen.
Sie haben eine wunderbare Aussicht ins Grüne. Können Sie die wahrnehmen?
Richard B. Jetzt im Frühjahr fällt die Sonne durch die Fensterfront auf unseren Essplatz. Dort wird es ganz warm. Agnes sitzt morgens auf der Eckbank direkt in der Sonne. Und bei gutem Wetter ist unser wichtigstes Zimmer der Balkon. Heute habe ich dort schon den Buchfink und den Buntspecht gehört. Ansonsten ist es durch die Höhe sehr leise hier.
Agnes B. Ich glaube, jetzt können wir uns aber mal auf die Eckbank setzen.
Menschen beurteilen andere oft zuerst nach der Optik. Was ist Ihnen aneinander aufgefallen?
Agnes B. Wir haben uns 1981 kennengelernt. Ich habe damals in Lörrach gewohnt und bin viel mit einer Gruppe verreist. Dabei habe ich Richard kennengelernt. Er hat mir so begeistert vom Langlaufen in Leutasch in Tirol erzählt und gefragt, ob ich mal mitkomme. Damals konnten wir noch Umrisse sehen. Insofern haben wir eine Vorstellung voneinander.
Richard B. Unsere große Gemeinsamkeit war und ist das Reisen. Anfangs haben wir verrückte Dinge gemacht.
Was zum Beispiel?
Richard B. Wir waren allein langlaufen oder sind im Schwarzwald gewandert, teilweise bis zu 40 Kilometer.
Agnes B. Die Gegend haben wir richtig auswendig gelernt.
Richard B. Wir haben gemeinsam Schritte gezählt, uns an der Art des Bodens oder Geräuschen orientiert. So kann man die Landschaft zusammenstückeln wie ein Mosaik. Das hat uns zusammengeschweißt. Wir waren nie unsicher, weil der andere da war.
Agnes B. Mittlerweile sehen wir beide nichts mehr und brauchen eine Reisebegleitung.
Was machen Sie noch gemeinsam?
Richard B. Wir sind Handmenschen. Agnes ist eine Meisterin im Stricken, in ihrem Windschatten stricke ich auch. Wenn ich einen Fehler mache, hilft sie mir.
Agnes B. Mein Mann merkt, dass etwas falsch ist. Dann gehe ich dran, ertaste den Fehler und bringe es in Ordnung.
Richard B. Früher hab ich vielleicht mal einen Schal gestrickt, aber an die großen Sachen kann ich mich erst wagen, seit Agnes als Rückhalt da ist. Derzeit stricke ich mir einen Pulli.
Wie suchen Sie die Wolle aus?
Richard B. In Birkach gibt es einen guten Handarbeitsladen. Die Besitzerin berät uns beim Wollekauf. Es ist für uns sehr wichtig, gute Beziehungen zu anderen Menschen zu haben. Das pflegen wir sehr. Zum Beispiel kaufen wir im Supermarkt immer abwechselnd ein, damit die Verkäuferinnen uns beide kennen.
Agnes B. Jeden Freitagmorgen, wenn das Geschäft öffnet, sind wir da.
Richard B. Wenn wir mit einem Laden zufrieden sind, dann werden wir nie wechseln.
Agnes B. Unsere Kleidung haben wir früher in einem Textilhaus in der Innenstadt gekauft, in dem wir gut beraten wurden, aber das gibt es nicht mehr. Heute gehen wir mit einer jungen Frau einkaufen, die uns ehrenamtlich hilft.
Richard B. Früher, vor etwa 100 Jahren, wäre so ein selbstständiges Leben als blindes Paar nicht möglich gewesen. Es gab ja weder die technischen Hilfsmittel noch genug Arbeitsmöglichkeiten für Blinde. Und dass Blinde gesellschaftlich akzeptiert wurden, hat erst nach dem Ersten Weltkrieg angefangen, als es viele Kriegsblinde gab.