Der strahlende Triumphator des Oscar-Abends 2015: Alejandro G. Iñárritus „Birdman“ mit Michael Keaton wurde als bester Film, für Regie, Kamera und Drehbuch ausgezeichnet Foto: 20th Century Fox

Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch, beste Kamera: Der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu ist mit seiner Showbiz-Satire „Birdman“ der große Gewinner der diesjährigen Oscars.

Los Angeles - Hollywood liebt Filme über sich selbst, wenn die Betroffenen sich darin wiederfinden. Iñárritu zeigt in „Birdman“ einen Schauspieler, der als Superheld zu Ruhm kam, auf die Rolle festgelegt wurde und nun am Broadway ernsthaftes Theater zu inszenieren versucht. Ein mutiger Michael Keaton, den nach Tim Burtons „Batman“ (1989) tatsächlich ein Karriereknick ereilte, gibt dem Protagonisten sein Gesicht – als Künstler ernstgenommen zu werden zählt zu den großen Sehnsüchten in der Unterhaltungsindustrie.

Selbige steckt in einer kreativen Krise, Blockbuster sind kaum für Oscars nominiert; dafür Arthaus-Filme wie „Birdman“, Wes Andersons Bonbon-Farce „Grand Budapest Hotel“, Richard Linklaters grandioses Langzeit-Familienepos „Boyhood“.

Iñárritu, Schöpfer von Werken wie „Babel“ und „21 Gramm“, widmet seine Preise seinen „Landsleuten in Mexiko. Ich bete dafür, dass wir eine Regierung bekommen, die wir verdienen“. Den mexikanischen Immigranten in den USA wünscht er, „dass sie mit derselben Würde und demselben Respekt behandelt werden wie diejenigen, die vor ihnen kamen und diese unglaubliche Einwanderer-Nation aufgebaut haben“.

Der Applaus ist ihm sicher beim mehrheitlich liberalen Publikum, das auch Kameramann Emmanuel Lubezki („Gravity“) bejubelt, der Keaton in einer einzigen Einstellung durch den Film folgt. Die „Birdman“-Schauspieler indes gehen leer aus: Ein gerührter Eddie Redmayne, in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ das verliebte Genie Stephen Hawking, sticht als bester Hauptdarsteller Keaton aus, J. K. Simmons, besessener Drum-Lehrer in „Whiplash“ den famosen Edward Norton, der in „Birdman“ als unkontrollierbarer Bühnencharismatiker glänzt.

Bei den Frauen ist endlich Charakterdarstellerin Julianne Moore an der Reihe, die in „Still Alice“ einfühlsam eine an Alzheimer erkrankte Linguistik-Professorin spielt. „Ich habe gelesen, wenn man einen Oscar bekommt, lebt man fünf Jahre länger“, sagt sie – „wenn das stimmt, danke ich der Academy, denn mein Mann ist jünger als ich!“

Nicht minder verdient: Der Nebenrollen-Oscar für Patricia Arquette, der einzige Preis für „Boyhood“. Sie altert darin wie alle Beteiligten mit und zeigt sich auch mit Ende 40 ganz natürlich – erwähnenswert in einem Geschäft, das die Schönheitsindustrie reich macht. „Nun ist endlich unser Moment gekommen!“, ruft Arquette kämpferisch, „für gleiche Löhne und gleiche Rechte für Frauen in den USA!“ Dafür bekommt sie viel Applaus, allen voran von Meryl Streep.

Die zwei Gesichter der Traumfabrik führt Moderator Neil Patrick Harris gleich zu Beginn vor. In Glitzerkulisse beschwört er trällernd die Magie der „Moving Pictures“, die uns „over the rainbow“ tragen. Er spielt mit Schatten und Animation, erinnert an Hitchcock, Chaplin, Monroe, Indiana Jones und Sharon Stone in Basic Instinct“, „die uns verstört hat“. Anna Kendrick assistiert ihm als Cinderella, und sie persiflieren herzzerreißend die Illusionen, „die nicht real sein mögen, uns aber zeigen, was wirklich der Sinn des Lebens ist“. Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Jack Black entert die Bühne, röhrt kehlig über eine korrupte Industrie, Drehbücher nach Schema, allgegenwärtige Superhelden und „unsere Hirne, die zu Maschinen werden“. Er echauffiert sich, bis Harris ihn unterbricht und Kendrick einen Schuh wirft, um ihn von der Bühne zu vertreiben – was er sagen wollte, hat er gesagt.

„Komplett improvisiert“ sei das gewesen, behauptet grinsend Harris, Star der TV-Serie „How I Met You Mother“. Er macht seine Sache anständig, spöttelt, witzelt und spielt live den Spießrutenlauf nach, bei dem Michael Keaton in „Birdman“ nur mit Unterhosen bekleidet ins Theater gelangen muss. „Schauspielerei ist eine vornehme Profession“, sagt er weitgehend entblößt auf der Bühne. Nicht alle Gags zünden. Als Harris TV-Moderatorin Oprah Winfrey mit Clint Eastwoods Irak-Drama „American Sniper“ vergleicht, dem umsatzstärksten Film, „weil du reich bist“, hört für einige der Spaß auf.

Schauspieler Benedict Cumberbatch, nominiert für „The Imitiation Game“, zieht zwischendurch einen Flachmann, der polnische Regisseur Pawel Pawlikowski kommentiert seinen Auslands-Oscar für sein Nazi- und Religions-Drama „Ida“ so: „Ich habe einen Schwarz-Weiß-Film über das Bedürfnis nach Stille, den Rückzug aus der Welt und Kontemplation gedreht, und jetzt bin ich hier, im Epizentrum des Lärms und der Aufmerksamkeit der Welt. Das Leben ist voller Überraschungen.“

Der zweite Gewinner des Abends: „Grand Budapest Hotel“, die absurde Geschichte eines Concierges, gedreht in der Nähe von Görlitz. „Diese Preise sind vor allem auch eine Auszeichnung für den Filmproduktionsstandort Deutschland“, kommentierte am Montag Christoph Fisser, Studiovorstand in Babelberg und ausführender Produzent. Dass Andersons stark überzeichneter, bis ins letzte Detail liebevoll gestalteter Film einen ganz eigenen Look hat, verdankt er unter anderen der Stuttgarter Effektschmiede Luxx, und an der Finanzierung war die baden-württembergische MFG-Filmförderung beteiligt.

Ein wenig politisch wird es auch bei dieser Oscar-Gala. Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs verteidigt in einer flammenden Rede die Meinungsfreiheit, die Musiker Common und John Legend, ausgezeichnet für ihren Song „Glory“ im Martin-Luther-King-Drama „Selma“, beschwören so eindringlich Bürgerrechte, dass Augen feucht werden. Der Oscar für Laura Poitras’ Edward-Snowden-Dokumentation „Citizenfour“ ist an sich schon ein Signal. Mit vor Aufregung zitternder Stimme fordert sie Transparenz.

„Der Betroffene Edward Snowden konnte heute Abend nicht hier sein „for some treason“, sagt Harris, im Wortspiel „reason“ (Grund“) und „treason“ (Verrat“) verwechselnd. Und schon geht die Show weiter.